Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Unabhängigkeit

Kapitel 12.b. Neugranada: Silberstreif am Horizont

In Neugranada war die Lage im Großteil des Landes zementiert: die Kolonialmacht beherrschte das Land und unter ihrem Schutz verübten die Royalisten mitunter grausame Morde an den zurückgebliebenen Patrioten. Aufstände waren wegen der Präsenz der Truppen in allen wichtigen Orten nahezu ausgeschlossen. Lediglich in Casanare konnten die Patrioten ihre Stellung behaupten. Im Lauf dieses Jahres unternahmen die Spanier zwar Feldzüge in die „Unruheprovinz“, aber lediglich die Zivilbevölkerung hatte unter den beiden Kriegsparteien zu leiden. Erfolge konnte keine der beiden Seiten vermelden, da Casanare weiterhin von den Patrioten gehalten wurde, aber diese auch nicht in der Lage waren, auf die Ostkordillere vorzurücken.

Das kurze Aufbegehren der Almeida-Brüder auf der Ostkordillere nördlich von Bogota im vergangenen November (s. Kap. 10.a.) hatte ein längeres Nachspiel gehabt, da Hunderte von Zivilisten hingerichtet wurden. Daher scharten sich rund 800 Patrioten zusammen, als die Guerilla aus Casanare zum Aufstand riet. Carlos Tolra erhielt vom Gouverneur Bogotas, Juan Samano, den Auftrag, diese Zusammenrottung gewaltsam aufzulösen. Da er, wie auch Pablo Morillo aus Venezuela Härte gegenüber den Aufständischen von Choconta forderte, war ihnen die bloße Zerstreuung, die Tolra durchführte nicht ausreichend. Morillo ersetzte Tolra deswegen als Kommandeur der 3. Division des Expeditionsheeres durch den Artillerieoberst José Maria Barreiro.

Zu Beginn des März wurde der Vizekönig abberufen und Juan Samano übernahm dieses Amt. Auch ohne Morillos Anweisungen nutzte Samano, der die Kreolen seit dem Beginn des Aufstands in Bogota gern zur Verantwortung zog, genau, wie er sich unbeliebt machen konnte. Er ließ, sicher auch aufgrund seiner persönlichen Erfahrungen, keine Gelegenheit aus, mit maximaler Härte gegen Kreolen vorzugehen. Soweit es ihnen noch möglich war, zahlten diese es dem Vizekönig mit gleicher Münze heim.

Der von Bolivar im August ausgeschickte Francisco de Paula Santander hatte in Casanare mit seinen Landsleuten wegen des Vorhabens von Bolivar schwer zu kämpfen, da diese sich noch genau an den Venezolaner José Antonio Paez erinnerten, der sich im Streit Ende 1816 von den Neugrenadinern getrennt hatte (s. Kap. 10.a.). In wochenlangen Verhandlungen mit den Guerilla-Führern, die bis in den Januar des folgenden Jahres hinein andauerten, überzeugte er sie, auch mit den Waffen und dem anderen Kriegsgerät, das er mitgebracht hatte, daß sie von Bolivars Plan nur profitieren konnten. Mit der Einigung in Casanare hatte Santander ein wesentliches Element für den Neugranada-Feldzug geschaffen, das er anschließend mit der Organisation und Ausbildung der Soldaten krönte.



Fortsetzung: Kap. 13. 1819: Der holprige Weg in die Freiheit



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