Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Unabhängigkeit

Kapitel 14.b.: Venezuela: Waffenstillstand

Es war nicht nur die andauernde Schockstarre der Spanier, die Pablo Morillo bewog, nicht mehr selbst gegen die Patrioten aktiv zu werden, denn ab März galt in Spanien die Verfassung von 1812, die sein bisheriges Handeln gegen die Südamerikaner in Frage stellte. Als die Nachricht aus Spanien kam, berief Morillo eine Friedensschaffende Versammlung (Junta de Pacificación) ein, die Verhandlungen mit den Vertretern Großkolumbiens begann. 1812, bei der Einführung der Verfassung von Cadiz, wäre dies eine erfolgversprechende Maßnahme gewesen, die das Potential geborgen hätte, den langen und harten Krieg zu verhindern. 1820 hatte Morillo nicht mehr die Mittel, die Patrioten zu ihrer Annahme zu bewegen. Und die Patrioten hatten zu lange und verlustreich gekämpft, um nun mit einem Teilerfolg zufrieden sein zu können. Immerhin wurde am 04. Juli ein einmonatiger Waffenstillstand unterzeichnet, um die Verhandlungen fortsetzen zu können.

Ab Ende August war San Cristobal Verhandlungsort. Zu den Vertretern Großkolumbiens gehörte auch Antonio José Sucre, der in der ersten Jahreshälfte Waffen in der Karibik erstanden hatte, um sich im folgenden Jahr der Unterstützung der Ecuadorianer zu widmen.

Lediglich eine Handvoll lokaler Gefechte, die meist die Patrioten für sich entscheiden konnten, sind aus diesem Jahr verzeichnet. Der einzige, der einen Feldzug führte, war José Tadeo Monagas, der vor dem ersten Waffenstillstand die Region um das heute bedeutende El Tigre und südlich davon für die Patrioten eroberte. Nach der Zwangspause wegen des Waffenstillstands vernichtete er die Spanier Anfang November unweit südlich von Barcelona. Damit hatte er den royalistischen Osten um Cumana von der Zentralregion mit einem breiten Korridor abgetrennt.

Nordöstlich von Trujillo besiegte Morillo in seinen letzten Gefecht am 18. November eine örtliche Guerilla der Patrioten, bevor er sich am 25. in Trujillo, in dem Haus, in dem Bolivar das Dekret von Krieg bis zum Tod geschrieben hatte, mit den Republikanern auf einen sechs Monate währenden Waffenstillstand einigte. Am folgenden Tag ratifizierten Bolivar und Morillo das Abkommen in Santa Ana, unweit Trujillo. Die beiden kamen überein, daß keine höheren Offiziere mehr hingerichtet werden durften, feierten gemeinsam und umarmten sich. Beide waren außergewöhnliche Feldherren, und daher ist der gegenseitige Respekt, den sie einander zollten, nachvollziehbar. Die vom Umfeld beider Seiten bestätigte innige Freundschaft, angesichts ungezählter Toten auf beiden Seiten, allerdings weniger.

Morillo, der keine Veranlassung sah, seine Ruf wegen der mangelnden Unterstützung aus Spanien weiter auf Spiel zu setzen, zog die Konsequenz und übergab Miguel de la Torre den Oberbefehl, bevor er auf die iberische Halbinsel zurückkehrte. Offenbar war sein Rücktritt als Oberbefehlshaber inzwischen auch in Spanien erwünscht.



Fortsetzung: Kap. 14.c.: Peru: die Landung von San Martin



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