Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Unabhängigkeit

Kapitel 15.d. Ecuador: Hilfe aus Neugranada

Die Niederlagen der Patrioten von Guayaquil und die gescheiterte Hilfeleistung von San Martin im vergangenen Jahr, die mit einem teilweisen Rückzug der Truppen aus Argentinien und Chile einherging, erforderte ein schnelles Eingreifen der Großkolumbier. Ende Februar trafen die ersten Truppen unter José Mires, begleitet von Kriegsgerät, vom nördlichen Nachbarn in Guayaquil ein. Anfang Mai gelangte auch Antonio José Sucre mit weiteren Soldaten und Waffen auf den Schiffen des inzwischen für Guayaquil tätigen John Illingworth ins heutige Ecuador.

Ebenso, wie die Beauftragten von San Martin, hatte auch Sucre den Auftrag, den wichtigsten Hafen des Gerichtsbezirks Quito an das Land der Auftraggeber anzuschließen. Daher wurde zuerst ein Abkommen zwischen der Regierungsjunta von José Joaquin Olmedo und Sucre am 15. Mai unterzeichnet, daß sich Guayaquil unter den Schutz Großkolumbiens stellte. Das war keine Annexion, aber es bereitete dieselbe vor. Das beunruhigte die Spanier und die örtlichen Royalisten, deren Umsturzplan zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht über die Planungsphase hinaus gedieh.

Der Spanier Nicolas Lopez, der bereits erbittert in Venezuela und Neugranada für den König gekämpft hatte, war zu Beginn des Aufstands im Hochland im vergangenen Jahr von Guerillas gefangengenommen worden. Er hatte die Seiten gewechselt, und weil er die Gelegenheit bei der Niederlage von Huachi nicht ergriffen hatte, in die Reihen der Monarchisten zurückzukehren, wurde er mit der Führung der Vorhut von Sucres Heer betraut. Mit diesen Truppen befand er sich in Babahoyo am Fuß der Anden, während Sucre sein Hauptquartier in Samborandon, auf halbem Weg nach Guayaquil aufgeschlagen hatte, wo er den Feldzug plante.

Mitte Juli tauchte das Gerücht auf, daß Melchior Aymerich, der Militärchef des Gerichtsbezirks Quito, aus dem Hochland käme, und Lopez meldete sich prompt krank. Die Royalisten in Guayaquil witterten ihre Chance, Sucre zwischen Truppen aus dem Hochland, die tatsächlich viel weiter entfernt waren, und einen Aufstand in der Hafenstadt zu isolieren. Lopez nahm, bei bester Gesundheit, den Hafen von Babahoyo an der Ria, einem schlauchartigen, meerwassergefüllten Flußtal, am 15. in Besitz und ein Fregattenleutnant führte einige Boote, sowie eine Korvette auf der Ria nach Guayaquil. Am 17. gelang es jedoch einem Artillerieunteroffizier der Marine mit fünf Kanonen den Vorstoß in einem zehnstündigen Gefecht abwehren und der erwartete Aufstand in Guayaquil, der wegen der von Sucre für die Suche nach Aymerich abkommandierten Kavallerie erleichtert gewesen wäre, fand nicht statt. Die Schiffe entkamen, aber die Spanier mußten sie im folgenden Jahr wegen mangelnder Versorgung aufgeben.

Sucre, der inzwischen begriffen hatte, was die Royalisten vorhatten, entsandte eine Truppe, die unweit südlich des Hauptquartiers Lopez bei der Umgebung stellte. Friedrich Rasch, der die Abteilung kommandierte, schlug Lopez in die Flucht. Offenbar gab es eine Verfolgung bis ins Hochland, um die Soldaten, die nicht die Seiten wechseln wollten, aufzunehmen.

Aymerich zog nun Lopez tatsächlich mit 1600 Mann entgegen, um dessen ständig schrumpfende Truppe zu unterstützen. Die verfolgenden Patrioten zogen sich daraufhin zurück ins Tiefland. Aymerich vereinigte seine Truppen mit den 1000 Mann des Pastusos Francisco Gonzales, der sich immer noch im südlichen Hochland aufhielt (s. Kap. 14.d.). Gemeinsam stießen die Monarchisten an den Fuß der Anden vor, um Sucre endgültig zu besiegen. Dieser erwartete sie in den Hügeln von Cone nahe Yaguachi, etwa 25 Kilometer östlich von Guayaquil. Sucre hatte eine Falle aufgebaut, in der er das Heer der Spanier besiegte. Aymerich und Gonzales entkamen zwar, aber aus den 600 Kriegsgefangenen dieses Tages wurde ein neues Bataillon für die Patrioten.

Sucre erlag nicht der Versuchung, anschließend im überschwenglich feiernden Guayaquil, offen den Anschluß an Großkolumbien zu fordern, denn damit wäre ein Bürgerkrieg wahrscheinlich geworden. Er hielt sich an Bolivars Anweisungen und wirkte beruhigend.

Aymerich hatte nach der verheerenden Niederlage immer noch genug Truppen zur Verfügung, um wegen der Nachrichten aus Guayaquil seinen Rückzug abzubrechen und das Hochland zu sichern. Sucre beschloß daher Anfang September, sein Heer auf die Kordillere zu führen. Er tat dies auch deswegen, weil er wußte, daß die Königstreuen über eine starke Kavallerie verfügten, der er zu wenig entgegenzusetzen hatte. Daher hielt sich sein Heer immer in einem Terrain auf, in dem die Spanier ihre Reiter nicht zum Einsatz bringen konnten.

Seine Offiziere drängten ihn jedoch bei Ambato von der Flanke des Chimborazo abzusteigen, und während er am 12. selbst ein für ihn günstiges Schlachtfeld suchte, griff sein Stellvertreter Mires, unweit Huachi die vorübermarschierenden Truppen von Aymerich an. Wie Sucre es vorausgesehen hatte, vernichtete die Kavallerie sein Heer. Er erreichte das Schlachtfeld zu spät, um noch entscheidende Weichenstellungen tätigen zu können, und so verlor er 80 Prozent seines Heeres. Damit blieb ihm nur der Rückzug ins Tiefland.

Aymerich kehrte nach Quito zurück und der aus Peru geflohene Carlos Tolra führte nun die Royalisten. Sucre erbat sowohl von Bolivar, als auch von San Martin Hilfe, um die Unabhängigkeit Guayaquils erhalten zu können. Da die Truppen erst viel später kamen, handelte er im November mit Tolra, in offenbar freundschaftlicher Atmosphäre, einen dreimonatigen Waffenstillstand aus, der ihm die Möglichkeit zum Neuaufbau gab. Mit den im folgenden Jahr eintreffenden Verstärkungen, gelang es Bolivars fähigstem Offizier, die Entscheidung im Gerichtsbezirk Quito herbeizuführen.



Fortsetzung: Kap. 16. 1822: Erfolge und Mißerfolge



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