Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Unabhängigkeit

Kapitel 17.a. Venezuela: das Ende des spanischen Expeditionsheers

Die erfolgreichen Eroberungsfeldzüge des letzten Oberbefehlshabers des spanischen Expeditionsheers, Francisco Morales, im vergangenen Jahr, hatte den Königstreuen derart erhebliche Gebietsgewinne beschert, daß die Zentralregierung von Großkolumbien nicht mehr tatenlos zusehen konnte. Neben der Koordination, bereitete sie eine Flotte unter dem bewährten José Padilla vor, der die Aktivitäten in Venezuela unterstützen sollte. Der Admiral traf im März an der Barre, die den Maracaibosee vom Golf von Venezuela trennt, mit den Schiffen von Renato Beluche zusammen, der hier seit Ende 1822 eine Blockade aufgebaut hatte.

José Antonio Paez hatte im Januar Truppen, die mit Kräften aus Ostvenezuela verstärkt worden waren, nach Westen geschickt, um Morales weitere Ausbruchsversuche zumindest zu erschweren. Die verbliebenen Soldaten belagerten den seit 1812 von den Spaniern gehaltenen Hafen Puerto Cabello ab Anfang Februar zum zweiten Mal. Während Paez in Valencia weilte, stellte Beluche eine Flottille ab, die die Versorgung Puerto Cabellos von See unterbinden sollte, während er selbst mit Padilla vor dem Maracaibosee blieb. Da Ende März die Festung Solano, die Paez mit dem Ende der ersten Belagerung aufgegeben hatte, erneut kapitulieren mußte, hatten die Bodentruppen eine Basis, von der aus sie gelegentlich einige wenige Kanonen auf die Festungen der Hafenstadt abfeuern konnten. Auch, weil Paez nicht direkt vorort war, verlief die zweite Belagerung wenig intensiv.

Der stellvertretende Amerika-Chef der spanischen Marine, Angel Laborde, hatte, nachdem er andere Aufgaben erledigt hatte, mit seinem Verband Ende April Kurs auf Puerto Cabello nehmen lassen, wo neun Schiffe unter dem US-Amerikaner John Daniels die Versorgung der Spanier blockierten. Laborde verfügte nur über sechs Schiffe, zu denen aber eine Fregatte gehörte, deren Feuerkraft die numerische Unterlegenheit mehr als ausglich. Am Kap von Patanemo, östlich von Puerto Cabello trafen die beiden Flottillen am 01. Mai aufeinander. Laborde schickte seine drei Schoner mit Vorräten in den Hafen, während er mit einer Korvette und der Fregatte die Verteidigungslinie von Daniels angriff. Mit dem Einbruch der Nacht ließ er eine zurückgehaltene Brigg mit Soldaten zwei der Schiffe von Daniels entern und nahm dabei den Verbandsführer gefangen. Die restlichen Schiffe der Patrioten entkamen zwar, mehr oder weniger beschädigt, aber die Blockade von Puerto Cabello war damit hinfällig, da die Königstreuen nun wieder über ausreichend Vorräte verfügten. Konsequenterweise hob Paez am 06., als der von dem Seegefecht erfuhr, die Belagerung auf.

Noch Ende April waren republikanische Truppen auf der Halbinsel Paraguana gelandet, denen am 01. Mai ein Sieg gegen die Königstreuen von Coro gelang. Diese versuchten, sich Richtung Puerto Cabello abzusetzen, was Paez damit unterband, daß er ihnen den Weg verlegte. Ohne daß es zum Gefecht kam, machten die Royalisten kehrt, woraufhin sie Paez verfolgen ließ. Auch von Süden, aus der Provinz Barquisimeto kam eine Abteilung, die den Ausbruch in diese Richtung verhinderte. So kehrten die Königstreuen nach Paraguana zurück, wo sie am 10. Juni bei Cumarebo endgültig besiegt wurden. Damit fiel Coro nachhaltig an die Republik und obendrein konnten die Truppen, die hier nicht mehr benötigt wurden, gegen Morales in Maracaibo eingesetzt werden.

Nach einem Blockademonat, während dem sich Padilla mit der Verteidigung der Barre von Maracaibo vertraut gemacht hatte, begann er am 07. Mai den Durchbruch seiner Flotte in den See. Innerhalb einer Woche brachte er sein Dutzend Schiffe und einige Boote an die Ostseite der Engstelle bei der Hafenstadt, wobei er lediglich ein Handelsschiff im Feuer der Geschützbatterien und den Kanonen der Festung San Carlos einbüßte. Wieso sich die Spanier bis zum 20. Mai Zeit ließen, um ihre Schiffe gegen die Patrioten zu führen, ist unklar, denn im Verbund mit den Geschützen, hätten sie die Einfahrt Padillas massiv behindern können. Padilla wehrte den Angriff ab, und fügte den Schiffen der Spanier teilweise schwere Beschädigungen, sowie den Besatzungen Verluste zu.

Da die Landstreitkräfte in Venezuela noch keine Möglichkeit gehabt hatten, einzugreifen, war es eine Abteilung von Mariano Montilla aus dem neugrenadiner Riohacha, die am 03. Juni etwa 80 Kilometer nordwestlich von Maracaibo Morales zurückschlagen konnte. Dieser Sieg eröffnete Manuel Manrique die Gelegenheit, unbemerkt mit 600 Soldaten nördlich Maracaibo anzulanden, wo er kurz darauf die hier stationierten Wachverbände zurückschlug. Sein Sieg an einem Brunnen nördlich von Maracaibo ermöglichte ihm die Einnahme Maracaibos am 16. Juni. Morales kehrte daraufhin in die Hafenstadt zurück, was Manrique zum Rückzug bewog. Allerdings nicht ohne die Infrastruktur der Königstreuen zu beschädigen. Manrique kehrte auf den Schiffen von Padilla zurück auf die Ostseite des Sees, was Morales die Gelegenheit eröffnete, die Neugrenadiner am Ort seiner Niederlage zu bezwingen und damit zum Rückzug zu bewegen.

Mitte Juli segelte Laborde von Puerto Cabello nach Maracaibo, um Morales zu unterstützen. Er brachte auf seinen fünf Schiffen, die die Flotte verstärkten, neunzig Offiziere mit, die Morales Truppen aufwerteten. Padilla hinderte die Spanier nicht an der Aktion, aber er präsentierte seine Flotte zur Schlacht. Am 17. forderte er Morales zur Kapitulation auf, aber dieser lehnte ab.

Bis zum 21.Juli hatte Padilla seine Schiffe in Position gebracht, wobei es zu kleineren Gefechten gekommen war. Beide Seiten verfügten über ein knappes Dutzend Schiffe und eine Reihe von Booten, aber während die Königstreuen 2000 Soldaten an Bord ihrer Segler hatten, konnte die Republik nur 1500 aufbieten. Am frühen Nachmittag des 24. waren Strömung und Wind für die Patrioten günstig, und Padilla, der in Trafalgar bei den Unterlegenen gewesen war, griff mit Lord Nelsons Taktik die Spanier an: in drei Linien senkrecht auf Labordes Flotte stieß er in die spanische Flotte und errang den entscheidenden Sieg. Die Spanier konnten nur drei Schiffe retten und verloren 2200 Mann in Form von Toten, Verwundeten und Gefangenen. Morales blieb keine andere Wahl, als am 03. August zu kapitulieren. Die Republikaner ließen ihn ziehen.

Die Spanier waren damit flächendeckend besiegt, aber Puerto Cabello fühlte sich nicht befleißigt, ebenfalls die Waffen zu strecken. Daher errichtete Paez Ende September die dritte Belagerung des Hafens, der unter dem Befehl von Sebastian de la Calzada stand. Er und Paez kannten sich seit Jahren, aber ihr Briefwechsel konnte die kommenden Kämpfe nicht verhindern. Paez ließ sich Geschütze aus La Guaira bringen, mit denen er die Festungen der Stadt beschoß und besetzte kampflos die Festung Trincheron im Südosten. Diese kontrollierte die Mangrovensümpfe im Osten der Stadt, die in seinen Plänen eine Schlüsselrolle spielten. In der zweiten Oktoberhälfte brachte er drei Schiffe und einige Boote aus La Guaira, die gegen die Handvoll Boote der Spanier genügte, um den Hafen zu blockieren, zumal am Monatsende auch Beluche wieder zu den Belagerern stieß.

Der Artilleriebeschuß der Republik zwang am 28. Oktober die Festung Solano vor der Stadt zur Aufgabe. Die nun günstige Ausgangsposition für Paez, bewog ihn, Anfang November die Erstürmung zu planen, zumal er erfahren hatte, daß Laborde nicht nur Vorräte, sondern auch viele Soldaten in Puerto Rico sammelte, um Puerto Cabello zu unterstützen. Paez plante, einen Teil seiner Truppen im Schutz des Mangrovenwalds von Osten an die Stadtmauer zu bringen, während andere Teile des Heeres frontal aus dem Süden angreifen sollten.

In der Nacht zum 07. November begann die Erstürmung der letzten spanischen Bastion in Venezuela. Die Artillerie hatte eine Bresche in die Stadtmauer im Süden geschlagen, und die Patrioten stürmten in die Stadt, wo die Spanier zwei Verteidigungslinien gestellt hatten. Bis zur folgenden Nacht hatten die Republikaner unter großen Verlusten nur wenig Boden gewinnen können. In der Nacht schickte Paez Verstärkungen, und die Abteilung im Mangrovenwald erstürmte die Stadtmauer im Osten. Mit dem Vordringen der Soldaten aus dem Sumpf hinter dem Rücken der Spanier und dem frontalen Verstoß auf die beiden Hauptkampflinien im Süden, konnten die Republikaner den Königstreuen entscheidende Verluste zufügen, die sie zur Aufgabe bewegten. Bei Tagesanbruch des 08. November erschienen zwei Geistliche, die die Kapitulation der Stadt überbrachten. Das heutige Castillo Libertador auf der Nordseite des Hafens, wohin sich die Spanier geflüchtet hatten, stimmte am Nachmittag einem Waffenstillstand zu, dem eine Woche später die Kapitulation der letzten Spanier in Venezuela folgte.

Der Krieg war damit nach fast 14 Jahren offiziell beendet, aber die Königstreuen waren nicht überall bereit, dauerhaft die Republik zu akzeptieren. Daher kam es immer wieder zu Aufständen, die niedergeschlagen wurden. Aus diesem Grund stellte Paez nach der Demilitarisierung eigene Milizen auf, was zu Mißstimmigkeiten mit der Regierung von Großkolumbien führte. Bolivar selbst konnte 1828 die daraus resultierenden Loslösungsbestrebungen der Parteigänger von Paez noch einmal unterbinden, aber im Frühjahr 1830 wurde Venezuela ein eigener Staat. Weitergekämpft wurde trotzdem. Einerseits war die Auflösung Großkolumbiens nicht unumstritten, und andererseits war schon zu Zeiten Großkolumbiens den Konservativen um Bolivar eine liberale Opposition erwachsen. Die Meinungsverschiedenheiten wurden zu oft militärisch ausgetragen, denn die Hauptbeteiligten waren Bolivars ehemalige Offiziere, die nach vielen Jahren des Kämpfens offenbar zu wenige Alternativen kannten.



Fortsetzung: Kap. 17.b. Neugranada: Aufstände der Königstreuen



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