Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Unabhängigkeit

Kapitel 19. 1825: Nachgang

Mit der Schlacht von Ayacucho endete offiziell die spanische Dominanz in Südamerika. Aber gab es noch einige Spanier, die nicht bereit waren, die Generalkapitulation hinzunehmen. Neben den in den beiden folgenden Unterkapiteln beschriebenen Unbelehrbaren, gab es beispielsweise den spanischen Gouverneur auf der Insel Chiloé vor der chilenischen Küste, der erst 1828 niedergerungen werden konnte. Aber wie bereits in den abschließenden Kapiteln zu Neugranada und Venezuela erwähnt, kam es in den folgenden Jahren immer wieder zu Aufständen spanientreuer Royalisten, die zwar lokal für Unruhe sorgten, aber die Republiken nicht mehr gefährden konnten.

Simon José Antonio de la Santissima Trinidad Bolivar y Palacios, dem zweifellos das größte Verdienst um die Unabhängigkeit zusteht, verstand es jedoch nicht, im Frieden zu regieren. Sein autokratischer Herrschaftsstil erzeugte Widerstand in den eigenen Reihen, den er bekämpfte, als hätte der Krieg nie aufgehört, und als ob seine Gegner Spanier wären. Schließlich, Anfang 1830, gab er auf und wollte sich ins Exil nach England zurückziehen.

Er war im Vergleich zu vor dem Krieg, als seine Familie zu den reichsten des Landes zählte, relativ arm. Das bedeutet, daß er nicht in einem Palast leben und die Bankette geben konnte, die seiner Leistung angemessen waren. Obwohl er zuerst sein Vermögen für den Krieg geopfert hatte und später die Dotierungen, die er von den Regierungen der befreiten Länder erhielt, Bedürftigen spendete, wäre er weder verhungert, noch hatte er Schwierigkeiten die Passage nach England zu bezahlen, wo ihn die Rechte zweier Minen als Pension erwarteten, die seine Schwester, seinen Anweisungen gemäß, gegen Ende der zweiten venezolanischen Republik in London deponiert hatte. Er hatte auch bis zu seinem Tod am 17. Dezember 1830 einen Leibdiener, der seinen persönlichen Besitz erbte, aber ein standesgemäßes Leben führte er nicht.

1830 fanden in Bogota zwei Umstürze statt, die ihn wieder an die Macht bringen sollten, nachdem er zurückgetreten war, aber er selbst lehnte es ab, noch einmal Präsident zu werden. Weil seine verbliebenen Freunde jedoch immer noch in Regierung oder Militär eingebunden waren, war er auf der Zuckerrohrhazienda des Spaniers José de Mier, der Quinta San Pedro Alejandrino bei Santa Marta, nicht in Gesellschaft, als er der Tuberkulose kurz nach 13 Uhr erlag. Zu diesem Zeitpunkt war sein Ruf ruiniert, und viele atmeten erleichtert auf, als sie die Nachricht von Bolivars Tod erhielten. Daher wurde er auf den Friedhof von Santa Marta begraben.

Sein treuster Offizier, Rafael Urdaneta, gründete 1842 die Bolivarianische Gesellschaft in Caracas, um seine Beisetzung in der Gruft seiner Eltern in der Kathedrale von Caracas zu erreichen. Die Beisetzung, die ohne sein bis heute unauffindbares Herz stattfand, konnte die vorhandenen Ressentiments jedoch nicht beseitigen. Als 30 Jahre später der Panteón Nacional in Caracas eingeweiht wurde, war er nicht bei den ersten, die darin beigesetzt wurden. Ein Jahr später erhielt er jedoch den Ehrenplatz in diesem an eine Kirche erinnernden Bauwerk nördlich des Zentrums von Caracas. Nun erst begann der bis heute andauernde Personenkult, der seine Vorzüge hervorhebt und seine Schwächen ignoriert.

Als geborener Großgrundbesitzer waren seine von der Aufklärung und der Französischen Revolution inspirierten sozialen Ideen nie wirklich umwälzend, auch wenn beispielsweise seine Versuche, die Lebenssituation der Urbevölkerung zu verbessern, eher unglücklich scheiterten. Vor dem Gesetz gleich, bedeutet eben nicht zwangläufig Chancengleichheit, wie sich beispielweise aus der Tatsache ablesen läßt, daß heutzutage noch nicht einmal ein halbes Prozent der Bevölkerung weit über 90 Prozent der agrarisch genutzten Kulturfläche kontrollieren. Bolivar legte mit seinen Vorstellungen von der Rolle des Militärs in der Gesellschaft den Grundstein für Militärdiktaturen und bis heute nimmt es Polizeiaufgaben wahr. Die koloniale Verwaltung, deren Ursprünge habsburgisch sind, war in vielen Punkten effektiver, als dies die Administrationen heutzutage sind. Das verwundert nicht, wenn man die nicht zu Unrecht am Ende Kolonialzeit entstandene antispanische Haltung berücksichtigt, ändert aber nichts an den Mängeln der heutigen Systeme. Diese und andere Mißstände schmälern zwar nicht Bolivars Verdienste um die Befreiung des Kontinents, gehören aber zu einer umfassenden Betrachtung der Lebensleistung des Befreiers. Wegen der nachträglichen, alles umfassenden Heroisierung Bolivars, ist dies weiten Teilen der Bevölkerung der von ihm befreiten Länder nicht bewußt. (Wie gering im Bezug auf Deutschland der Unterschied in diesem Punkt ist, zeigt das ursprüngliche Vorwort zu diesen Texten.)



Fortsetzung: Kap. 19.a. Peru: das letzte Widerstandsnest



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