Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Unabhängigkeit

Kapitel 2. 1808: Erster Versuch in Venezuela

Da Venezuela dem Mutterland am nächsten liegt, trafen hier einigermaßen zeitnah die ersten Nachrichten über das Vorgehen der Franzosen und die Reaktion der Spanier ein. (Alexander von Humboldt reiste mit einem Postschiff vom 05. Juni bis zum 16. Juli 1799, wobei er fünf Tage auf den Kanaren verbrachte.) So waren die Venezolaner am 14. Juli 1808 nicht völlig ahnungslos, als in La Guaira, dem Hafen der Hauptstadt, eine französische Brigg eintraf, deren Kapitän dem Generalkapitän Juan de Casas Bericht über die Ereignisse in Spanien erstattete, sowie die Anerkennung Josephs I. auf dem spanischen Thron, und damit die Anerkennung der Franzosen als Regierende einforderte. Casas neigte zwar dazu, sich zu fügen, erbat sich jedoch Bedenkzeit. Ein Streitgespräch zwischen einem französischen Offizier mit José Felix Ribas und dem spanischen Offizier Diego Jalon in den Straßen von Caracas brachte das Gros der Caraqueños dazu, sich gegen die Herrschaft der Franzosen zu artikulieren. Casas lenkte daraufhin ein und der französische Kapitän wurde zurück auf sein Schiff gebracht.

Im Hafen hatte inzwischen ein Schiff der Engländer angelegt, die seit der spanischen Kriegserklärung an Napoleon offizielle Verbündete waren. Die militärisch überlegenen Engländer nahmen die Franzosen gefangen und berichteten von den Juntas in Spanien. In einer Stadtratssitzung, bei der die sogenannten Mantuanos, die kreolische Elite Venezuelas, die Errichtung einer Junta, an der sie nach spanischem Recht hätten beteiligt werden müssen, aber Casas gestand lediglich zu, daß Ferdinand VII. als König anerkannt wurde.

Die Mantuanos, zu denen unter anderem auch die Familien Bolivar, Palacios, Ribas und Tovar zählten, ließen jedoch nicht locker, und so ließ Casas am 27. Juli einige ihrer Vertreter, die sich besonders vehement zugunsten einer Regierungsbeteiligung geäußert hatten, einkerkern. Da ihm jedoch die Stimmung in der Bevölkerung bekannt war, setzte er für den gleichen Tag eine Versammlung ein, die sich mit der Möglichkeit beschäftigte, eine Regierungsjunta, ähnlich wie in Spanien einzusetzen. Hier konnten sich Kreolen nach zweitägigen Beratungen durchsetzen und es wurde die Errichtung einer Junta beschlossen. Casas, der den Vorsitz übernehmen sollte, schob die Entscheidung, die Junta tatsächlich ins Leben zu rufen, jedoch immer wieder auf, bis er Nachrichten aus Spanien erhielt. Die Oberste Junta bestätigte ihn als Generalkapitän, ebenso wie die anderen wichtigen Kronbeamten, sodaß er keine Notwendigkeit mehr sah, sein Versprechen zu halten. Casas ließ auf die Oberste Junta in Spanien schwören und verbot Meinungsmache zugunsten einer eigenen Junta.

Die Unzufriedenheit der Mantuanos konnte er jedoch nicht verbieten, und auch die Einführung einer ersten Zeitung auf dem Festland, die Regierungspropaganda machte, vermochte den Drang nach Selbstbestimmung nicht zu unterdrücken. So kam es Anfang November erneut zu konspirativen Treffen der Mantuanos, die, unterstützt von dem Spanier Antonio Fernandez de Leon, am 24. November dem Generalkapitän eine Denkschrift zugunsten einer eigenen Junta überbrachten. Acht der 45 Unterzeichner, zu denen Francisco Rodriguez, Herzog von Toro y Ibarra, José Felix Ribas und Mariano Montilla gehörten, wurden verhaftet, und ein Gerichtsverfahren gegen sie eröffnet. Während der Prozeß gegen die Südamerikaner in Caracas im folgenden Mai eingestellt wurde, erhielt der in sein Heimatland überstellte Spanier Fernandez dort den Titel des Herzogs und kehrte später nach Venezuela zurück.



Fortsetzung: Kapitel 3. 1809: Anfangserfolge ohne Bestand



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