Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Unabhängigkeit

Kapitel 3.b. Ecuador: der Aufstand von Quito

Auch in Ecuador war die Bevölkerung ob der Ereignisse in Spanien beunruhigt, aber auch unzufrieden mit der Kolonialverwaltung. So trafen sich am 25. Dezember 1808 auf der Hazienda Chillo, bei Sangolqui, südlich von Quito, einige Honoratioren unter der Führung von Juan Pio Montufar, dem Herzog von Selva Alegre. Dieser hatte, eben auf diesem Sommersitz sechs Jahre zuvor Alexander von Humboldt beherbergt, und ganz sicher auch mit ihm über die Mängel in der kolonialen Ordnung gesprochen. Nun diskutierten der Herzog, sein Bruder Pedro, der Priester José Luis Riofrio, der Hauptmann Juan Salinas, der Gelehrte Juan de Larrea Villavicencio, der Neugrenadiner Juan de Dios Morales und der Peruaner Manuel Rodriguez de Quiroga über die Möglichkeiten den verhaßten Gerichtspräsidenten loszuwerden und selbst die Regierungsgeschäfte zu übernehmen. Den beiden Ausländern in der Runde sind neben ihrer patriotischen Gesinnung durchaus auch persönliche Motive zu unterstellen, da beide ihre Erwerbsgrundlage wegen des Gerichtspräsidenten Manuel Urriez, Graf Ruiz de Castilia, eingebüßt hatten.

Anfang des Jahres 1809 gediehen die Vorbereitungen, aber durch Verrat wurden einige der Anführer verhaftet. Da die Angeklagten über gute Verbindungen verfügten, kam es nicht zu Prozeßeröffnung. Nach ihrer Freilassung trafen sie sich weiterhin, diesmal im Haus von Quirogas Lebensgefährtin, die ein Vergnügungsetablissement betrieb. Sicher in Kenntnis der Ereignisse in Chuquisaca und La Paz, wurden die Vorbereitungen Anfang August abgeschlossen.

In der Nacht des 09. unterzeichneten 38 Honoratioren ein Gründungsprotokoll einer Obersten Junta in dem sie sich selbst als Volksvertreter bezeichnen. An allgemeine Wahlen war dabei nicht gedacht, lediglich die Kammer wählte aus ihren Reihen die Mandatsträger. In dem Schriftstück werden die wichtigsten Persönlichkeiten bereits mit Ämtern bedacht, die die Junta nach ihrer Gründung bestätigte. Der Herzog von Selva Alegre übernahm den Vorsitz und Larrea, Morales und Quiroga waren Minister. Den Bischof Juan Cuero y Caicedo versuchte man als Vizepräsidenten einzubinden, aber zu diesem Zeitpunkt war er nicht bereit, an dem Staatsstreich teilzunehmen. Salinas, zum Obersten befördert, wurde die militärische Führung übertragen.

Nach der Unterzeichnung des Protokolls, gegen drei Uhr nachts, überwältigte Salinas die Kolonialtruppen in ihrer Kaserne, und gegen fünf Uhr überbrachte ein Gesandter der Junta dem Gerichtspräsidenten die Nachricht, daß er abgesetzt war und unter Hausarrest stand. Gegen neun Uhr an diesem 10. August, läuteten die Glocken und es spielte eine Militärkapelle. Anschließend wurde auf den König und die neue Regierung geschworen, bevor fünfzehn weitere Honoratioren das Gründungsprotokoll unterschrieben.

Da auch bei der feierlich-pompösen Eröffnungssitzung der Junta am 16. die Bevölkerung nicht wirklich eingebunden war, sondern die Elite unter sich war, blieb, trotz Bekanntmachungen und Aufrufen der neuen Regierung, die Unterstürzung des Volkes aus, das sich weitgehend gleichgültig verhielt. Die Patrioten in den Provinzen, die die Regierung von Quito sich anzugliedern gedachten, verhielten sich ebenfalls passiv, da die Spanier dort jegliche Aufstandstendenzen ohne Schwierigkeiten unterdrücken konnten.

Der Vizekönig in Lima, José Fernando Abascal y Sousa, wies die Gouverneure von Cuenca und Guayaquil, Melchior Aymerich und Bartolomé Cucalon, Anfang September an, die spanische Ordnung in Quito wiederherzustellen und entsandte Manuel Arredondo mit vierhundert Soldaten per Schiff, um die beiden zu unterstützen. Außerdem wurden Tage später Waffen für die Operation nachgeliefert. Desgleichen verfügte der Vizekönig in Bogota dem Gouverneur von Popayan, Miguel Tacon y Rossique, eine Strafexpedition nach Quito vorzubereiten. Die Anweisungen für die beiden Vizekönige hatte die Oberste Junta in Spanien herausgegeben und von Panama aus weitere Truppen in Marsch gesetzt.

Die Patrioten reagierten mit der Mobilmachung ihrer „Phalanx von Quito“, die aus 25 Kompanien bestand. Aber auch Streit zog in ihren Reihen ein: während Juan Pio Montufar einen Rückzieher machen wollte, bestanden vor allem Morales und Quiroga darauf, sich zu verteidigen. Der Herzog verfaßte einen Brief an Abascal, indem er das Handeln der Patrioten erklärte und versprach, schnellstmöglich zur alten Ordnung zurückzukehren. Als Abascal einen Monat später antwortete, bestand er auf der völligen Wiederherstellung der Verhältnisse von vor dem Staatsstreich und die Aufnahme der vierhundert Soldaten, die er geschickt hatte. Ende Oktober wandte er sich in einem offenen Brief an die Bevölkerung Quitos, worin er die militärische Niederschlagung des Aufstands rechtfertigt, und die Einwohner zur Ruhe ermahnt.

Salinas hatte seine in drei Bataillone eingeteilten Milizen inzwischen den Angreifern entgegengeschickt. Während sich zwei davon im Süden angesichts der nahenden Übermacht durch Desertion selbst auflösten, kam es im Norden am 16. Oktober bei Funes, bereits im heutigen Kolumbien, zum ersten Gefecht der Befreiungskriege. Nach ecuadorianischer Darstellung sollen José Dupré und Manuel Aldarete das Bataillon von Francisco Javier Ascasubi, bei gleicher Truppenstärke im Kampf besiegt haben. Da allerdings Dupré nach kolumbianischen Angaben Bogota erst zwei Wochen später verließ, ist es wahrscheinlich, daß lokale Königstreue, verstärkt von Indianern, die Ecuadorianer beim Übergang über den Guaitara-Fluß trotz ihrer mangelhaften Bewaffnung überraschten und besiegten. Tags darauf sollen bei Cumbal, etwa vierzig Kilometer südlich, die Reste des 1. "Phalanx"-Bataillons endgültig aufgerieben worden sein.

Als am 18. Oktober die Nachricht von der militärischen Niederlage Quito erreichte, gaben die Patrioten auf. Der Herzog von Selva Alegre gab sein Amt an einen gemäßigten Spanier ab. Weiterhin handelte er in den folgenden Tagen die Straffreiheit für sich und die anderen Aufrührer aus. Am 24. wurde ein entsprechender Vertrag unterzeichnet und tags darauf war Ruiz de Castilia wieder Gerichtspräsident.

Weder die südecuadorianischen Truppen, die zu diesem Zeitpunkt in Tixan ihre Vereinigung mit den Peruanern erwarteten, noch die neugrenadiner Soldaten setzten ihre Strafaktion, für die nun kein Grund mehr vorlag, aus. Am 24. November erreichten die Kolonialtruppen von Süden und Norden Quito. Sie zogen ohne auf Widerstand zu treffen in der Stadt ein, und am folgenden Tag mußten die Bewohner auf Anordnung Ruiz de Castilias die Waffen abgeben. Alles verlief friedlich, und in diesem Sinne berichteten sowohl der Graf als auch Arredondo nach Lima. Während die Soldaten, deren Gros in Latacunga geblieben war, in umfunktionierte öffentliche Gebäude einquartiert wurden, und die Offiziere sich auf für sie gegebenen Empfängen amüsierten, bereitete der Staatsanwalt des Gerichtspräsidenten, Tomas de Arechaga, die Anklageschriften für die Rebellen vor, von denen der Graf vertraglich zugesichert hatte, daß es nie hätte geben dürfen (Bericht eines anonymen Zeitzeugen).

Die Junta, die unter Ruiz de Castilia anfangs weiterhin Bestand gehabt hatte, wurde nun endgültig aufgelöst, und die Anklagen gegen die Putschisten wurden auf den Weg gebracht. Montufar und einige andere konnten zwar entkommen, aber für 46 der 82 Angeklagten forderte Arechaga in den ersten Monaten des folgenden Jahres die Todesstrafe. Neben dem Wortbruch des Grafen, den ihm auch unbeteiligte Quiteños übelnahmen, sorgte die Präsenz der peruanischen Truppen, die sich auf Kosten der Zivilbevölkerung versorgten, für wachsenden Unmut. Dieser Unmut brach sich im folgenden Jahr auf fatale Weise Bahn.



Fortsetzung: Kap. 4. 1810: Flächenbrand in Spanisch-Amerika



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