Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Unabhängigkeit

Kapitel 6.a. Venezuela: Das Ende der Ersten Republik

Einzelne Aufstände der Royalisten hatten die befreiten Provinzen Venezuelas im vergangenen Jahr nicht ins Wanken bringen können, und auch die Versuche Guayanas, sich nördlich des Orinoko festzusetzen, hatten keinen nachhaltigen Erfolg. Wohl auch, weil der Regionalkommissar Cortabarria 1811 noch auf Verhandlungen gesetzt hatte, waren Coro und Maracaibo defensiv geblieben. Dies kam dem Heer der Republik im Osten des Landes zugute, denn so konnten sie einen Feldzug dort führen. Aber das Unheil braute sich schon im Westen zusammen.

Mitte Februar war der Freibeuter in Diensten der Republik, Felipe Estevez mit einer Flotte von Cumana aufgebrochen, um die Mündung des Orinoko zu besetzen. Ziel war es, die Voraussetzungen zu schaffen, daß das Guayana-Heer über den Fluß setzen konnte, um sich der wichtigen Häfen Guayana la Vieja (Los Castillos, östlich von Ciudad Guayana) und Angostura (Ciudad Bolivar) zu bemächtigen. Am 27. Februar besiegte Estevez die spanische Flotte in der Orinokomündung bei Macareo und schuf so die Möglichkeit, die Truppen überzusetzen. Offenbar brauchten die Republikaner noch gut drei Wochen Vorbereitung, bis sie mit dem Übersetzen ihrer Soldaten begannen.

Was bei Angostura, wo Francisco Javier de Sola die Belagerung der befestigten Stadt am 22. März einleitete, offenbar ohne Schwierigkeiten gelang, geriet beim Hauptkörper des Heeres am 26. zur Katastrophe. Manuel Villapol hatte seine 1600 Soldaten bei Sorondo (am Nordufer des Orinoko zwischen Ciudad Guayana und Guayana la Vieja) zum Übersetzen aufgestellt, als Francisco de Sales Echeverria, der Ende Februar in der Seeschlacht gegen Estevez unterlegen war, die weiter flußabwärts postierten Schiffe des Blockadegürtels gegen Abend angriffen, einige zerstörten, und nach Einbruch der Nacht, einige andere kaperten und nach Sorondo fuhren. Als Villapol am Morgen des 26. bemerkte, daß die Schiffe mit Royalisten besetzt waren, versuchte er vergeblich seine Kanonen in Stellung zu bringen. Die Spanier eröffneten das Feuer mit Kartätschen und zwangen die Republikaner so zum Rückzug, da die Schiffe von Estevez zu weit weg waren, um einzugreifen. Damit war der Feldzug gescheitert, die Republikaner verloren ihre Ausrüstung, und de Sola wurde eingeschlossen, was ihn zwei Wochen später zur Aufgabe zwang. In der Folgezeit führten die Königstreuen von Guayana Feldzüge nach Norden, denen der neuernannte Oberkommandierende Villapol zu wenig entgegenzusetzen hatte, und wegen der Angriffe aus den Westen keine Verstärkungen mehr erhielt. Letztlich konnten die Spanier den Osten des Landes zurückerobern.

Schlimmer noch als diese Niederlage, war das Erdbeben, das am selben Tag, dem 26., Caracas in Schutt und Asche legte, wobei rund ein Viertel der damals vierzigtausend Einwohner direkt oder an den Folgen in den nächsten Tagen umkamen. Bolivar proklamierte zwar, daß man auch gegen die Natur kämpfen müsse, wenn diese sich gegen die Republik stelle, aber die Aufräumarbeiten zogen sich über Wochen hin und der Regierungssitz konnte erst sechs Wochen später nach La Victoria verlegt werden. Auch, wenn die Kolumbianer in Pamplona, die das Beben ebenfalls gespürt hatten, humanitäre Hilfe leisteten, war dieses Ereignis für den Untergang der Ersten Republik entscheidend.

Die Königstreuen von Maracaibo und Coro hatten inzwischen einen Feldzug unter den Fregattenkapitän Domingo de Monteverde ausgerüstet, der in den Tagen vor dem Erdbeben royalistische Aufstände zur Verstärkung seiner ursprünglich nur 250 Soldaten nutzte. Das Erdbeben, das auch in den Anden schwere Schäden verursacht hatte, verhinderte die Unterstützung der angeschlagenen Hauptstadt, denn mit seiner immer noch relativ geringen Truppenstärke hätte Monteverde der Republik kaum gefährlich werden können. So allerdings konnte er ungehindert, ständig sein Heer vergrößernd, auf Valencia marschieren. Die vom republikanischen Oberbefehlshaber Miranda entgegengeschickten Truppen besiegte Monteverde im April und auch Umgehungsversuche, die ihn zur Umkehr bewegen sollten, erfüllten ihren Zweck nicht. Um seine Soldaten zu versorgen, ließ Monteverde republikanische Orte auf dem Weg und im Hinterland plündern. Anfang Mai besetzte er Valencia und hielt den Gegenangriffen der Patrioten stand.

Miranda, der inzwischen wegen der prekären Lage zum Militärdiktator avanciert war, zog Monteverde entgegen, aber auch er war gezwungen, sich in befestigte Defensivstellungen nördlich des Valenciasees zurückzuziehen. Monteverde beschloß daraufhin die Südumgehung des Sees. Da er dort auf Widerstand stieß, führte er Mitte Mai nun doch den Frontalangriff auf Miranda in den Hügeln nördlich des Sees. Mirandas zahlenmäßig überlegene Truppe wurde dabei weit nach Osten zurückgedrängt. Südlich des Valenciasses konnte vor allem José Felix Ribas die Royalisten in der zweiten Maihälfte allerdings aufhalten.

Zur gleichen Zeit versuchte Miranda mit einen Kavallerietrupp, der sich nach Süden, auf die Llanos zu, bewegte, die Aufmerksamkeit Monteverdes vom Regierungssitz La Victoria abzulenken. Der mit einer Cousine Bolivars verheiratete Edinburgher Gregor MacGregor, der im Vorjahr nach Venezuela gekommen war, durchbrach die Linien der Spanier und gelangte bis Calabozo. Monteverde hatte eine Kavallerie-Abteilung hinterher geschickt, die die Erfolge MacGregors zunichte machte, aber letztlich hatte Miranda sein strategisches Ziel erreicht, die Spanier abzulenken.

Derart vorbereitet, konnte Miranda am 10. Juni Valencia zurückerobern. Monteverde. Der wußte, daß er nicht die Mittel besaß, die zahlenmäßig überlegenen Patrioten in der Stadt zu besiegen, umging die Stellungen Mirandas, der daraufhin die Stadt wieder aufgeben mußte, um die Einnahme des Regierungssitzes La Victoria zu verhindern. Monteverde gelang es, die Raumdeckung Mirandas am 17. zu durchbrechen und sich in San Mateo festzusetzen. Seine Angriffe am 20. und 29. auf La Victoria wurden allerdings für ihn verlustreich zurückgewiesen.

Dieses Patt brach letztlich Simon Bolivar zugunsten der Spanier auf. Er war im Mai als Militärkommandant nach Puerto Cabello, dem einzig befestigten Hafen des Landes, gekommen, und seit Ende Juni mußte er mit einem Aufstand der königstreuen Gefangenen in den Kerkern kämpfen. Nach einer Woche, in der es Bolivar nicht geschafft hatte, den Aufstand zu unterdrücken, öffnete einer seiner Unterleutnants die Gefängnisse und Bolivar floh. Die Verstärkungen und die Ausrüstung aus Puerto Cabello, das erst 1823 als letzte Stadt zurückerobert werden konnte, verliehen dem Feldzug Monteverdes neuen Auftrieb.

Obwohl numerisch immer noch überlegen, ließ sich Miranda, der inzwischen Schwierigkeiten hatte, sein Heer zu versorgen, ab dem 12. Juli auf Verhandlungen mit Monteverde ein. Es gab zwar noch Gefechte, aber am 25. kapitulierte Miranda vor Monteverde, obwohl er noch fast über dreimal so viele Soldaten verfügte. Da damit auch die Republik und die Eigenständigkeit endeten, nahm eine Gruppe von Offizieren unter Führung Bolivars Miranda in der Nacht des 30. Juli gefangen und lieferten ihn an die Spanier aus. Die Spanier machten ihm den Prozeß und der bedeutendste Vorkämpfer der Unabhängigkeit Venezuelas starb 1816 im spanischen Cadiz im Kerker.

Der Feldzug von Monteverde war entscheidend für das Ende der Republik in Venezuela, aber es war bei weitem nicht der einzige, den die Royalisten führten. Neben den Feldzügen von Guayana aus nach Norden, hatte Maracaibo Ramon Correa y Guevarra in die Anden geschickt, und Antonio Tizcar unterwarf Barinas und das heutige Apure.

Der Wochen später vom Regentschaftsrat zum neuen Generalkapitän Venezuelas beförderte Monteverde begann mit Strafmaßnahmen gegen die Patrioten, die es nicht rechtzeitig geschafft hatten, das Land zu verlassen, sich bald auch auf Zivilisten erstreckten. Acht führende Vertreter der Ersten Republik wurden als „Monster“ nach Spanien verfrachtet und abgeurteilt. Sie wurden zu Gefängnis und Verbannung, aber nicht zum Tod verurteilt, während in Venezuela erneut die Verhältnisse von vor dem 19. April wiederhergestellt wurden. In den schwer zugänglichen Regionen im Süden des Landes und im Exil auf Antilleninseln, sowie in Neugranada, bereiten die Patrioten ihre Rückkehr vor.



Fortsetzung: Kap. 6.b. Ecuador: Die endgültige Zerschlagung der Patrioten



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