Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Unabhängigkeit

Kapitel 8.d. Neugranada: die Katastrophe von Pasto

Im Norden des Vizekönigreichs kam es Anfang des Jahres zu einer Feuerpause, die Verhandlungen zwischen Cartagena und Santa Marta ermöglichte, die letztlich die verfahrene Situation jedoch nicht bereinigen konnten. Cartagena nutzte die Gelegenheit, um eine Expedition ins panamesische Portobelo zu schicken, das Teil Neugranadas war. Der US-amerikanische Freibeuter Renato Beluche scheiterte jedoch mit seinem Angriff Mitte Januar. In März operierte wieder eine Division von Cartagena südlich von Barranquilla am Rio Magdalena. Militärisch war der Konflikt trotz zwischenzeitlicher Erfolge der Republikaner nicht zu lösen.

Um Pamplona, wo Santander im Oktober vernichtend geschlagen worden war, nicht dauerhaft an die Königstreuen zu verlieren, hatte der Bund der Provinzen eine sechshundert Mann starke Truppe unter dem aus Venezuela gekommenen Gregor MacGregor aufgestellt. Mit Santander als Stellvertreter, marschierte das Heer nach Pamplona und Cucuta. Die beiden Städte hatten die königstreuen Guerilleros inzwischen aufgegeben. Im Februar zerschlugen MacGregor und Santander die Aufständischen und die sie unterstützenden Venezolaner. Anfang März stand das Grenzgebiet zu Venezuela wieder vollständig unter der Kontrolle der Republik, da zu diesem Zeitpunkt in Venezuela die Zweite Republik bestand.

In der Provinz Popayan, wohin Antonio Nariño, der Präsident der Cundinamarca selbst einen Feldzug zur Abwehr des aus Ecuador vorgestoßenen Juan Samano unternommen hatte, erfolgte die wichtigste Weichenstellung des Jahres. Samano hatte den größeren Teil seiner Truppen zur Unterwerfung von Cali ausgesandt, bevor er sich vor den Truppen der Republik aus der Stadt Popayan zurückgezogen hatte. Nach der Einnahme von Cali beorderte Samano die Abteilung wieder zurück, während er mit den restlichen Soldaten bei Calibio wartete. Da die Republikaner im Anmarsch waren, hatte Samano zur Eile gedrängt, war seinen Truppen allerdings nicht mit dem Rest des Heeres entgegengezogen. Als die von einem Nachtmarsch erschöpften Royalisten am 15. Januar zu ihrem Chef stießen, beschlossen die Patrioten den sofortigen Angriff im Morgengrauen, um die Ermüdung des größten Teils der Spanier zu nutzen. Samano verlor fast die Hälfte seiner Soldaten und floh nach der Schlacht nach Pasto.

Da der aus Antioquia zu Nariños Heer gestoßene José Ignacio Rodriguez dem Kommandeur der Abteilung nach Cali nach dessen Tod den Kopf abgeschlagen und eine Hetzrede gehalten hatte, kam es zum Streit mit Nariño. Dieser eskalierte, als der Präsident der Cundinamarca das Verhalten von Rodriguez öffentlich machte. Letztlich entschied dieser Streit den Ausgang des Feldzugs.

Wegen Versorgungsschwierigkeiten des Heeres verzögerte sich der Abmarsch der Patrioten bis in die zweite Märzhälfte, womit das Erreichen des Ziels Pasto vor dem Ende der Regenzeit ausgeschlossen war. Anfang April begann der Aufstieg aus dem Tal des Rio Patia zu dem 2800 m hoch gelegenen Pasto. Zwischen dem 12. und 25. April versuchten die Patrioten vergeblich, den etwa 35 Kilometer nördlich von Pasto fließenden Rio Juanambu zu überqueren. Einerseits hatte die Regenzeit den Fluß anschwellen lassen, und andererseits lag auf der Südseite Melchior Aymerich, der Samano abgelöst hatte, mit einem von Pastusos verstärkten Heer aus Ecuador. Ab dem 26. gelang es den Patrioten auf der anderen Flußseite endgültig Fuß zu fassen, auch weil Aymerich sich zurückzog. Am 04. Mai konnte Aymerich am Cerro de Cebollas, etwa 20 Kilometer vor Pasto, den Vormarsch Nariños stoppen, wobei die Patrioten schwere Verluste hinnehmen mußten. Den Republikanern blieb nichts anderes übrig, als sich einen anderen Weg zu suchen, der bei Tacines am 09., wieder mit Verlusten, nach mehreren Stunden freigekämpft werden konnte. Obwohl die Spanier nur geringe Verluste zu beklagen hatten, zog sich Aymerich hinter Pasto zurück und überließ die Stadt damit den Patrioten.

Am nächsten Tag erreichte das Heer der Republik die Royalistenhochburg und präsentierte sich am Nachmittag vor den Toren zur Schlacht. Bis nach Einbruch der Nacht griffen die Pastusos fünf Mal an, aber anstatt der fälligen Niederlage, erzeugte der letzte Angriff Unordnung bei Nariños Soldaten, da sich eines der drei Bataillone als geschlagen zurückzog, während das Bataillon des Präsidenten der Cundinamarca zum Ortseingang vorstieß. Das dritte Bataillon wartete zuerst auf dem Schlachtfeld, folgte dann aber mit mehrstündiger Verspätung Nariño. Da das besiegte Bataillon zum Lager zurückkehrte, und Nariño bis Mitternacht auf Unterstützung hatte warten müssen, zog auch er sich zurück.

Rodriguez, der das Kommando im Lager führte, glaubte an die Niederlage, die das zurückgekehrte Bataillon vermeldete, aber er versuchte nicht herauszufinden, was wirklich geschehen war, sondern ließ die Geschütze versiegeln und ordnete den die Rückkehr nach Popayan an. Als Nariño zurückkehrte, fand er das Lager verlassen vor, und seine Soldaten begannen zu desertieren. Da er befürchten mußte, daß ihn die Guerillas von Pasto umbringen würden, wenn seine Truppe zu sehr geschrumpft war, stellte er sich am 14. Mai in Pasto den Königstreuen.

Der Gerichtspräsident von Quito, Toribio Montes forderte zwar seine sofortige Hinrichtung Nariños, aber da viele der Pastusos Verwandte in Cali hatten, die in der Gewalt der Republikaner waren, wurde der Anordnung nicht entsprochen. Camilo Torres, der nun als Kongreßpräsident ohne zentralistische Einengung das Land führen konnte, hatte kein Interesse an Verhandlungen mit den Spaniern, um Nariño zu befreien. Dieser wurde über Quito und Lima nach Cadiz gebracht, wo er bis zum März 1820, als der Aufstand von Rafael del Riego die liberale Verfassung von Cadiz wieder einführte, in Haft blieb. Der Feldzug hatte gut ein Drittel des Heeres verschlungen und die Provinz Popayan blieb geteilt. Ihr Südteil eröffnete wegen der königstreuen Gesinnung den Ecuadorianern immer wieder die Möglichkeit Feldzüge nach Neugranada zu schicken, um die Republik zu destabilisieren. Ende Dezember fiel daher die Stadt Popayan einem erneuten Feldzug aus Ecuador unter Aparicio Vidaurrazaga zum Opfer.

Zwei Wochen nach dem fatalen Ende des Feldzugs von Pasto wurde Manuel Bernardo Alvarez zum Nachfolger Nariños in Bogota gewählt, aber ohne seinen profiliertesten Vertreter zeichnete sich der Niedergang des Zentralismus ab. So konnte Bernardo Alvarez Anfang August kein Friedensabkommen mit Ecuador durchsetzen, weil der Bundeskongreß blockierte. Die Verhandlungen über die Landeseinheit zwischen der Cundinamarca und dem Kongreß, die zur selben Zeit begannen, scheiterten an unüberbrückbaren Meinungsverschiedenheiten, und daran, daß Bogota immer noch auf seinem Anspruch bestand, das Land zu führen. Als Konsequenz kündigten Mariquita und einige Gemeinden den Bund mit der Cundinamarca auf.

Anfang Oktober, als die Amtszeit von Camilo Torres auslief, beschloß der Kongreß die Bildung eines Triumvirats, um, kriegsbedingt notwendig, schnellere Entscheidungen treffen zu können. José Maria Castillo y Rada stand ihm nur zwei Monate vor, bevor ihn Custodio Garcia Rovira ablöste.

Nachdem in Venezuela die zweite Republik gefallen war, flohen erneut viele Patrioten nach Neugranada. Anfang November traf Rafael Urdaneta mit den Resten des Westheeres in der Provinz Pamplona ein. In Tunja, am Sitz des Kongresses, traf er den auf dem Seeweg über Cartagena gekommenen Bolivar. Dieser erhielt den Geheimauftrag, die Zentralisten Bogotas militärisch zu entmachten. Anfang Dezember bezog er vor der Stadt Stellung mit Urdanetas tausend Soldaten. Nachdem eine Attacke der Zentralisten an Bolivars Verteidigung gescheitert war, setzte Bernardo Alvarez auf Verhandlungen. Als auch diese ergebnislos endeten, eroberte Bolivar Bogota am 12.. Daß er die Stadt plündern ließ, schmälerte seine Reputation nicht unerheblich.

Der Sieg und die damit verbundene Entmachtung der Zentralisten, war zwar ein Schritt hin zur Herstellung der Einheit des Landes, aber, wie das folgende Jahr zeigt, waren damit noch längst nicht alle Meinungsverschiedenheiten beseitigt, obwohl es gerade 1815 von entscheidender Bedeutung gewesen wäre, geschlossen gegenüber den Spaniern aufzutreten.



Fortsetzung: Kap. 9. 1815: Die Expedition der Spanier



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