Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Unabhängigkeit

Kapitel 9.c. Neugranada: der Anfang vom Ende

Die Ereignisse in Neugranada dieses Jahres sind durch spanische Einfälle gekennzeichnet. Aus dem zurückeroberten Venezuela nach Pamplona, aus Ecuador in die Provinz Popayan, und von See her auf Cartagena de Indias. Trotzdem hörten die inneren Streitereien nicht auf.

Sebastian de la Calzada hatte die Truppen von José Yañez nach dessen Tod übernommen und sich an der Verfolgung Rafael Urdanetas in Westvenezuela beteiligt. Mit dem Regiment Numancia plante er im Januar bis nach Casanare vorzustoßen. Daher belagerte er die Patrioten in Guasdualito, nur wenig nördlich der Grenze zu Neugranada. Den Patrioten, zu denen auch José Antonio Paez gehörte, gelang es am Monatsende die Belagerung aufzubrechen und die geschlagenen Spanier weit nach Norden zurückzutreiben. So war de la Calzada gezwungen, seine Truppe neu aufzubauen, weswegen sich sein Vorstoß um ein halbes Jahr verzögerte.

Nachdem Bolivar die Zentralisten Bogotas militärisch zur Räson gebracht hatte, entwickelte er einen Plan zur Befreiung der Nordküste, da er ahnte, daß er nicht mehr viel Zeit haben würde, bis Ferdinand VII. sein Expeditionsheer in Marsch setzen würde. Bis Mitte Januar hatte er den Kongreß davon überzeugt, daß er von Cartagena aus über Santa Marta und Riohacha bis nach Maraciabo und Coro in Venezuela vorstoßen mußte, um den Spaniern aus dem Mutterland die Anlandung zumindest zu erschweren.

Mit 2000 Soldaten verließ er am 23. die Hauptstadt, um sich in Cartagena mit Geschützen und Schiffen zu versehen, damit er seine Vorstellung von der Rückeroberung umsetzen konnte. Er besiegte die Royalisten Santa Martas auf dem Weg entlang dem Rio Magdalena im Februar und gelangte an den ehemals wichtigsten Goldverladehafen der Spanier in der Neuen Welt. Manuel Castillo y Rada, der nach Aufständen und Putschen in der Stadt den militärischen Oberbefehl übernommen hatte, weigerte sich jedoch Bolivar die benötigte Ausrüstung zu geben. Auch die Interventionen des Kongresses halfen nicht, den seit den Geschehnissen auf der Ostkordillere 1813 (Kapitel 7.b.) gegen Bolivar eingenommenen Castillo zum einlenken zu veranlassen. Bolivar verlor die Geduld und errichtete, mit dem Segen des Kongresses, Ende März eine Belagerung Cartagenas.

Mit dem Eintreffen der Nachricht von Morillos Landung in Venezuela Ende April, wurde die Auseinandersetzung zur Farce. Anfang Mai unterzeichneten Vertreter beider Seiten (aber nicht die beiden Hauptbeteiligten) einen Friedensvertrag, und Bolivar setzte sich nach Jamaika ab. Hier schrieb er Anfang September, trotz der verfahrenen Lage der Patrioten seinen visionären Brief aus Jamaika, in dem er die Befreiung der Kolonien von Venezuela bis Oberperu ankündigt. Bald darauf brachte ihn ein von Morillo organisierter Mordanschlag, der in der Dunkelheit scheiterte, auf den Boden der Tatsachen zurück.

Die Royalisten von Santa Marta hatten derweil die Gelegenheit des inneren Unfriedens bei den Patrioten ergriffen, um den unteren Magdalena weitgehend unter Kontrolle zu bringen. Barranquilla, Magangué und Mompos fielen ihnen im April und Mai in die Hände. Da den Patrioten nach dem Weggang Bolivars die Führung fehlte und sich Castillo selbst diskreditiert hatte, kam es nur zu mangelhaften Versuchen, die Gebietsverluste rückgängig zu machen. Im Gegenteil, Cartagena, das sich eigentlich auf die Belagerung von Morillo vorbereiten wollte, mußte die zurückgelassenen Truppen versorgen.

Aparicio Vidaurrazaga hatte im vergangen Dezember, aus Quito kommend, Popayan erobert und das Umland unter seine Kontrolle gebracht. Ende Juni brach er erneut auf, um nach Norden ins Tal des Rio Cauca vorzustoßen. Die neugrenadiner Süddivision, die José Maria Cabal führte, hatte eine Vorhut unweit nördlich von Popayan stationiert, um auf den sich abzeichnenden Vorstoß von Vidaurrazaga vorbereitet zu sein. Die hoffnungslos unterlegene Vorhut zog sich nach einem kurzen Gefecht am 30. Juni zurück, um mit der Division am Rio Palo, knapp 50 Kilometer südlich von Cali, den Angriff der Königstreuen am 04. Juli zu erwarten. Im Schutz der folgenden Nacht überquerten diese den Fluß und attackierten im Morgengrauen. Cabal gelang es mit nur geringen eigenen Verlusten, die Spanier in die Flucht zu schlagen. Wegen der Verfolgung, gaben die Spanier Popayan preis, aber die Neugrenadiner verfügten nicht über den nötigen Nachschub, um den Feldzug nach Pasto fortführen zu können.

Sebastian de la Calzada hatte seine Truppen nach der Niederlage im Januar neu geordnet und drang ab Juni massiv in die Provinz Pamplona ein. Obwohl nur ein Teil seines Regiments, etwa 900 Mann, nach Neugranada vorgestoßen war, blieb Santander, der lediglich 500 Soldaten hatte, nur die Defensive. Nahe dem heutigen Pamplonita, verschanzte er sich auf einem Berg. Da seine unterversorgten Truppen zur Desertion neigten, und der Kongreß in Ocaña 300 Mann bereitstellte, begab er sich Anfang Juli an den Westrand der Ostkordillere. Da am Magdalena, hinter ihm, erneut die Royalisten von Santa Marta auf dem Vormarsch waren, und vor ihm die Truppen de la Calzdadas, beschränkte er sich auf die Rettung seiner Soldaten durch die Umgehung der gegnerischen Truppenteile.

Pablo Morillo, der mit dem spanischen Expeditionsheer im April nach Venezuela gekommen war, hatte dort einen Teil seiner Truppen zurückgelassen und erreichte Mitte August mit seiner Flotte die Gewässer vor Venezuela. Anfang August hatte er Francisco Morales mit 2000 Llaneros von Caracas auf dem Landweg nach Cartagena geschickt. Die Spanier errichteten eine recht effektive Seeblockade vor dem Hafen und landeten ihre Truppen an. Danach, am 20., begann offiziell die Belagerung Cartagenas.

Die leeren Kassen hatten eine angemessene Instandhaltung der Festungsanlagen verhindert, die die Stadt in ihrer Geschichte schon vielfach vor Angriffen geschützt hatten, und die Belagerung Bolivars hatte die Vorratslager geleert, so daß die Stadt weit von einem guten Verteidigungsstatus entfernt war. Da die Hafeneinfahrt durch die Halbinsel Baru und die Insel Tierrabomba, auf der sich eine Reihe von Befestigungen gut geschützt ist, konnten die Spanier nicht einfach in die Bucht von Cartagena einfahren. In den folgenden Wochen wurde um die Festungen am Zugang zur Bucht und auf der Insel Tierrabomba heftig gekämpft. Die heutige Altstadt liegt innerhalb der Stadtmauer und vor den Toren befinden sich die nahezu uneinnehmbare Festung San Felipe und dahinter ein Hügel mit Kloster, die Popa. Durch en Canal del Dique, der den Rio Magdalena mit der Bucht von Cartagena verbindet, standen den Verteidigern der Stadt anfangs noch Nachschubmöglichkeiten zur Verfügung, die die Spanier jedoch im Lauf der Zeit kappten.

Der im Januar in Cartagena angekommene Henri Louis Ducoudray Holstein befehligte die größte der Festungen in der Hafeneinfahrt, Bolivars Verwandtem Florencio Palacios unterstand San Felipe, Francisco Bermudez und Carlos Soublette verteidigte die Popa, der Spanier Manuel Cortes Campomanes führte eine Bastion in der Stadtmauer und Antonio José Sucre ließ sein Wissen als Pionier in den Festungsausbau einfließen. In der Cienaga de Tesca, einer Lagune im Nordwesten, lagen die Schiffe von Rafael Tono, und Luis Aury führte die Flotte in der Bucht von Cartagena. Alle diese nicht aus Neugranada stammenden Offiziere kommandierte Manuel Castillo y Rada, dem der Venezolaner Mariano Montilla als Stabschef zur Seite stand. Insgesamt waren es etwa dreieinhalbtausend Patrioten, die rund 10.000 Belagerern (inklusive den Reitern von Morales) gegenüberstanden.

In kleinen Gefechten mußten die Patrioten immer größer werdende Teile des von ihnen kontrollierten Umlandes in Verlauf der folgenden Wochen aufgeben. Auch erlangten die Versorgungslinien auf den Kanälen fielen den Spaniern bis ende September in die Hände, und die Freibeuter, die gelegentlich die Seeblockade durchbrechen konnten, brachten nie ausreichend Nahrung, um die Eingeschlossenen zu versorgen.

Mitte Oktober wurde Castillo y Rada aus dem Amt geputscht und Francisco Bermudez führte die Patrioten an. Aber auch er konnte nicht verhindern, daß Ende Oktober Morales einige Festungen auf der Insel Tierrabomba nach mehrtägigen Angriffen erobern konnte. Damit hatte die spanische Flotte Zugang zur Bucht. Morillos Stellvertreter Pascual Enrile, ein Admiral aus Puerto Rico, nutze diesem Umstand, um die Stadt von See aus zu bombardieren. Mitte November hatte die Spanier die ganze Insel unter Kontrolle.

Anfang Dezember begannen die Wachen auf ihren Posten zu verhungern, aber auch die Spanier wurden durch sich in ihrem Heer ausbreitende Krankheiten dezimiert. Am 05. Dezember verließen 3000 Patrioten auf 16 Schiffen die Stadt und durchbrachen die Seeblockade. 13 der Schiffe wurde nachträglich gestellt und die Patrioten zum Großteil hingerichtet. Luis Aury, der Soublette, Sucre, Bermudez, Ducoudray, Montilla und andere an Bord hatte, gelangte nach Haiti, wo die Überlebenden Bolivar wiedertrafen und sich ihm anschlossen. Als Morillo nach über 100 Tagen Belagerung in Cartagena einzog, ohne, daß irgend jemand kapituliert hatte, lagen Hunderte von Verhungerten auf der Straße. Mit den von den Spaniern auf der Flucht ergriffenen und exekutierten Separatisten, und den tausend, die in den folgenden Tagen an Mangelernährung starben, hatte die Belagerung 9300 Tote gekostet. Aber auch Morillo hatte rund 3500 Soldaten verloren. In beiden Fällen starben die Menschen nur zu einem geringen Teil in den eigentlichen Kriegshandlungen.

Bereits im September hatte Morillo vier Gruppen eingeteilt, die sich um die Unterwerfung des Rests von Neugranada kümmern sollten. Francisco Warleta stieß auf den Flüssen Cauca und Nechi nach Süden, in die Provinz Antioquia vor, Julian Bayer folgte der Küste Richtung Südwesten bis in den Choco, und Donato Ruiz de Santacruz folgte dem Rio Magdalena nach Honda. Miguel de la Torre stieß zu den Truppen von Sebastian de la Calzada auf der Ostkordillere.

Warleta, der Vicente Sanchez Lima vorschickte, und Bayer besiegten die Patrioten nachhaltig und ließen noch im September die Orte, durch die sie zogen, auf Ferdinand VII. schwören. Bis weit ins nächste Jahr hinein, ließen Morillo und seine Offiziere 7000 Patrioten offiziell exekutieren. Sanchez Lima stieß im Oktober in kleinen Gruppen weiter nach Süden vor und eroberte das Vorland der Zentralkordillere. Ruiz de Santa Cruz konnte durch die von den Royalisten Santa Martas eroberten Teile des Oberlaufs des Rio Magdalena an den mittleren Flußabschnitt gelangen, ohne auf größere Gegenwehr zu treffen. De la Torre stieß erst im folgenden Jahr zu de la Calzada auf der Ostkordillere.

De la Calzada war, nachdem er die Provinz Pamplona weitgehend unter seine Kontrolle gebracht hatte, im Oktober den Ostabhang der Anden nach Casanare marschiert. In Chire traf er auf Joaquin Ricaurte, der mit seiner, auch waffentechnisch überlegenen Kavallerie, den Vorstoß am 31. jäh beendete. Der Spanier zog sich erneut auf die Ostkordillere zurück. Hier hatte inzwischen Rafael Urdaneta mit einer Division des Kongresses die Rückeroberung eingeleitet. Als er von der Ankunft de la Calzadas erfuhr, der auf dem Weg einige Gefechte zu bestreiten gehabt hatte, zog er im von Norden entgegen, und am Rio Chitaga, knapp 50 Kilometer östlich von Bucaramanga, kam es am 25. November zur Schlacht. Urdaneta hatte sich darauf verlassen, daß der Fluß an dieser Stelle unpassierbar, aber die Spanier schafften den Übergang auch außerhalb der Furt, die er verteidigte, und er verlor nahezu das ganze Heer an diesem Tag. Wieder drangen die Spanier nach Pamplona ein, und Santander, dem es vorher nicht gelungen war, zu Urdaneta durchzubrechen, traf südlich von Bucaramanga auf die geschlagenen Reste Urdanetas. Zu dieser Zeit mußte er auch die Abkommandierung von 200 Soldaten hinnehmen, die nach Casanare geschickt wurden. Diese Truppen erweiterte José Antonio Paez später zu seinen berühmten Bravos de Apure. Bis zum Anfang des nächsten Jahres schuf Santander mit Freiwilligen ein neues Heer von rund zweieinhalbtausend Mann. Ab Mitte Dezember führte Custodio Garcia Rovira die Division. Die Präsenz dieser Truppen verhinderte den weitern Vormarsch der Royalisten nach Süden.

Die Erfolge der Spanier hatten in Bogota zu der Einsicht geführt, daß ein Triumvirat nicht geeignet war, um in diesen Kriegszeiten das Land angemessen zu regieren. Daher kehrte man Mitte November zu dem Modell eines Präsidenten zurück. Camilo Torres war nur unter der Vorraussetzung, daß mit den Spaniern verhandelt würde, bereit das Amt zu übernehmen. Er hielt die Republik bereits zu diesem Zeitpunkt für tot. Die Spanier gaben ihm mit der Rückeroberung des Vizekönigreichs im folgenden Jahr Recht.



Fortsetzung: Kap. 10. 1816: Spanische Übermacht



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