Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher
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Neuigkeiten zu meiner Arbeit am Unabhängigkeitskrieg


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Ich hätte absolut nichts dagegen gehabt, wenn ich im Rahmen meines Abschlußkapitels so etwas hätte schreiben können, wie „Und, wenn sie nicht gestorben sind, …“. Dies entspricht jedoch keineswegs der Realität – und verschafft mir Mehrarbeit. Das dicke Ende kommt nicht ganz unverhofft, und ist doch von überraschender Dauerhaftigkeit. Seit Bolívar 1815 einen durchaus sinnvollen Feldzug wegen innerer Streitigkeiten nicht hatte durchführen können, legte er Wert darauf, sich nicht von Parlamenten einschränken zu lassen. Was im Krieg Sinn und größtenteils auch Berechtigung hatte, war im Frieden äußerst hinderlich. Aber Bolívar hatte sich an seine unumschränkte Macht derart gewöhnt, daß er sie nicht mehr aufgeben wollte. Die, nun doch, gegenüber den vorangegangenen Kapiteln, nicht kürzere, Darstellung der Ereignisse bis zum Auseinanderbrechen Großkolumbiens soll hier nicht vorweggenommen werden, aber auf einige der bis heute spürbaren Folgen hingewiesen werden. Bolívar schrieb mehrfach, daß er vor der Entscheidung stand, zum Tyrannen zu werden, wenn er Großkolumbien nicht verlassen würde. Wahrscheinlich war seine Entscheidung bereits gefallen, als er begann sich dazu zu äußern, es gab nur Gelegenheiten, in denen er sie hinterfragte. Zumal, wenn es Tote gegeben hatte.


Da das Militär den Krieg gegen Spanien gewonnen hatte – und Bolívar sich als obersten Soldaten betrachtete –, wurden sämtliche Versuche zunichte gemacht, dieses einer Verfassung zu unterwerfen. Bolívar hätte hier zum Vorbild auch in den neuen Republiken im Süden des Kontinents werden können, wo sich das Militär ebenfalls verselbständigte. Man muß nicht auf die unzähligen Militärputsche Bezug nehmen, die der Kontinent erlebte, eine alltägliche Kontrolle auf der Straße, kann auf dem amerikanischen Kontinent nicht nur durch Polizei, sondern auch durch Militär oder Nationalgarde erfolgen. Bolívar ließ eine Polizei gründen, deren Hauptaufgabe das Auffinden und Verhaften von Verschwörungen gegen die Regierung war. Als ich mich 2010 in Caracas aufhielt, traf ich auf Gesinnungsspitzel, die drauf achteten, was die Einheimischen Ausländern erzählten.


Bolívar und dessen Gefolgsleute, später die Konservativen, akzeptierten immerhin die Liberalen als Gegner, sicher auch, weil deren Anführer, Francisco de Paula Santander, in Bolívars Abwesenheit länger als Vizepräsident regiert hatte, als Bolívar vor seiner Abreise nach Peru. Sozial Benachteiligte kamen jedoch im Denken des bereits mit den goldenen Löffel im Mund geborenen „Obersten Diktators“ überhaupt nicht vor. Diese Bevölkerungsschichten, aus denen Bolívar die Fußtruppen für seine Erfolge rekrutiert hatte, waren nach dem Krieg auf sich selbst gestellt geblieben. In ihrer Not und Enttäuschung erhoben sie sich gegen den Alleinherrscher in lokalen und regionalen Aufständen. Bolívar nannte diese Menschen Gesindel und forderte von seinen Generälen deren Ausrottung, wie mehrere seiner Briefe im Archivo del Libertador in Caracas belegen. Die Quellen verschweigen vorsichtshalber die sicher nicht insignifikanten Opferzahlen auf beiden Seiten. Für die Betroffenen war es bestenfalls von untergeordneter Bedeutung, welcher Fahne sie folgten, in ihrem oft verzweifelten Versuch, ihre Lebensverhältnisse zu verbessern. So werden einige dieser Aufstände als royalistisch klassifiziert, obwohl spanische Quellen diese überhaupt nicht kennen. Ob Hugo Chavez Frías wohl die Einstellung Bolívars kannte, als mit ihm ein Verfechter der Rechte dieser unteren Bevölkerungsschichten an die Regierung kam und mit dem Befreier für sein Konzept warb?


Die politischen, aber auch militärischen, Auseinandersetzungen mit den Liberalen sind besser dokumentiert, sicher auch, weil Bolívar und seine Anhänger wußten, daß deren Aktionen und Reaktionen nicht unter den Teppich gekehrt werden konnten, weil Santander und seine Gesinnungsgenossen selbst Berichte anfertigten, die die Zeit überdauerten. Bolívar und seine Anhänger hatten kein Interesse, ihre Methoden nachträglich erkunden zu lassen. Trotzdem gibt es genügend Belege dafür, wie er mittels Versprechungen und Drohungen versuchen ließ, eine Mehrheit für seine Ansichten herzustellen. Mit dem Griff in die Staatskasse, um seine Propaganda und bestellten Anträge zu finanzieren, aber auch in seinem Sinne verdiente Bürger zu belohnen, schuf er den Übergang von der kolonialen zur republikanischen Korruption.


In der Kolonialzeit war es üblich, daß nur die Familienvorstände ein Wahlrecht hatten. Damit waren bereits wesentliche Teile der Bevölkerung ohne politischen Einfluß. Die sonst so gerne als Vorlage benutzte Französische Revolution, hatte hier neue Wege beschritten, die allerdings die Manipulation der Meinung von ungleich mehr Bürgern erfordert hätte. Ein wichtiges Element zu diesem Zweck war die Propaganda. Bolívar und seine Parteigänger versuchten dreist, die Bevölkerung mit der Gefahr einer spanischen Rückeroberung zu verdummen, von der sie genau wußten, daß es sie nicht geben wurde. Aus diesem Grund, und weil es – eben wegen Bolívars fortgesetzter Rechtsbrüche – innere Unruhen gab, konnte angeblich nur ein starker Militärführer die innere und äußere Sicherheit garantieren. Als ich 2009/2010 im kolumbianischen Medellín wohnte, hatte ich einen Nachbarn, der die Hetze des damaligen Präsidenten, der aus ideologischen Gründen mit einen Krieg gegen Venezuela liebäugelte, häufig konsumierte. Eine Tages verhaftete ihn die Polizei neben einer Leiche mit der Tatwaffe in der Hand. In dieser Stadt werden jedes Jahr mehrere tausend Menschen Opfer von Gewalttaten; selbst, wenn der größte Teil davon Bandenmitglieder, deren direkte Ziele und Kollateralschäden sind, ist doch ein nicht unbeträchtlicher Anteil Selbstjustiz. Dieser Anteil erlebte mit der Agitation der Regierung und der, wenn auch nicht gleichgeschalteten, aber doch im Jahr meines Aufenthalts mit der „Goldenen Zitrone“ für besonders regierungsnahe Berichterstattung ausgezeichneten, kolumbianischen Presse, einen Aufschwung.


Ein Lösungsansatz, damals für die Probleme in Großkolumbien, stellte der Große Konvent in Ocaña dar. Wie der französische Nationalkonvent, sollte die Versammlung regionaler Deputierter eine neue Verfassung erarbeiten, die möglichst vielen Interessen innerhalb der Gesellschaft Rechnung trug. Bereits aus der durch freie Wahlen ermittelten Zusammensetzung an Vertretern, war Bolívar klar, daß er seine Ideen nicht durchsetzen konnte, da große Teile der Bevölkerung sich nicht des Vizekönigs entledigt hatten, um sich nun von einem Obersten Diktator in gleicher Weise bevormunden zu lassen. Bolívars Gefolgsmänner auf dem Kongreß konnten nicht verhindern, daß der Beschluß gefaßt wurde, ein föderatives Regierungssystem in der neuen Verfassung festzuschreiben. Diese Entscheidung lief Bolívars Absichten diametral zuwider. Er wußte, wenn er seine Anhänger vom Konvent abzog, verlöre dieser die numerische Kompetenz, bindende Entscheidungen zu treffen. Der, von mir, dort, wegen seines Gebarens als Vizekönig Alvaro bezeichnete, Amtsvorgänger des ausgezeichneten Friedensstifters Juan Manuel Santos, zog ebenfalls alle seine Parteigänger aus Senat und Kongreß in Bogotá ab, als über den Vertrag zur Aussöhnung mit den Fuerzas Armadas Revolucionarios de Colombia abgestimmt wurde. Zum Glück für das gebeutelte Land, konnte dies, im Gegensatz zu Bolívars Schachzug, die positive Entwicklung in Kolumbien nicht aufhalten.


Es gibt noch eine Reihe weiterer Beispiele für die von Bolívar selbst erzeugten Geburtsfehler seiner Republik, die sich bis heute auswirken. Der Volksglaube relativiert sich immer und überall am Vergleich der Dokumente aus der betrachteten Zeit. Aber in diesem Fall ist das weinende Auge vollständig von lachenden überlagert worden. Dem Großteil Menschen ist inzwischen nicht mehr klar, um welchen Preis sie befreit wurden. In Kolumbien habe ich gehört, es wären die Konquistadoren, die für die Verhältnisse verantwortlich seien. Trotz einzelner Gegenbeispiele, scheint dies schlüssig – jedenfalls, wenn man ignorieren will, das nahezu alle Kolonialstrukturen während und nach dem Krieg abgeschafft oder modifiziert worden waren. Die letzte entscheidende Prägung der Südamerikaner erfolgte durch Bolívars Selbstherrlichkeit und deren, sich über Jahrzehnte erstreckenden, direkten Folgen in Form von Bürgerkriegen. Unter reger Beteiligung der überlebenden Kriegshelden auf beiden Seiten.


Ich trage mich seit geraumer Zeit mit dem Gedanken, die Qualität der Quellen an dieser Stelle zu sezieren. Dabei geht es nicht um die Auflistung der gesamten Literatur für mein mittlerweile sicher vierbändiges Werk, sondern darum, die Verläßlichkeit der wichtigsten Autoren zu hinterfragen. Die Gründe dafür liefern sie selbst reichhaltig. Besonders interessant sind einige Textstellen, wenn man zusätzlich in den Kontext gehörige Originaldokumente liest.


Bis demnächst

Stefan Beck




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