Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Tagebuch

8. Taganga

Der kleine Ort selbst besteht aus einer Ansammlung ärmlicher Hütten und dazwischen und am Rand verteilt, ein paar relativ teure, noble Hotels und ein französisches Restaurant. Direkt am Strand wird in kleinen Hütten und davor gebratener Fisch angeboten. Da waren die hygienischen Verhältnisse allerdings haarsträubend und ich machte die Erfahrung, daß der Fisch nicht ganz durch war.

Hier habe ich Reinaldo getroffen, einen arbeitslosen Lehrer, der immerhin Englisch und sogar ein paar Brocken Deutsch spricht. Da er für seinen Lebensunterhalt was tun muß, hat er sich mir als Führer angetragen. Er weiß jedenfalls erheblich besser Bescheid, als Omar. Er hat mich gleich bei der Einfahrt erspäht und mir geholfen, das Hotel zu finden, für das ich mich, nach Reiseführerstudium, entschlossen hatte. Es ist ganz am Ende des Dorfes und am Ende der Bucht. Das Hotel war mit siebenundzwanzig Mark pro Nacht eins der teuren, hatte aber ein gutes Bad – sogar mit Klodeckel! –, Klimaanlage und einen Balkon zum Meer hin. Und es war vor allem sehr sauber.

Nach Mittagessen und Siesta habe ich mir das Dorf angesehen. Der Kontrast zu den Einrichtungen für Touristen ist gewaltig. Hier ist mir auch am Beispiel eines blonden, etwa achtjährigen Jungen erstmals die Verantwortungslosigkeit mancher Touristen klargeworden. Sein Verhalten beim Spielen mit den anderen Kindern zeigte, daß er nahtlos in die Schar brauner dunkelhaariger Kinder integriert war, aber seine Haar- und Hautfarbe sagten genau das Gegenteil. Wir haben uns einen Moment lang angesehen. Obwohl sein Blick ablehnend war, entdeckte ich doch die Frage darin. Es ist wenig wahrscheinlich, daß er seinen Vater doch noch kennen lernt.

Abends saß ich mit Reinaldo vor einer der Hütten am Strand beim Bier. Das Gespräch mit ihm war weit besser, als das mit Omar. Sein Bildungsstand ich auch höher. Obwohl Omar sozusagen ein Berufskollege von ihm ist, hält er nicht sehr viel von ihm.

Nach dem Frühstück in Hotel, war die Erkundung der Umgebung und das Finden eines ruhigen Strands angesagt. Hinter den Hügeln an denen das Hotel steht, ist noch ein weiterer Strand mit palmwedelgedeckten Hütten, die, wie die in Taganga, zur Versorgung der Touristen ausgelegt sind. Ich bin weitergelaufen und habe die einladenden Rufe der Betreiberinnen ignoriert, um über die nächste Hügelkette auf einen weiteren Strand zu treffen.

Weil ich auch hier nicht recht zufrieden war, bin ich immer weiter, bis ich mir die in der Karte gesehene Geographie in Erinnerung gerufen habe und daher eine Abkürzung über die längs zum Meer verlaufende Kette von Hügeln, zum Erreichen eines noch ruhigeren Strands ins Auge gefaßt habe. Dabei habe ich sowohl die Entfernung, als auch die Höhe der Hügelkette unterschätzt. Selbst, wenn’s bedeckt war und der Wald immer etwas kühler ist, eine schweißtreibende Angelegenheit. Etwa fünfhundert Meter hoch, bin ich auf die Spitze der Hügel geklettert. Von oben konnte ich Santa Marta sehen. Dann wieder ein Tal und erneut bergauf. Es war eine ziemliche Quälerei, weil die Wege da in ausgewaschenen Bachbetten, zum Teil mit viel Schutt, recht steil und unbequem waren. Und im Tal dann, durch den Urwald, war’s auch nicht besser, als es durchs Gebüsch ging. Das eigentliche Abenteuer bestand darin, daß ich Badelatschen anhatte. Abgesehen von spitzen Steinen, war es vor allem aber Viehzeug, wie große Spinnen und anderes, das mich irgendwann den Rückweg einläuten ließ.

Nachdem ich ans Meer zurückgekehrt war, um mich darin kurz zu erfrischen, wozu das Karibische Meer eigentlich zu warm ist, bin zurück ins Hotel, um mich umzuziehen. Dabei habe ich Reinaldo wieder getroffen. Er ist mit mir zu den Hütten in der zweiten Bucht, wo ich einen Rotbarsch gegessen habe, der diesmal – ich hatte es auch ausdrücklich verlangt – durch war. Während Reinaldo und ich beim Bier unter einem der Palmdächer saßen, versuchte die Wirtin, eine durchaus gut erhaltene Mulattin Mitte vierzig ihren erotischen Charme auf mich wirken zu lassen, wohl in der Hoffnung, mich zur Rückkehr und weiterem Konsum zu bewegen. Einen etwa siebzehnjährigen Einheimischen, der sich zu ihr gesellte, hat sie, wie die Schwellung in seiner kurzen Hose offenbarte, durchaus beeindruckt. Weder der Junge noch die Frau zeigten irgend eine Form von Schamgefühl.

Ich wandte mich wieder Reinaldo, auch um zu verhindern, daß er weiter Bier bestellte. Die Erfahrung hat mich gelehrt, daß man den Bierkonsum der Einheimischen, mit denen man trinkt, begrenzen muß. Sicher auch der Rechnung wegen, aber der Hauptgrund ist schon der, daß sie nicht so viel vertragen. Der einzige weitere Gast, ein US-Amerikaner Mitte zwanzig, versuchte sich in das Gespräch einzumischen und mir vorzuschreiben, daß ich Reinaldo Bier geben sollte. Ich habe ihn kurz abgefertigt. Reinaldo hat sicher besser verstanden, was meine Beweggründe waren, als der Ami.

Am späten Nachmittag trennten wir uns, damit Reinaldo die Gelegenheit hatte, das Essen, zu dem er mich eingeladen hatte, vorzubereiten. Zur Deckung eines Teils der Unkosten wollte er umgerechnet fünf Mark von mir. Damit habe ich sicher den allergrößten Teil bezahlt, aber mir war die Einladung zu ihm mehr wert. Außerdem bin ich sicher, daß Reinaldo es sich nicht hätte leisten können, mich aus eigener Tasche einzuladen. Er hatte mir den Weg zu seinem Haus genau beschrieben und ich fand es in dem kleinen Ort schnell. Er lebt in dem durchaus geräumigen Haus mit einigen Indianern. Als einer von ihnen an uns vorbeikam grüßte ich ihn höflich. Er sah mich durchdringend an. Blicke, die ich nicht aushalte, gibt es üblicherweise nicht. Dem Blick des Indianers, der mich vor allem völlig unvorbereitet traf, konnte ich nicht lange standhalten. Erst hier begriff ich wirklich, wieso im Reiseführer was von Verachtung und dem Herabsehen auf die „kleinen Brüder“, wie diese Indianer die Weißen nennen, stand. Für Reinaldo war dies nichts offenbar Ungewöhnliches. Daher war ich leicht verärgert, darüber, daß er mich nicht auf die Begegnung vorbereitet hatte. Er brachte einige ziemlich kleine Fische und reichte gebackene Bananen dazu. Wegen seiner Art, die Fische zu würzen, waren sicher die besten, die ich an der Küste bekommen habe. Daß ich Kopf und Flossen nicht mitessen wollte, war für ihn unverständlich. Auf hundertprozentige Nahrungsverwertung getrimmt, aß er auch bei meinen Fischen alles auf. Nach dem Essen wollte ich im Haus der Indianer nicht verweilen und wir gingen auf ein schnelles Bier an den Strand. Wir unterhielten uns über den nächsten Tag, bis ich ins Hotel zurückkehrte.

Morgens habe ich mir mit Reinaldos Hilfe ein Fischerboot am Strand gemietet, um die Strände bis zur Playa Granate, dem Granatstrand, entlang zu fahren. Der Bootseigner hat es gerade bis in die nächste Bucht, da wo ich am Vortag mit Reinaldo war, geschafft, als er es fertig brachte, den Außenbordmotor ins Wasser fallen zu lassen. Fast eine Stunde trieben wir etwa dreißig Meter vor dem Strand, bis el Capitan einsehen mußte, daß der Motor, in den Wasser eingedrungen war, nicht mehr zu starten war und er ein Ersatzboot eines seiner Kollegen klarmachen mußte. Ich habe inzwischen die schöne Umgebung genossen und dabei erst nach Reinaldos Hinweis bemerkt, daß die Wirtin von gestern am Strand stand und mir zuwinkte. Ich sagte ihm, daß wir keine Zeit hätten, weil ich unbedingt noch am Vormittag in Santa Marta zur Bank mußte. Ich habe zwar zurückgewinkt und ihr einen Gruß zugerufen, aber sie schien meine Reserviertheit bemerkt zu haben und trollte sich wieder.

Mit dem Ersatzboot folgten wir der Küste von Strand zu Strand. Die Küste wurde zunehmend felsiger, so daß ich aufregend viele Falten und Klüfte, der hier ins Meer streichenden Sierra Nevada de Santa Marta, bewundern konnte. Mit meinem Fernglas beobachtete ich die metamorphen Sedimente, die sich wegen der guten Aufschlussverhältnisse sehr gut für eine Exkursion eignen. Obwohl mir der Bootsbesitzer anbot, mich etwas länger, als geplant, den Strand entlang fahren wollte, lehnte ich ab. Wenn ich es nicht noch am Vormittag schaffte, zur Bank in Santa Marta zu kommen, würde ich die Reiseschecks nicht zum Einsatz bringen können.

Nach unserer Rückkehr hat mich Reinaldo in einem Kleinbus nach Santa Marta begleitet. Ich schaffte es, gerade noch vor der Mittagspause bei der Bank zu sein. Nach einem kurzen Imbiss, habe ich Reinaldo gebeten, mir einen Laden zum Einkauf einer Hängematte, einer Machete und einem Moskitonetz zu zeigen. Weil mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar war, daß Leute wie er von Kommissionsgeschäften leben, ließ ich mich zuerst in einen teuren Laden führen. Die Preise von bis zu zweihundert Mark für eine Hängematte und über dreißig für eine Machete erschienen mir aber ziemlich hoch. Als die Verkäuferin mir keinen Rabatt in Form eines Seiles zur Befestigung der Hängematte gewähren wollte, bin ich gegangen. Reinaldo, der noch kurz mit der Frau geredet hatte, fand mich zwei Ecken weiter wieder.

Daraufhin habe ich ihm gesagt, daß es so nicht gehe und daß er mir einen Laden für Kolumbianer zeigen sollte. Er erklärte mir, daß er von den Verkaufsprovisionen lebe. Daher hat er mich in den wahrscheinlich teuersten Laden von Santa Marta geschleppt. Der nächste Laden war schon erheblich billiger: bis fünfzig Mark für eine Hängematte. Hier habe ich mir eine gekauft. Die Machete in einem anderen Laden kostete gerade fünf Mark und eine recht ansehnliche Lederscheide acht Mark. Dazu sind wir allerdings in den untouristischen Teil von Santa Marta. Die Machete, zu der er mir geraten hatte, erregte auf der ganzen Reise viel Aufmerksamkeit und Lob. Reinaldo versprach mir, nach unserer Rückkehr nach Taganga, würde er mir ein Moskitonetz schenken, dazu das notwendige Seil für die Hängematte und noch etwas Bootsdiesel für meinen Kocher. Nachdem ich meine Vorräte ergänzt, aber wieder keinen Tabak gefunden hatte, wollte ich noch ins Internet. Reinaldo ist zwischenzeitlich dabei gesessen und hat, soweit er das konnte, ein wenig mitgelesen.

Zurück in Taganga habe ich die von Reinaldo versprochenen Dinge in Empfang genommen und im Hotel verstaut. Da ich unbedingt im Ballena Azul, dem Blauen Wal, das im Reiseführer, als bestes Restaurant bezeichnet war, essen wollte, sind wir gemeinsam in das noble französische Restaurant. Ich habe ihm einen Hamburger mit Pommes bezahlt. Als ich ihn fragte, ob er die sechs Mark, die ich dafür bezahlt hatte, wert gewesen sei, war er ziemlich schockiert und verneinte. Einen derart hohen Preis hatte er nicht erwartet. Dazu muß man wissen, daß man in Kolumbien ab Zweimarkfünfzig ein meist recht gutes Zwei-Gänge-Essen in einer Kantine bekommt. Den Preis für meinen Fisch, den ich nicht überragend fand, auch wenn er sicher besser war, als die Rotbarsche der vergangenen Tage, verriet ich ihm vorsichtshalber jedoch nicht. Den Abend ließen wir bei einem billigen Bier ausklingen und wir verabschiedeten uns, aber ich versprach zurückzukehren, nachdem ich meinen Ausflug in die Berge der Sierra Nevada beendet hatte.



zurück zum Inhaltsverzeichnis