Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Tagebuch

15. Bucaramanga

Der Weg auf die Ostkordillere

Anfangs war die Strecke zwar gelegentlich steil, aber es war nicht anders, als im bekannten Küstengebirge. Der Hauptunterschied besteht allerdings darin, daß die Höhen erheblich größer sind. Und wegen der Hitze des Tieflands sind die ersten tausend Höhenmeter die schlimmsten. Das es auf über viereinhalbtausend Metern wegen des Sauerstoffmangels ebenfalls ziemlich unangenehm werden konnte, erfuhr ich erst in Peru.

Die kleineren Vorberge am Magdalenatal machten bald mächtigen, grünen Bergen der Ostkordillere Platz. Mir kam’s vor, als sähe ich die Erde aufbrechen und das Liegende drückte riesige Platten aus dem Hangenden, um aufzusteigen. Ob’s nun die Schichtung oder die erste Schieferung war, die ich gesehen habe, weiß ich nicht; aber eine mehrere zehntausend Quadratmeter große, dreieckig aufgeschlossene Harnischfläche am Berg bewies meine Vorstellung. Jedenfalls war ich ob der Gebirgslandschaft beeindruckt. Entlang der Straße waren auch schön kleinerräumige Falten sowie größerräumige Sattel- und Muldenstrukturen in den Sedimenten zu erkennen.

Für die rund hundert Kilometer benötigte der Bus zweieinhalb Stunden. Daß ich die Strecke in zwei Tagen geschafft hätte, bezweifle ich, denn es lag ein weit über tausend Meter hoher Pass auf der Strecke. Vor der Stadt war auch noch ein tiefes Tal. An dessen Osthängen war das termial der Hauptstadt des Departements Santander. Von hier aus war ich mit dem Fahrrad eine Stunde lang bergauf unterwegs zur Stadtmitte. Am Busbahnhof hatte mich ein Kolumbianer angesprochen und mich in ein kurzes Gespräch verwickelt. An dessen Ende gab er mir seine Visitenkarte und forderte mich auf, ihn anzurufen.

Eingewöhnung in Bucaramanga

Weil ich mit dem Hotel nicht zufrieden war, das ich mir ausgesucht hatte, habe ich weitergesucht und mich dann für ein relativ luxuriöses Hotel mit Klimaanlage für umgerechnet fünfunddreißig Mark entschieden – ab und zu brauchte ich das und auf dem Land draußen gibt’s so was nicht. In dieser Preisklasse gab es nichts zu beanstanden (Sternchen für das El Pilar!). Zum ersten Mal seit Coro – abgesehn von dem Hotel in Mompós – hatte ich wieder warmes Wasser! An der Küste war das auch kaum nötig, da das Wasser sowieso meist in den Rohren aufgeheizt war und die Hitze einen eh' fast umbringt. Die Klimaanlage war nicht ganz so notwendig, wie im Tiefland, denn hier, auf etwa tausend Metern, herrschte ein angenehmes mildes Klima, die Durchschnittstemperatur beträgt 23°. Das ganze Jahr. Luft und Wasser waren wegen der umliegenden Berge gut, auch wenn es in der Halbmillionenstadt kräftig Verkehr gibt.

Bei einer Suchpause vorher habe ich einer Snackbar zwei Ingenieure – der in Südamerika gebräuchliche Ausdruck ingeniero ist bei weitem nicht so eng gefaßt, wie ich das aus Deutschland gewohnt bin, mich hat man ebenfalls dazu gezählt – getroffen, mit den recht kultiviert zu reden war. Trotz der wenigen Kontakte, die ich bisher hier hatte, machten mir hier die Leute einen weniger schlampigen, eher seriöseren Eindruck, als die costeños.

Am Nachmittag habe ich nach einem Internet gesucht; war schwierig, aber erfolgreich und das Taxi hin kostete keine zwei Mark. Es handelte sich um einen großen Einkaufskomplex, im zwischen einer Unzahl der unterschiedlichsten Geschäfte auch ein Internetplatz war. Später sollte ich herausfinden, daß es in dem aus mehreren Gebäuden bestehenden Komplex noch einen weiteren Internetplatz gab. Zufriedenstellend war allerdings keiner.

Abends habe ich im Hotel gegessen, was sicher nicht die preisgünstigste Wahl war, aber dafür war ich auch sehr zufrieden. Die Nahrungsqualität war im Bergland besser, als im Tiefland, was mir nach den Erfahrungen von Mompós sehr recht war. Das Essen in Südamerika ist im allgemeinen deswegen besser, als in Deutschland, weil es hier das Geld für Dünger und künstliche Zusätze fehlt. Hinzu kommt ein guter Boden, eine nur sehr lokal verschmutzte Umwelt und das günstige Klima. Einige der Gemüsepflanzen erreichten eine unglaubliche Größe. Nur mit dem Fleisch war ich selten zufrieden. Einerseits sind die Buckelrinder der heißen Regionen offenbar etwas zäher und andererseits wird das Fleisch zu dünn gebraten, so wie ich es aus Italien kenne. Schweine sind hier selten und daher gibt’s auch wenig Schweinefleisch. So habe ich durchaus apanados, panierte Schnitzel, aus Rindfleisch vorgesetzt bekommen. Bei Geflügel und Fisch konnte ich nie irgendwelche Minderungen feststellen.

Begeisterung für Deutschland

Ich habe fast den ganzen Vormittag für das Finden und Nutzen der Touristeninformation gebraucht. Es ging darum, mich über Übernachtungsmöglichkeiten auf dem Weg nach Bogotá und über Bucaramanga zu informieren. Zuerst der kommerzielle Anbieter, bei dem es für umgerechnet fünf Mark eine Karte von Santander und Bucaramanga gab, und später bei der Tourismusbehörde der Landesregierung hat man mir kostenlos eine Broschüre gestellt. Hier gab es auch Erläuterungen zu einigen interessanten Punkten.

Wie üblich in Südamerika, muß man an der Rezeption am Eingang ein Identitätsdokument hinterlegen, wenn man ein öffentliches Gebäude betreten will. Ich nutzte dazu gewöhnlich meinen Personalausweis. Die Frau, etwa in meinem Alter, die hinter dem Tresen des Gebäudes der Landesregierung stand, erkannte auf den ersten Blick die Herkunft meines Ausweises. Sofort begann sie auf mich einzureden.

Ihr Großvater sei Deutscher gewesen. Und wie viel sie von den Deutschen hielte. Vor allem, daß sie unbedingt nach Deutschland wollte. Um mir etwas Luft zu verschaffen, fragte ich, was denn ihr Mann und die Kinder dazu sagen würden. Sie war so in Fahrt, daß ihr das egal war. Sie wollte nur mit mir kommen. Der Hinweis, daß ich mit dem Fahrrad unterwegs sei, konnte sie ebenfalls nicht bremsen. Da sie vorher schon gesagt hatte, daß sie alles für mich tun wollte, war es nicht verwunderlich, daß sie sich bei mir aufs Fahrrad setzen und mit strampeln wollte, weil ich sagte, daß ich bereits zu viel Gepäck mitführte. Da es mir langsam zu bunt wurde, habe ich mich mit dem Hinweis abgesetzt, daß ich hier wegen der Tourismusbehörde sei und wollte endlich wissen, in welchem Teil des Gebäudes ich diese fände. Als ich mit den gewünschten Informationen zurückkam, um den Ausweis abzuholen, meinte sie noch, daß ich unbedingt zurückkehren sollte, aber glücklicherweise zeigte sie nicht mehr so viel Elan, wie im ersten Teil des Gesprächs und ich konnte mich bald zurückziehen.

Nachdem ich in der tienda in der Nähe des Hotels eine Stunde die Informationen beim Bier bearbeitet habe, bin ich Essen gewesen und mit den Informationen zur Siesta.

Kultur

Später habe ich mir das koloniale Haus von Bolívar, der zweimal in Bucaramanga gewohnt hat, angesehen. Es handelt sich offenbar um das Haus, in dem er 1828 einige Zeit lebte, daß er aber sein Hauptquartier in diesem Gebäude bei der Kampagne 1813 hatte, glaube ich nicht. Außer den üblichen Reliquien, die der Libertador benutzt haben soll, sah ich relativ brauchbare Erklärungstafeln und einige Gebrauchsgegenstände und Grabbeigaben sowie Mumien der hier ansässigen Guane-Indianer. Altersangaben gab’s leider nicht! Sicher ist nur, daß die Exponate von vor der Conquista sind. Die ersten Expeditionen von Weißen waren beschrieben. 1533 war Ambrosius Dalfinger auf seiner letzten Expedition hier in der Nähe gewesen. An diese entrada wurde mit wenigen Exponaten erinnert. Sogar der gute Humboldt wurde mittels einer Bronzetafel geehrt, obwohl er nie in Bucaramanga war. Er blieb ja auf dem Río Magdalena.

Private Einladung

Am frühen Abend bin ich zu Ever, einem Schuhhändler, der mir am Vortag am Busbahnhof seine Telefonnummer gegeben hatte. Wir telefonierten und er lud mich zu sich ein. Gehobene Mittelklasse nach europäischem Maßstab, hier eher Oberklasse, war der Eindruck, den seine ziemlich neue Appartementwohnung und seine Beschreibung des Bauernhofs, den er besitzt, hinterlassen hat. Seine Wohnungseinrichtung könnte genauso gut in Nordamerika oder Europa in dieser Art stehen. Alles war ziemlich neu, sehr sauber und gepflegt; er, als costeño aus Barranquilla, hat zwischenzeitlich sogar das hier immer reichlich auftretende Kondenswasser an den Bierflaschen mit einem Lappen aufgewischt. Hier hielt sich wohl fast jeder an die allgegenwärtigen Schilder, die zu einer sauberen Stadt aufforderten.

Er hat mir das Fotoalbum seiner Familie präsentiert, die einzige seiner drei Töchter, die gerade da war, hat uns Rühreier mit Zwiebeln und Tomaten, huevos pericos genannt, zubereitet, dazu gab’s arepas, diese gebratenen Maisfladen, die mich immer an gebackenen Grießbrei erinnert haben, mit einer Art käsiger Sahne. Das Gespräch verlief durchaus angenehm; so daß ich daran dachte, ihn wiedersehen. Er schien dies genauso zu empfinden, denn er forderte mich auf, ihn erneut anzurufen.

Das Reisescheckeinlösen am Vormittag verlief weder schnell noch problemlos: Das Hotel hat mehrfach Banken anrufen müssen, bis ich eine gefunden habe. Der Grund dafür war, daß die Informationen im Reiseführer nicht mehr aktuell waren. Der Chef, ein pensionierter Pilot mit internationalen Erfahrungen, ist persönlich mit mir hingelaufen – er hatte selbst was da zu erledigen.

Die Uni

Genauso schwierig, jedenfalls fast, erwies sich die Suche nach dem Naturhistorischen Museum der Universidad Industrial Santander, das allerdings nicht übermäßig gut ausgestattet ist. Hier gab’s außer ein paar ausgestopften Tieren auch ein paar Minerale in dem ziemlich schwachen geologischen Kasten, eins davon auch noch falsch etikettiert. Als ich zur Tür rausging, habe ich mich noch mal bei dem Konservar für den kostenlosen Eintritt bedankt, woraufhin der mich um Hilfe bat. Ich bin sicher, daß er auf Geld aus war, aber als ich ihm sagte, er habe hier einen Bleiglanz als Muskovit ausgewiesen, obwohl sich die Minerale überhaupt nicht ähneln, war er ebenfalls recht dankbar. Das Daraufhinweisen, daß ich nur ein Diplom, das Master in Amerika heißt, besitze, hat ihn nicht davon abgehalten mich ständig – wie die Österreicher – mit Herr Doktor anzusprechen. Ich mußte ihm sogar aufschreiben, was ich dachte, nur, daß ich zu diesem Zeitpunkt das spanische Wort für Bleiglanz noch nicht kannte. Also habe ich mir eben mit der Chemie, das heißt den Formeln, ausgeholfen.

Stadtleben

Zu Mittag habe ich, zurück im Zentrum, in einem netten Innenhof, der gut besucht war, geräuchertes Grillfleisch gegessen. Eine neue, aber durchaus gute Erfahrung.

Nach der Siesta stärkte ich mich bei einem Bier in der tienda in Hotelnähe. Mit der Besitzerin war ich vorher schon mal ins Gespräch gekommen und dieses Mal gab sie mir die Telefonnummer eines pensionierten Geologen, damit ich mich mit ihm in Verbindung setzen konnte. Leider bekam ich keine Verbindung zu ihm, da entweder keiner da oder besetzt war, wenn ich ihm anwählte. Am nächsten Tag hatte ich ihn, der Höflichkeit wegen, nicht mehr anrufen können, da ich ihm nicht zumuten konnte, mich quasi aus dem Stand zu treffen, denn ich mußte zusehen, daß ich nach Bogotá kam.

Im Internet gewesen, was aber auch kein Erfolg war: Probleme bei meinem Provider, wollte man mir einreden. Das Netz im Internetladen schien mir eher das Problem zu sein. Mir blieb schließlich nichts anderes übrig, als den Bericht zu speichern, was schon schwierig genug war, um am nächsten Tag erneut mein Glück zu versuchen.

Abends wollte ich in eine Pizzeria, die im Reiseführer empfohlen worden war, leider war die Adresse falsch. Der Taxifahrer sagte mir gleich, daß es an dieser Stelle keine gäbe und so sind wir, nach der Kontrolle, übereingekommen einen bekannten Laden ziemlich in der Nähe anzusteuern, wo ich an einem beschirmten Tisch im Regen eine mäßige Pizza verschlungen habe. Im eigentlichen Restaurant wollte ich nicht sitzen, weil mir die Atmosphäre darin zu Schnellfraß-mäßig war. Der Regen hielt von halb sechs bis halb neun am Abend an; das Klima sei jahreszeitenunabhängig und Regen gäbe es zu jeder Tageszeit, hat mir der Hotelbesitzer erklärt. Als Pilot mußte er was von Meteorologie verstehen. Humboldt fand im Verlauf seiner Reise, daß man in den tropischen Anden nicht von Jahreszeitenklimaten, als vielmehr von Tageszeitenklimaten sprechen müsse, denn die Unterschiede bei der Sonneneinstrahlung fallen gegenüber der Höhenlage und dem dadurch entstehenden Klima nicht so stark ins Gewicht. Mich zwang der Regen jedenfalls dazu erneut im Taxi zu fahren, um ins Hotel zurückzukehren.

Morgens lief ich zum Casa de Perù de la Croix, einen französischen Leutnant Bolívars, dessen veröffentlichte Bucaramanga-Tagebücher eine international bekannte Quelle für das Leben des Libertadors wurden. Das Haus war jedoch leider verschlossen, so daß ich ein paar Häuser weiter zur Casa de la Cultura bin. Zeitgenössische, regionale Kunst in Form von Gemälden und Plastiken war nicht mein Fall, aber des Kolonialhauses wegen hat sich der Besuch gelohnt.

Der erste Versuch, vor dem Mittagessen mich via Internet aus Bucaramanga abzumelden, kostete nur Zeit, ohne, daß er etwas eingebracht hätte. Nach der Siesta habe ich im Hof des Hotels das Fahrrad geputzt und die Kette geschmiert. Auch hier erwies sich der Service des Hotels als herausragend. Der zweite Versuch im Internet schien genauso vergeblich, wie der erste. Erst, als man mich den Hauptcomputer des Ladens nutzen ließ, konnte ich meine Texte doch noch verschicken.

Um für die nächste Etappe gerüstet zu sein, beschloß ich, das im Reiseführer empfohlene Steakrestaurant di Marco auszuprobieren. Mit dem Mi Vaquita in Maracaibo kommt kein Steakrestaurant mit, aber es war immerhin eine Fleischorgie, die ich an diesem Abend zelebrieren konnte. Die weit über ein Pfund schwere Rinderrippe war nicht nur das Highlight des Tages, sie stellte genau die richtige Grundlage für eine Bergetappe am folgenden Tag dar. Daß ich dafür etwas tiefer in die Tasche greifen mußte, als für eine comida corriente, das Stammessen, war mir vorher klar gewesen.

Zurück im Hotel habe ich mir die weitere Vorgehensweise überlegt. Die weitere Strecke sollte über San Gil, Socorro, Barbosa irgendwie nach Tunja führen; hier war der Kauf einer ruana, wie man hier den Poncho nennt, angesetzt. Erstens würde es mit zunehmender Höhe kühler werden und zweitens sollte es dort die besten im ganzen Land geben. Es waren rund vierhundertzwanzig Kilometer nach Bogotá, wie lange ich dafür mit dem Fahrrad brauchen würde, wußte ich nicht, da ich mir anhand der Karten kein allzu genaues Bild über die zu überwindenden Höhenunterschiede machen konnte. Es konnten durchaus zwei Wochen vergehen, bis ich die Hauptstadt erreichte. Außerdem hatte ich hier in Bucaramanga eine Reihe touristischer Informationen und Empfehlungen für entlang des Wegs und etwas vom selben ab erhalten, von denen einige durchaus so waren, daß ich ihnen nachgehen konnte. Die Hauptstraße nach Bogotá sollte jedenfalls streng bewacht und sicher sein.



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