Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Tagebuch

22. Ibague und Armenia

In der Zentralkordillere

Am frühen Morgen hinter ging’s s Guandalay erst mal heftig bergauf. Danach beruhigte sich die Strecke wieder etwas; es ging nur mäßig bergan, aber ich war zu erschöpft, um schnell zu sein. Wenn auch der Wind nicht so heftig war, wie am Vortag, zu spüren war er immer noch. Und dieser Streckenabschnitt bot keine schattenspendenden Bäume.

Daher habe ich bei El Tolumo beschlossen, eine Pause einzulegen. An dem Kiosk standen eine Reihe von Bussen, deren Fahrer damit beschäftigt waren, ihre Fahrzeuge zu warten und zu reinigen. Vordergründig zumindest. Wie hätte ich sonst eine kurzweilige Unterhaltung mit ihnen führen können. Einer von ihnen hat mich gefragt, was ich tun würde, wenn er jetzt eine Pistole zöge, um mich zu berauben. Der Spruch kam ernst und überzeugend und für einen Moment lang war alles auf meine Antwort gespannt. Ich habe ihn angegrinst und gebeten zu warten, bis ich das Bier ausgetrunken und die Machete vom Fahrrad geholt hätte. Ich mag den Humor der Kolumbianer, und ihnen scheint meiner zu gefallen, denn das anschließende Gelächter war laut und anhaltend.

Von da an waren’s nur noch sechs Kilometer bergauf bis zum Ortsschild, aber es waren noch mal zehn bis zu den ersten Wohnhäusern. Inzwischen war ich wieder auf 1250 Metern Höhe. Hier sah ich ein großes Grillrestaurant, das ich sofort zu nutzen gedachte. Nach einem guten Steak und einen ereignislosen Aufenthalt fuhr ich ins Zentrum der Stadt, um mir ein Hotel zu suchen. Die im Reiseführer getroffene Auswahl – La Suiza – war eine teure Frechheit. Was das Geld anging, dachte ich inzwischen kolumbianisch, und solche Preise wollte ich auch! Die Betrüger machten nur einmal, mitten in der Nacht, Heißwasser, so daß ich schon wieder kalt duschen mußte! Aber werben, als gäbe es durchgehend Warmwasser.

Alexander von Humboldt, der am 22. September 1801 hier eintraf, fand „ein elendes Städtchen, in dem kaum 1000 Menschen wohnen.“ Das Tal nannte er unendlich schön und das Klima kam ihm lieblicher vor, als in Fusagasuga. Erst eine Woche später konnte er aufbrechen, weil es keine Träger gab, die sein Gepäck hätten transportieren können.

Nach der unruhigen Siesta bin ich, nach einem Bier in der tienda, durch den etwas tristen, grauen Ort gelaufen. Bei dreihundertfünfzigtausend Einwohnern hätte ich von der Hauptstadt des Departements Tolima mehr erwartet. Immerhin war die bandeja paisa, die ich in einem zur Stadt passenden Restaurant einnahm recht brauchbar. Bei der „Antioquier Platte“ handelt es sich um eine Auswahl an Grillfleisch, oft mit chicharrones, das ist kross gebackene, beziehungsweise frittierte Schweineschwarte, weißen Bohnen in Soße, Reis, Kartoffeln, yuca, Tomaten und manchmal grünem Salat.

Danach bin ich wieder herumgelaufen, um mir eine gute Kneipe für den Samstagabend zu suchen. Nicht daß mich das Saturday Night Fever gepackt hätte, aber ich hatte eigentlich für den nächsten Tag eine Ruhepause eingeplant, so daß ich glaubte, mir einen netten Abend machen zu können. Da sich aber die Suche als langwierig und das Ergebnis als ziemlich schwach herausstellte, änderte ich den Plan. Aufgrund dessen, daß ich nicht zu der nötigen Pause kam, ließ ich den Aufstieg über La Linea, einen Höhenrücken mit gut 3300m.ü.NN., aus und beschloß, in meiner Verärgerung über die Stadt und das Hotel mit dem Bus nach Armenia zu fahren. Auch ohne gefülltes Spanferkel und nur einmal tamales. Die gut hundert Kilometer nach Armenia hätten sich mit meinem Gepäck auch in zwei Tagen zur Strapaze entwickelt. Und das fand ich auch nicht gerade begeisternd. Und seit vier Tagen blies mir der Wind mehr oder weniger entgegen; La Linea wäre etwas für völlig ausgeruht und fit, und selbst dann wäre es, nach meinen Informationen, alles andere, als eine Spazierfahrt!

Einen weiteren Grund für meine schlechte Laune lieferte Manuel der Journalist aus Fusagasuga. Ich muß in den Abendnachrichten gewesen sein! Ich selbst habe es nicht gesehen oder gehört, was da über mich gesagt wurde, aber die Leute sprachen mich gelegentlich darauf an. Später prägte ich dafür den Spruch, daß ich nicht zum Vergnügen der Kolumbianer hergekommen sei.

Nach dem Frühstück, das sonntagsmorgens hier ebenfalls problematisch ist, und nachdem ich meine Wut über das schon wieder nicht funktionierende Warmwasser an der Rezeptionistin ausgelassen hatte, bin ich zum Busbahnhof geradelt, um mir einen Platz für den nächsten Bus nach Armenia zu sichern. Da ich aber eine gute Stunde auf die Abfahrt warten mußte, bin ich vor das Gebäude und habe mir einen schattigen Platz für mich und das Fahrrad gesucht. Unter einem Baum im Rasen zwischen den asphaltierten Parkplätzen saß ich und beobachtete gelangweilt das Treiben der Menschen.

Später gesellte sich ein etwa fünfzigjähriger Mann zu mir und begann eine Unterhaltung. Da er auch wissen wollte, wie mir Ibagué gefiel, berichtete ich wahrheitsgemäß von den Schwächen des Hotels und meinem schlechten Eindruck der Stadt. Er versuchte natürlich, diesen zu verwischen und ich muß sagen, es ist ihm gelungen. Wäre ich ihm früher begegnet, wäre ich vermutlich nicht vorzeitig weitergereist.

La Linea

Die Fahrt im Bus bewies mir, daß die Entscheidung, nicht mit dem Fahrrad zu fahren, nicht die falscheste war. Es ging ziemlich steil über fünfundvierzig Kilometer eine recht schmale Straße in Serpentinen nach Cajamarca, dessen Holzhäuser und die Bergkulisse mir stellenweise fast den Eindruck vermittelten, ich wäre in Graubünden. Dieser Eindruck hielt natürlich nie lange, weil sich immer wieder Menschen und Südamerikatypisches dazu mischten. Hinter dem Ort wurde es noch steiler und die letzten paar hundert Höhenmeter fuhr der Bus größtenteils in den Wolken. Selbst im Bus war die Kühle, die draußen herrschte, zu spüren. Kurz hinter dem Bergkamm rissen die Wolken auf und ich konnte den atemberaubenden Blick auf das Tal und die abenteuerlich gewundene Straße werfen. Zu diesem Zeitpunkt war bereits ein Straßentunnel im Bau, um diese unfallträchtige Strecke zu entlasten.

Für Humboldt war der Weg eine ziemliche Strapaze. Die schlammigen Pfade, die er benutzte, liefen etwas anders, als die heutige Straße und er weigerte sich vehement, in einem der Stühle, die menschliche Träger mit Haltegurten über der Schulter trugen, zu reisen. Er nannte die Getragenen weibisch und versuchte selbst sogar eine Zeitlang, einen der Träger zu tragen. Von dieser Art des Transports gibt es ebenfalls einen bekannten Stich. Er brauchte fünf Tage dafür und seine Überquerung des Passes endete nicht, wie heute in Armenia, sondern in Cartago, Luftlinie gut vierzig Kilometer nordwestlich, im Caucatal. Von hier folgte er dem Río Cauca nach Süden.

Armenia

In Armenia, der Hauptstadt Quindíos, auf gut achtzehnhundert Metern Höhe, radelte ich nach der Ankunft ins Zentrum der Stadt, um ein Hotel zu finden. In meiner Preisklasse jedenfalls schien es keines zu geben, wo ich nicht erst mal das Fahrrad in die Rezeption ins erste Obergeschoß hätte tragen müssen, um mir das Zimmer und den Preis unter die Lupe zu nehmen. In der Nähe des Marktplatzes hat sich ein Straßenhändler bereitgefunden, mich zu unterstützen. Er stand auf einmal in dem Gedränge neben mir und erbot sich, einige Hotels für mich auszukundschaften und dort, wo ich mir selbst ein Bild der Lage machen wollte, das Fahrrad mit mir die Treppen hinauf zu tragen. Im dritten Versuch war ich endlich halbwegs zufrieden, was Preis und Ausstattung anlangte. Später stellte sich allerdings heraus, daß es doch recht laut war.

Nachdem ich mein Gepäck und das Fahrrad im Zimmer eingeschlossen hatte, bin ich mit dem Straßenhändler in eine Kneipe. Da er seine Stadt kannte, ließ ich ihn den Laden aussuchen. Er schleppte mich in eine Disco am Marktplatz, in der gerade der Sonntagnachmittagschwof abging. Abgesehen davon, daß das Bier unverhältnismäßig teuer war, waren die Weiber, wie schon in Ibagué, schon fast penetrant spitz. Da das nun absolut nicht das war, wonach mir der Sinn stand, habe ich auf einen schnellen Aufbruch gedrängt, zumal die Musik zu laut war, um eine vernünftige Konversation aufzuziehen. Aguardiente auf der Straße trinken, mit seinen Freunden, war sein nächstes Ziel. Da ich den größten Teil der Flasche bezahlen sollte, bestand ich auf mistela de mejorana, von dem man behauptete, er wäre hier zu haben. Als der Mann, der die Flasche besorgt hatte, mit normalem Schnaps zurückkam ist mir der Kragen geplatzt: Nach den eingehenden Verhandlungen, die wir zu dem Thema geführt hatten, fühlte ich mich auf den Arm genommen und ausgenutzt. Verärgert ließ ich sie stehen, nachdem ich ihnen gründlich die Meinung gesagt hatte.

Bis zum Abendessen habe ich die Stadt erkundet. Zweiundzwanzig Monate nach einem, zumindest in der Innenstadt verheerenden Erdbeben, wa man immer noch damit beschäftigt aufzuräumen und die Schäden zu beheben; Teilweise waren die Versuche noch nicht einmal begonnen! In den meisten großen Städten wird hier an Straßen und Gebäuden gebaut, aber hier war nun fast alles aufgerissen und entsprechend staubig. Den Verkehr hat das allerdings nur wenig beeindruckt: Alles, wie üblich, verstopft und voller ungefiltertem Benzingestank.

Wenigstens habe ich eine tienda gefunden, wo ich noch nicht einmal eine Mark fürs Bier hingelegt habe. Sie lag fast neben dem Eingang zur Bavaria-Brauerei. In dieser Gegend heißt das Bier nicht mehr Aguila, sondern Poker. Ich fand es besser, als das Bier des Nordens.

Zum Abendessen bin ich in ein großes Schnellrestaurant. Zumindest sah es so aus, was die Einrichtung anlangte. Immerhin wurde ich aber bedient. Die hier gegessene bandeja paisa war einfach klasse. Viel zu lesen gab’s im Hotel am Abend nicht mehr, denn die Sehenswürdigkeiten Armenias sind ziemlich limitiert.

Obwohl ich nicht sehr begeistert war von Armenia, beschloß ich hier waschen zu lassen und einen Tag Pause zu machen. Aus der Pause und der Ruhe wurde allerdings nichts. Nachdem ich zum Frühstück eine hervorragende Bäckerei fand, habe ich mich einerseits – vergeblich, wie immer – um einen Fahrradständer bemüht, andererseits mir die wenigen Sehenswürdigkeiten der Stadt angesehen. Die Arbeiterplastik auf der Plaza Bolívar und die moderne Kathedrale waren nicht unbedingt mein Geschmack. Der Parque Sucre enthielt zwar einen riesigen, uralten Baumwollbaum und einige ansehnliche Blumenbeete, aber so richtig begeisternd konnte ich auch das nicht finden. Die San Francisco Kirche am Marktplatz sah von außen ganz nett aus, war aber wegen der Erdbebenschäden leider unzugänglich. Der sicher interessanteste Punkt, das Museo Quimbaya, außerhalb der Stadt, war laut Reiseführer montags geschlossen.

Nach dem ziemlich noblen Mittagessen auf der Avenida Bolívar, bei dem ich eine Heftklammer im teuren Jungbullensteak gefunden hatte – das Verhalten der Kellner war allerdings vorbildlich – bin ich in den Norden der Stadt gelaufen, um ein Internet zu suchen. Vier Läden habe ich gefunden, aber ein Teil funktionierte nicht und der andere war deswegen überfüllt. Neben einem Einkaufszentrum an der Avenida Bolívar fand ich einen Biergarten. Aber ein einsetzender Schauer vertrieb mich. Das Bier war sowieso recht teuer gewesen. Auf dem ziemlich weiten Rückweg ins Ortszentrum habe ich in einer Nebenstraße eine kleine Kneipe gefunden, in die ich mich vor dem sich intensivierenden Regen geflüchtete habe.

Als der Regen endlich aufgehört hatte, bin ich vor dem Abendessen zurück ins Hotel. Dabei habe ich mich den jungen Rezeptionisten gut unterhalten. Er zeigte mir eine kleine, ziemlich stumpfe Machete, die er, laut eigener Aussage, schon zum Drohen verwendet hatte. Ich ging kurz in mein Nahegelegenes Zimmer und zeigte ihm, womit ich im Notfall drohen konnte. Meine Machete gefiel ihm, wie schon anderen vorher.

Nach einem etwas dürftigen Steak in einer Holzbaracke bin ich die Avenida Bolívar wieder Richtung Norden gelaufen, weil ich hier das Schild zu einer Kneipe namens Sabbath gesehen hatte. Ich war zwar etwas früh und der erste Gast, aber der gespielten Musik, Schwermetall, tat das keinen Abbruch. Nach einer Weile, es waren immer noch keine weiteren Gäste da, kam der junge Mann hinter dem Tresen mit mir in Gespräch. Zuerst natürlich über die von ihm aufgelegten Platten. Später fragte er mich, ob ich nicht der Radfahrer sei, der in den Nachrichten erwähnt worden war – schon wieder! Ich antwortete wie immer, daß ich die Sendung nicht gesehen habe und den Text der Meldung nicht kenne, aber Grund zu der Annahme hätte, daß ich gemeint sei. Immerhin wollte er mir, meiner Popularität wegen, Musikwünsche erfüllen. Das dämpfte immerhin meinen Ärger über das verlorene Inkognito.

Als der Laden sich zu füllen begann, bin ich gegangen. Auf dem Rückweg ins Hotel überfiel mich der Hunger und ich blieb bei einem Hamburgerstand stehen, um mir – gegen meine Gewohnheit – einen, immerhin selbstgemachten Hamburger zu gönnen. Auf einmal sprach mich ein junger Mann an. In der Dunkelheit und weil er gegen das Licht stand, brauchte ich einen Moment, um den Rezeptionisten zu erkennen. Er sagte, daß an diesem Stand die besten Hamburger der Stadt gemacht würden. Ich habe auf der ganzen Reise gut ein halbes Dutzend Hamburger gegessen. Einen besseren, als diesen, hatte ich aber nicht.

Zurück im Hotel trafen wir uns wieder und ich habe mit ihm noch eine Weile Fußball am Hotel-Fernseher geguckt, da der Apparat sowieso zu laut war, als daß ich mich hätte ins Bett legen können.

Morgens, nach dem Frühstück, nahm ich mir ein Taxi, um zu dem recht weit außerhalb gelegenen Museum der Staatsbank für Quimbaya-Kultur zu fahren. In dem verschachtelten Gebäudekomplex mit begrüntem Innenhof suchte ich den Hinweisschildern folgend, den Teil, in dem die Exponate der Indianerkultur ausgestellt waren. Als ich ihn endlich gefunden hatte, teilte mir ein Mitarbeiter der Bank mit, daß die Ausstellung aufgrund der Erdbebenschäden noch nicht wieder für den Publikumsverkehr freigegeben worden sei. Seltsam nur, daß mich vorher keiner der Sicherheitsleute zurückgeschickt hatte. Vielleicht wäre die angeschlossene Bibliothek offen gewesen. Ich ging durch den Innenhof des äußerlich wenig beschädigten Gebäudes zurück und habe mir ein Taxi zurück in die Stadt genommen.

Auf der Fahrt beschloß ich der Stadt endgültig den Rücken zu kehren. Da ich aber keine Lust hatte, weiter auf die Nachricht im Fernsehen über mich angesprochen zu werden, hoffte ich, mit dem Bus einen Vorsprung zu erreichen, der mir die gewohnte Anonymität verschaffte. Nachdem ich gepackt hatte, fuhr ich zum Busbahnhof. Hier hatte ich mehr Glück, als in Ibagué. Nach kurzer Wartezeit konnte ich in den Bus nach Cali steigen.



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