Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Tagebuch

48. Huanchaco

Welleritt auf historischem Bootstyp

Weil ich im Reiseführer von den hier üblichen caballitos de totora gelesen hatte, wollte ich die Gelegenheit nutzen, selbst damit ein wenig aufs Meer rauszufahren. Also erkundigte ich mich bei Solange, wo ich mir ein solches Wasserfahrzeug ausleihen könnte. Sie erklärte sich sofort bereit, mit mir zum Strand zu gehen und dort einen Fischer, den sie kannte, zu fragen. Mit meinem Badeanzug und einem T-Shirt, das ich die ganze Zeit trug, bekleidet machte ich mich in Badelatschen und einem Handtuch über der Schulter mit ihr auf den Weg. Für rund sieben Mark die Stunde, überließ mir der Fischer dank Solanges Fürsprache das Boot und eine armdicke, halbierte Bambusstange, die wie ein Doppelpaddel benutzt wird.

Diese Binsenpferdchen, wie man caballitos de totora übersetzen kann, sind eine Konstruktion aus zwei, gut dreißig Zentimeter durchmessenden und zwischen drei und vier Meter langen, nach vorne spitz zulaufenden Bündeln aus totora-Schilf, die zusammengebunden sind, die Spitze ist nach oben gebogen. Dieser Bootstyp, der aus dem gleichen Material und nach den gleichen Prinzipien, wie die größeren Boote auf dem Titicacasee aufgebaut ist, wird seit weit über tausend Jahren hier an der Küste von den Fischern genutzt, wie Chimú- und Moche-Keramiken beweisen.

Bei seinem Exkurs nach Huanchaco hatte Humboldt "zum ersten mal die ungewöhnlichen Wasserfahrzeuge gesehen und bewundert, die ,Caballitos’ genannt werden". Weil er den Einheimischen nur bei der Benutzung zuzusah, anstatt sich selbst darauf zu setzen, konnte er zu dem Schluß gelangen: "Diese Flöße sind sicherer als die Kanus; die einzige Gefahr besteht darin, daß die Bündel sich lösen oder zuviel Wasser aufsaugen".

Mit den Unterschenkeln im Wasser, wie auf einem Pferd, saß ich auf den beiden Schilfrohrbündeln und kämpfte vergeblich gegen die Wellen, die hier in der Bucht gut einen Meter hoch sind, an. Auf einem See hätte ich mich wohl halten können, aber im Meer warfen mich die Wellen immer wieder aus dem Sattel. Selbst, wenn ich mich einige Wellen lang halten konnte, schaffte ich es nicht, aus dem etwa dreißig Meter breiten Brandungsbereich in tieferes Wasser zu gelangen, wo der Wellengang nicht mehr so stark war. Der Fischer, der Angst um sein caballito bekam, ließ mich hinten auf der Mulde, in die er normalerweise seinen Fang legte, Platz zu nehmen und paddelte mit mir weiter raus.

Die Fahrt war recht angenehm, auch wenn ich bemerkte, daß ich dort, wo ich keinen Sonnenschutz aufgetragen hatte, langsam verbrannte. Außerdem war das Wasser alles andere, als warm, wenn auch nicht ganz so kalt, wie ich es von der Nordsee her kannte. Allerdings aber immer noch kalt genug für Quallen, vor denen mich der Fischer warnte, weil sie nesselten. Ich sah zwar viele Quallen, aber nicht alle Arten wären unangenehm, wie mir mein Chauffeur erklärte. Obwohl er die Zeit sicher besser einschätzen konnte, fragte er einige Male, ob ich schon genug hätte, aber ich kostete die Stunde voll aus. Gelegentlich schaffte es der Mann mit dem etwas überladenen Binsenpferdchen auf einer Welle zu reiten. Das gefiel mir besonders, da ich das allein nie geschafft hätte. Zufrieden kehrte ich schließlich zu Handtuch und Badelatschen zurück, nachdem ich dem Fischer geholfen hatte, das caballito zum Trocknen aufzustellen. Wir verabschiedeten uns freundlich und ich ging zur Pension, um, das Salzwasser abzuduschen.

Huanchaco

Nach der Mittagruhe machte ich einen Spaziergang durch den Ort und bin auf den Hügel, auf dem die Dorfkirche steht. Hier oben war nichts mehr touristisch, aber der Ausblick war den Marsch in der Hitze wert gewesen. Man übersah den Strand und die um die Bucht aufragenden Steilwände und die sich daran anschließende Ebene. Die Kirche sah bereits von außen so unspektakulär aus, daß ich darauf verzichtete, hineinzugehen. Auf dem Weg hinunter ins Dorf stärkte ich mich in einer tienda und lief zum nördlichen Ende des Strands.

Hier war aber alles ziemlich touristisch: Kneipen und Restaurants über mehrere Hundert Meter entlang der Wasserlinie. Als ich wieder zurücklief, sah ich zwischen den vielen Touristen Gonzalo, einen Chilenen, den ich in Trujillo auf der Plaza de Armas getroffen hatte. Wir unterhielten uns eine Weile, aber, weil er sich mit einigen Leuten in der Nähe des kleinen Piers aufhielt, sprang der Funke nicht recht über.

Menschen

Zum Abendessen kehrte ich erneut in dem bereits bekannten Restaurant ein, wo ich auch den Dänen wiedertraf. Diesmal hatte er sich mit einer Bayerin verabredet, die bald darauf zu uns stieß, um mit ihr den Abend in Trujillo zu verbringen. Wir unterhielten uns eine Weile, aber ich merkte recht bald, daß die gutaussehende junge Frau ein reiches verwöhntes Gör war, die auf die Südamerikaner höchstens aus Modegründen nicht ganz so tief herabblickte, wie sie eigentlich empfand. Den Dänen mißbrauchte sie lediglich als Schutzschild, obwohl ich sah, daß er sich Hoffnungen machte.

Später kam noch ein bärtiger US-Amerikaner dazu, der mir wegen seiner schweren Harley vorher schon aufgefallen war. Er erzählte, daß er den ganzen Weg von seiner Heimat Oregon hierher gefahren sei. Auf Nachfrage mußte er allerdings zugeben, daß er von Panama nach Cartagena mit den Schiff gefahren war. Es gibt durch die Grenzregion zwischen Panama und Kolumbien, das Darién, keine durchgehende Straße. Die Bayerin und der Ami stellten genau den Typ von Touristen dar, wegen dem ich solche Orte, wie diesen Badeort auf der Reise bisher zu vermeiden versucht hatte. Noch während ich bezahlte, löste sich die Gesellschaft auf. Ich lief noch eine Weile durch die hinteren Gassen des Ortes, bevor ich mich in die Pension zurückzog.

Nach den Frühstück erfragte ich bei Solange eine Wäscherei, wo ich meine Wäsche hinbrachte. Anschließend fuhr ich im Bus durch den garúa nach Trujillo, weil ich vom Geldautomaten mein Bargeld nachfüllen mußte. Da es noch ein zoologisches Museum gab, das ich nicht kannte, wollte ich mich dort umsehen. Zuerst lief ich zur Plaza de Armas, wo in einem sonntäglichen Ritual, das viele Besucher angelockt hatte, die Fahne vom Militär aufgezogen wurde. Eine Kapelle spielte dazu. Der Geldautomat war gleich um die Ecke und ich nutzte ihn sofort.

Als ich mein Geld eingesteckt hatte, kam ein Peruaner, etwa Anfang Vierzig, auf mich zu und sprach mich an. Nachdem er erfragt hatte, daß ich Deutscher bin, führten wir alle nachfolgenden Gespräche auf Deutsch, das er ziemlich gut beherrschte. Wir standen eine Weile auf der Straße, bis er mir einen Frühschoppen vorschlug. Er zahlte sogar das erste Bier. Obwohl ich die Konversation mit Antonio angenehm fand, verließ mich mein Mißtrauen nicht. Ich hatte ja gerade das Geld für die nächsten zwei Wochen gezogen. Daher fühlte ich mich nicht besonders wohl. Er erzählte mir von den Klassikern, wie Nietzsche, Mann, Kant und andere, die er gelesen hatte.

So philosophierten wir einige Biere lang, bis er vorschlug, mich zum Mittagessen bei sich einzuladen. Ich müsse nur das Bier zahlen, das wir von unterwegs mitbrachten. Weil ich gewohnt war, als Ausländer bei solchen Gelegenheiten in die Tasche zu greifen, überraschte er mich damit, daß er bis zu unserer Trennung am Abend gut dreißig Mark ausgegeben hatte. Naja, war ziemlich viel Bier, was wir an diesem Tag getrunken haben.

Während er seine Schwestern, die mich etwas scheel ansahen, was ich erst später verstand, das Mittagessen bereiteten, waren wir in seinem Zimmer, wo er mir seine gut vierzig Bücher umfassende "Bibliothek" präsentierte.

Zurück im Wohnzimmer seiner Schwestern, aßen wir ziemlich kleine Fische mit Reis und Backbananen. Dabei geriet mir eine Gräte in den Gaumen, die unglücklicherweise auch noch abbrach, als ich versuchte, sie herauszuziehen. Nach dem Essen wurde er ziemlich zudringlich, was ich ihm mit der Drohung austrieb, ihm eine Ohrfeige zu versetzen.

Wir haben den ganzen Nachmittag weiter gesoffen und als es dunkel wurde, schleppte er mich in eine weitere Kneipe. Durch seinen für einen Peruaner einigermaßen hohen Bildungsstand verflachte das Gespräch nur, wenn er versuchte, an mir rumzubaggern. Als mir das irgendwann zu blöd wurde, habe ich Antonio in der Kneipe sitzen lassen und bin zum Bus gelaufen. Er ist mir nachgekommen und hat mir versprochen, es künftig zu unterlassen. Nach einigen Bieren in der Kneipe, in die wir zurückgekehrt sind, wollte er mich unbedingt noch bei sich in seinem Zimmer haben. Darauf hatte ich aber keine Lust, da ich seinem Versprechen nicht traute. Zumal er wieder unterschwellig davon anfing. Irgendwann packte ich ihn, der über einen Kopf kleiner war, als ich und knallte ihn gegen die Hauswand. Ich sah an seinen angstgeweiteten Augen, wie sehr er mich unterschätzt hatte, was meinen Willen und mein Durchsetzungsvermögen anlangt. Ich ließ ihn stehen und fuhr mit dem Bus zurück nach Huanchaco.

Dieser Kerl ist gemeingefährlich, denn er fährt offenbar gelegentlich nach Huanchaco, um sich dort seine Opfer auszusuchen, bevor er versucht, sie betrunken zu machen und zu überwältigen. Antonio sprach immer wieder von einem Österreicher, bei dem ihm das gelungen war. Obwohl er mich am Geldautomaten gesehen hatte und wußte, daß ich Geld hatte, schien er darauf keinen Wert zu legen, was dafür sprach, daß er tatsächlich regelmäßig als Lehrer arbeitete, wie er behauptete. Bei allem was er mir sonst über sich erzählte, habe ich starke Zweifel, ob es nicht einfach nur Mittel zum Zweck war.

Ungeplante Verlängerung

Eigentlich hatte ich vorgehabt, nachdem ich die Wäsche abgeholt hatte, die wider Erwarten doch fertig war, Huanchaco zu verlassen, aber die Sauftour am Vortag hatte mich zu sehr geschwächt. Daher nahm ich den ganzen Tag als Ausruhetag. Außerdem mußte ich das Gepäck etwas umarrangieren, um ein besseres Gleichgewicht auf dem Fahrrad zu erreichen.

Mittags hatte ich wieder nur Brötchen gegessen. Daher beschloß ich zum Abendessen in das bekannte Restaurant zu gehen, um ein letztes Mal Seezunge mit Spaghetti und der aufregenden Pilzsoße zu essen. Da diesmal keine weiteren Touristen da waren, hatte ich Gelegenheit, mich mit dem Sohn des Wirts ausgiebig zu unterhalten.

Er erzählte mir, daß er Betriebswirtschaft studiert hatte und bei einer Firma eine Anstellung gefunden hatte, die Fischmehl herstellte. Im kalten Humboldtstrom kamen die anchovis, kleine Sardellen, bis nach Nordperu. Hier wurden sie gefangen und in hochwertiges Fischmehl verwandelt. Als vor einigen Jahren El Niño wieder zugeschlagen hatte und das Wasser für die Fische zu warm wurde, verloren viele Betriebe ihre Existenzgrundlage und mußten schließen. So wurde der Mann arbeitslos. Auch die Versuche, sich mit Kollegen, die in einer ähnlichen Lage waren, zu verselbständigen, liefen so schlecht, daß er davon nicht leben konnte. So blieb ihm nichts anderes übrig, als bei seinem Vater im Restaurant, an das auch eine kleine Pension angeschlossen ist, zu arbeiten. Für mich war sein Werdegang eine Überraschung, da ich der Ansicht gewesen war, die Anzahl der Hochschulabsolventen in Peru sei zu gering, als daß man sich Ausschuß, wie in Europa oder Nordamerika, leisten könne.

Später kam ein weiterer Gast zum Essen, der sich als pensionierter Mathematiklehrer herausstellte. Er griff gelegentlich in unser Gespräch ein. Als ich ihn ein wenig zu höherer Mathematik befragte, mußte er allerdings passen: er hatte nur einer Hauptschule unterrichtet, wo man sich nicht mit Gauss’schen Glockenfunktionen oder mehrdimensionaler Algebra beschäftigt hatte. Wegen der guten Konversation wurde es später, als ich geplant hatte. Schlimmer wirkte sich allerdings das Essen aus. Ich verbrachte mehr Zeit auf der Toilette, als im Bett. In diesem Fall war ich allerdings überzeugt, daß keine böse Absicht vorlag, wie ich die andernorts erlebt hatte. Ärgerlich war es trotzdem, weil mir noch in der Nacht klar wurde, daß ich so nicht am nächsten Tag würde losfahren können.

Wegen der ständigen Unterbrechungen meines Schlafs, pendelte ich bis halb zehn morgens zwischen Bad und Bett. Anfangs ärgerte ich mich, einen weiteren Tag verloren zu haben. Um mich zu beruhigen, machte ich einen Spaziergang zum Strand, wo ich mich unter einen etwas erhöht aufgestellten Sonnenschutz unweit der Straße setzte und das Meer beobachtete. Der gleichmäßige Wellengang trug zu meiner Beruhigung bei. Weit draußen sah ich die Fischer, die mit ihren caballitos de totora einen Kreis bildeten, um zu fischen. Wegen des kalten Wassers hatten sie ihre Beine auf den Schilfrohrbündeln ausgestreckt. Die kleinen Wasserfahrzeuge tanzten auf den Wellen und ich fragte mich, wie die Fischer in dieser Position in der Lage waren, ihr Gleichgewicht zu halten.

Der Anblick des blauen Himmels, aus dem unbarmherzig die Sonne brannte, die Weite des sich eher träge bewegenden Pazifiks mit den Fischern weit draußen, wirkte in einem fast künstlerischen Sinn anregend. Wäre ich ein Maler, wäre aus dem sich mir bietenden Ausblick sicher ein brauchbares Gemälde geworden. So hing ich meinen Gedanken nach. Da sich nur wenige Badegäste am Strand befanden, blieb ich während der fast zwei Stunden, die ich am Wasser verbrachte ziemlich ungestört.

Abschiedsparty

Nach meiner Rückkehr setzte ich mich vor meinem Zimmer an einen Tisch im Schatten des Innenhofs. Dabei sah ich eine neuen Gast ankommen, der sich bald darauf zu mir gesellte. Ein junger Franzose, mit dem ich mal wieder Französischspanisch redete, weil der gleichzeitige Gebrauch zweier romanischer Sprachen immer erhöhter Konzentration bedarf. Da er von Süden kam, war er bereits in Lima gewesen. Als er meine Zigaretten sah, fragte er ob ich nicht auch Tabak rauchte. Natürlich, aber wo sollte ich hier Tabak herkriegen. Er erzählte mir, daß er im Zentrum Limas ein Café entdeckt hätte, wo ich mir Tabak kaufen könne. Nur mit dem Preis war er wohl etwas durcheinander gekommen. Ich glaubte nicht, daß ein Fünfzig-Gramm-Päckchen nur drei Soles, also umgerechnet zwei Mark kosten sollte. Es stellte ich später heraus, daß es drei US-Dollar waren, was dem Preis in Deutschland entspricht. Für Lima fand ich es deswegen okay, weil der Tabak schließlich nicht von selbst aus Holland über den Atlantik geschwommen war.

Der Tag schien für Neuankömmlinge günstig, denn ein Badener, der mit einer Südamerikanerin reiste, trafen ebenfalls ein. Das Gespräch mit ihm, mittags, fiel leider nur kurz aus. Mit dem Franzosen sprach ich fast zwei Stunden. Schließlich begab ich mich zur Siesta. Da anschließend keine weiteren Gäste im Hof saßen, lief ich durch den Ort.

Als es Zeit zum Abendessen wurde, suchte ich mir ein Restaurant am entgegengesetzten Ende von Huanchaco an der "Strandpromenade". Es begeisterte mich zwar nicht, aber wenigstens hatte ich keine Verdauungsprobleme. Auf dem Rückweg zum Hotel, den ich wieder etwas großzügiger gestaltete, beschloß ich eine Flasche Wein zu trinken, anstatt des üblichen Bieres. Nach einigen Suchen fand ich einen chilenischen Concha y Toro, einen Cabernet Sauvignon. Obwohl man es in Südamerika nur an sehr wenigen Plätzen schafft, brauchbare Reben zu pflanzen und noch seltener einen guten Wein daraus zu machen, war ich von diesem Zweitausender-Jahrgang schnell überzeugt. Damit keiner vorschnell die Nase rümpft: wegen der gegensätzlichen Jahreszeiten auf der Südhalbkugel war der Wein natürlich schon knapp ein Jahr alt, weil die Lesezeiten entsprechend anders sind.

Bei meiner Rückkehr in die Pension erwartete mich eine Überraschung: Man hatte die im Hof stehenden Plastiktische zusammengerückt und schickte sich an, eine Party zu feiern. Ich ließ mich nicht lange bitten und setzte mich ebenfalls dazu. Es herrschte ein ziemliches Sprachengewirr, weil ich mit dem Badener gelegentlich deutsch sprach, mit dem Franzosen, das stark hispanisierte Französisch und mit drei jungen Juristen aus Chile und wenn alle am Gespräch teilhatten, Spanisch.

Die beiden jungen Männer und das Mädchen erzählten mir von Chile, das viel besser sei, als der ganze Rest Südamerikas, auch so sagten sie, weil es dort keine importierten schwarzen Sklaven gegeben habe. Die Straßen, über deren Zustand ich mich für die bisher bereisten Länder mokierte, seien in Chile ebenfalls viel besser. Überhaupt müsse ich nach Chile kommen, weil dort alles viel besser sei. Von Pinochet und seiner Diktatur redeten sie aber nicht. Außerdem war ihnen deutlich anzumerken, daß die drei aus sozial höher stehenden Familien stammten und wohl nie die Armut, auch unter den Weißen, und die Unterdrückung der Indianer hatten zur Kenntnis nehmen wollen. Da wir aber ein Fest feierten, wollte ich in diesem Moment auch nicht mit ihnen darüber streiten.

Weiterhin saßen da noch ein Mann und eine Frau aus den Niederlanden. Die beiden waren Ende zwanzig und der Mann hatte lange Haare und schien mir einen progressiven Eindruck zu machen. Beim Umgang mit mir war er jedoch äußerst konservativ. Während seine Freundin sich sogar bemühte, mit mir deutsch zu reden, sah er mich nur böse an. Ich halte ihn für ein Opfer der verfehlten Schulpolitik seines Landes, das die EU Mitte der Neunziger Jahre zurecht schwer kritisiert hatte. Bis dahin wurde in den Schulen dort impliziert, daß es in Deutschland seit 1945 keine Entwicklung mehr gegeben habe und daher die Deutschen noch die selben Nazis seien, die 1940 einmarschiert waren.

Als mein Wein zur Neige ging, lud man mich ein, wie die anderen, Cola mit Rum zu trinken. Ich lehnte ab, weil ich auf keinen Fall noch einen Tag hier verbringen wollte und weil ich keine Mixgetränke mag. Um einen Schluck reinen Rums zum Abschied, gegen halb zwölf, bin ich aber nicht herum gekommen. Nachdem wir uns herzlich und im allgemeinen Bedauern verabschiedet hatten, schaffte ich es nur, weil ich Ohrstöpsel hatte, einigermaßen ungestört zu schlafen.



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