Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Tagebuch

1. Caracas

Anreise

Der lästig lange Flug verlief über San Juan, Puerto Rico – Tankaufenthalt – und Bogotá, wo ich nach einstündiger Wartezeit umsteigen musste, nach Caracas. Trotz einsetzender Flugmüdigkeit – ich war zu diesem Zeitpunkt schon 16 Stunden unterwegs, aber die Ortszeit war 20 Uhr –, beeindruckte mich der zweimal genossene Blick auf das nächtliche Lichtermeer der Achtmillionenstadt Bogotá. Nicht nur, weil es auf dem Reiseplan stand, wusste ich, dass ich hierher zurückkehren würde.

Bis Bogotá saß ich neben einem Endvierziger, der schon fünfzehn Jahre in Ecuador lebte. Wir führten einige Gespräche, um uns die Zeit zu verkürzen. Die gezeigten Spielfilme waren auch nicht unbedingt mein Geschmack. Wohl, um nicht ins Hintertreffen zu geraten, als ich ihm von meinem abgeschlossenen Geologiestudium erzählte, behauptete er, er sei Biologe. In seinem Wohnort betreibt er, wie ich später erlebte, ein Café. Mir kam allerdings gleich merkwürdig vor, dass er, bei einer Diskussion um antiken ägyptischen Cocagenuss, nachgewiesen an einer Mumie durch eine niederbayrische Gerichtsmedizinerin, die Theorie aufstellte, die bekanntermaßen in Südamerika endemische Cocapflanze könne „doch auch noch irgendwo anders wachsen“.

Von Maiquetia nach Caracas

Nach einer kurzen Nacht bin ich etwas durch den Ort gelaufen – und habe nur geschwitzt. Weit über dreißig Grad und feuchtheiß. Bereits Alexander von Humboldt beschreibt die venezolanische Küste als „ein Land, wo das ganze Jahr eine furchtbare Hitze herrscht und wo man den Trieb hat, mehrere Male des Tages zu baden.“ Für das sechs Kilometer weiter östliche Guaira, wo er, von Cumaná kommend, die höchste Temperatur der Reise gemessen hat, schrieb er: „Bei Tag ist die Hitze erstickend und meistens auch bei Nacht.“ [Die Ursache dafür liegt darin begründet, daß der Hafen von großen Felswänden umgeben ist, die tagsüber die Sonnenwärme reflektieren und nachts die Hitze des Tages abstrahlen.]

Als die Taxifahrerin von der vergangenen Nacht – wohl aus Scham über die gemeinsame Abzocke mit einem staatlichen Aufpasser am Flughafen – nicht aufkreuzte, habe ich mir ein Taxi vom Rezeptionisten im Hotel holen lassen. Auf dem Weg, immerhin gut dreißig Kilometer nach Caracas, auf dem ich auch etwas über reelle Taxipreise gelernt habe, sah ich am nordwestlichen Stadtrand auf einem riesigen Schild eine Werbung, die ich hier nicht erwartet hätte: Maggi. Selbst ein Fan der Flüssigwürze, an die ich zuerst dachte, erklärte ich dem taxista, daß es sich um ein deutsches Produkt handelt. Später fand ich heraus, daß in Südamerika meist Brühwürfel, seltener Rind als vielmehr Huhn, verkauft werden. Alles, was eingeführt ist, hält man, wenn man es nicht definitiv weiß, für US-amerikanisch. Die Information, daß es den südbadischen Speisewürzehersteller, der, wie ich nicht anstand zu vermitteln, inzwischen zu Nestlé gehört, schon über hundert Jahre gibt, schien ihm jedoch zu mißfallen – ich vermute, weil der mehr als Sechzigjährige bereits gern in seiner Jugend die Produkte genossen hätte. Trotzdem unterhielten wir uns noch recht gut, bis er mich vor dem Hotel absetzte.

Während Alexander von Humboldt, ausnahmsweise ohne Aimé Bonpland, am Abend des 21. November 1799 ziemlich direkt über die Westhänge des Avila-Berges, der heute Nationalpark ist, bis auf etwa fünfzehnhundert Meter auf einem Maultier ritt, um im Stadtteil Pastora Caracas zu erreichen, verlief meine Fahrt auf der Autobahn ohne unnötigen Höhengewinn, westlich um den Avila herum, ins Tal von Caracas. Die Steilheit der Hänge ist streckenweise jedoch durchaus mit der von Humboldt beschriebenen zu vergleichen.

Der Taxifahrer fuhr mich zum nach Reiseführer ausgewählten Hotel am Ostrand des Zentrums. Selbst wenn das Hotel nicht viel billiger war als das in Maiquetia, so war es doch erheblich besser in Ausstattung und Service.

Klima von Caracas

Nach einer Siesta habe ich die nähere Umgebung des Hotels erkundet und wieder nur geschwitzt, obwohl sich die Höhe von etwa 1000 Metern über dem Meeresspiegel durchaus angenehm auf das herrschende Klima auswirkt, aber auch hier sind die Luftfeuchtigkeitswerte geradezu astronomisch. Daher habe ich mein T-Shirt erst im vollklimatisierten Hotelzimmer wieder trocken gekriegt. Humboldt nennt das Klima zwar mild, aber auch er registrierte die hohe Luftfeuchte und sogar Dunst. Daher hielt er auch den hier herrschenden „ewigen Frühling“ für wenig gesundheitsförderlich.

Sprache

Mein Spanisch war anfangs zugegebenermaßen katastrophal, aber das fiel hier nicht so auf: Die Venezolaner und die anderen Südamerikaner reden ja auch alles andere als Kastellan. Will sagen, daß einerseits die Aussprache nicht so streng gehandhabt wird, andererseits kommen in Südamerika noch regional eigene, den Indianersprachen entlehnte Wörter vor, die natürlich in keinem Spanischwörterbuch stehen.

Ich kam jedoch, was die Sprache anlangt, ganz gut zurecht, vor allem wenn man bedenkt, daß ich vor der Reise nur mal kurz in zwei Spanischbücher geschaut hatte, um mir die Unterschiede zu Französisch und Italienisch, die ich vorher schon sprach, klar zumachen. Allerdings habe ich mich auf der gesamten Reise nie von meinem Taschenwörterbuch getrennt. Oft half mir auch meine Vorbildung, die auch in beschränkten Maß Latein und Griechisch umfasst, selbst Worte zu bilden, die in 95 Prozent der Fälle gepaßt haben - ohne Wörterbuch.

Santiago de Léon de Caracas

Da mir nicht nach abendlichen Aktivitäten zumute war, habe ich mich auf dem Zimmer mit dem Reiseführer beschäftigt.

Am nächsten Vormittag habe ich mir das Fremdenverkehrsamt wegen der Fahrtroute vorgenommen. Dabei habe ich einen netten und hilfreichen Taxifahrer, der vor dem Hotel auf Kundschaft wartete, getroffen. Señor Mendoza ist Feuerwehrhauptmann und kennt die Stadt entsprechend gut. Er hat mir sogar noch innerhalb des Hochhauses, in dem die Touristeninformation sitzt, geholfen, den Weg zu finden. Nur, daß man dort nicht auf Radfahrer eingestellt ist. Freundlich und hilfswillig ist leider manchmal nicht ausreichend. Man hat mich dort zwar mit allgemeinem Informationsmaterial ausgestattet, aber auch an die Dirección Cartografica Nacional verwiesen.

Auch, wenn die Hitze an diesem Tag nicht ganz so unerträglich war, führt natürlich jede körperliche Anstrengung zu Schweißausbrüchen. Daher, und weil der Rückweg nicht gerade kurz war, habe ich einen der Taxi-Motorroller angehalten, die sich elegant durch das fast allgegenwärtige Verkehrschaos einen schnellen Weg suchten. Trotz des Helms ist eine solche Fahrt in halsbrecherischem Tempo durch die seltenen Verkehrslücken nichts für schwache Nerven.

Ansonsten ist Caracas eine Großstadt, wie Großstädte eben so sind: Laut und hektisch aber auch weltoffen und multikulturell, aber das haben die ja sowieso: Indianer, Kreolen und ehemalige, entlaufene und freigelassene Negersklaven und natürlich Mischlinge jedweder Couleur. In einem Reiseführer las ich, daß sich hier Täter und Opfer gemischt haben und somit rassebedingte Schuldzuweisungen für die Verbrechen während der Eroberung und der Kolonialzeit obsolet geworden sind. Daraus resultiert aber auch ein in weiten Teilen Südamerikas verbreiteter Mangel an Nationalbewußtsein – mit allen Folgen.

Auffällig im Stadtbild von Caracas sind die vielen fliegenden Händler, die neben dem unkatalysierten Verkehrschaos auf den Bürgersteigen ihre Waren anbieten. Scheinbar hat sich die Haltung des Westens, der Industrieländer, nicht gebessert: Die Glasperlen vergangener Jahrhunderte sind heute zu billigstem Plastik- und Elektronikschnickschnack mutiert. Die große Masse des Angebotenen würde in Europa oder Nordamerika kein Mensch mehr los. Und ich denke nicht, daß dies ausschließlich über den Preis – der Armut des Großteils der Südamerikaner – zu rechtfertigen ist. Mir stieß die beobachtete Ungleichheit in der Behandlung der Südamerikaner immer wieder auf.

Inzwischen habe ich die Abhandlung des Uruguayos Eduardo Galeano gelesen: „Die offenen Adern Lateinamerikas“. Der sehr umfassende Überblick über die Ausbeutung zur Zeit der Eroberung und der Kolonien, die, selbst bei geringsten Südamerikakenntnissen, wohl jedem prinzipiell bekannt ist, war für mich weniger schockierend, als die bis in unsere Tage reichende Bevormundung und Niederhaltung dieser Menschen, deren einziges Verbrechen es ist, wie Galeano sinngemäß sagt, daß sie einen reichen Kontinent besitzen.

Zum Mittagessen habe ich erstmals fritierten Maniok, hier yuca genannt, gegessen – und mache mir nun über die Verpflegung erheblich weniger Sorgen - mir hat’s hervorragend geschmeckt. Beim Essen und Trinken erscheinen mir die Venezolaner den Süßigkeiten zugetan, was mir nur zum Frühstück gefällt.

 


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