Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Tagebuch

7. Santa Marta

Zur Sicherheit per LKW

Als ich gegen vierzehn Uhr die Grenze überquert hatte, trat, während ich mich um einen Stempel im Pass von der Ausländerbehörde DAS bemühte, ein etwa fünfzigjähriger Kolumbianer an mich heran und sprach mich auf Englisch an. Im Gegensatz zu den meisten seiner Landsleute – und auch den anderen Südamerikanern, die ich getroffen hatte – war sowohl seine Aussprache, als auch sein Wortschatz recht gut. Er sagte mir später, daß er regelmäßig in die USA reise, was ebenfalls ungewöhnlich ist, denn nicht jeder Kolumbianer erhält eine Einreisegenehmigung und die auch noch regelmäßig. Es erklärte seine Sprachkenntnisse jedenfalls hinreichend. Er, wie einige andere auch, warnten mich dringend davor, nach Maicao zu fahren. Ich müsse dort damit rechnen, sofort erschossen und ausgeraubt zu werden. Nur ein junger Mann lobte die frisch geteerte Strecke und fand Maicao völlig ungefährlich. Ihn hielt ich für einen Spion, der für eine dort ansässige Verbrecherbande Opfer auskundschaftete.

Sowie ich den Einreisestempel hatte, wandte ich mich an die Geldwechsler, die an der Grenze Geschäfte machten. Später, als ich die Wechselkurse kannte, konnte ich beurteilen, dass der Kurs recht gut war, den man mir gemacht hatte. Weil auch die Zöllner und Geldwechsler mich vor Maicao gewarnt hatten, bewegte ich mich zur LKW-Abfertigung, um einen der Fahrer wegen einer Mitfahrgelegenheit anzusprechen. Die kam auch recht bald. Ich erklärte dem Fahrer, daß ich an Maicao vorbei müßte, auf Riohacha, am Karibischen Meer zu. Der Fahrer war sofort einverstanden, daß ich auf der überlangen Ladeplattform hinter seiner Zugmaschine aufsprang. Auf der, nur von wenigen, senkrecht stehenden Eisenstangen begrenzten Ladefläche, saßen bereits ein Dutzend Männer, von denen zwei mir halfen, das Fahrrad nach oben zu hieven.

Wir fuhren direkt nach Maicao, wo fast alle Mitfahrer bei einem Tankstop den LKW verließen. Dabei fragte mich der Fahrer, ob ich eine Erfrischung wolle. Klar, das erste kolumbianische Bier. Etwas weniger bitter als Polar, aber geschmeckt hat mir das Aguila, was Adler-Bräu bedeutet, besser. Fast nebenbei las ich auf dem Etikett den Namen des Braukonzerns, der die fünf kolumbianischen Biersorten herstellt: Bavaria. Das klang irgendwie vertraut und beruhigend.

Es waren etwa achtzig Kilometer nach Riohacha und die Richtung Westnordwest verlaufende Straße war meist recht eben. Hinter der staubigen Halbwüste mit einigen mehr oder weniger vertrockneten Büschen, die von seltenem Kulturland entlang von Flüssen unterbrochen war, sah ich die Montes de Oca und die Serrania de Perija links, also südsüdwestlich, von mir. Der Teil des Höhenzugs, der Venezuela und Kolumbien trennt, den ich sah, ist etwa zweitausend Meter hoch, weiter im Südwesten sind es bis über dreieinhalbtausend Meter. Zeitweise schimmerte im Westen durch die Bläue des Horizonts, der Schneegipfel des fast fünftausendachthundert Meter hohen, nach dem spanischen Namen von Kolumbus benannten, Pico Cristobal Colón. Es ist der höchste Gipfel der Sierra Nevada de Santa Marta. Sierra nevada bedeutet schneebedeckter Höhenzug. Der Anblick des höchsten Berges Kolumbiens war in der Tat atemberaubend.

Als wir durch Riohacha führen, zumindest waren es die Teile, die ich zu Gesicht bekam, erinnerte nichts daran, daß es Nikolaus Federmann war, der den Ort 1545 gegründet hatte. (s.a. Die Deutschen Eroberer Venezuelas) Von seinem Reichtum durch den Perlenhandel in der Kolonialzeit war nichts übrig. Auch das Gefängnis, in dem Henri „ Papillon“ Charrière Anfang 1934 einige Tage auf seiner ersten Flucht verbracht hatte, bevor er zu den Guajira-Indianern ging, konnte ich nirgends ausmachen. In einem Industriegebiet luden wir die Altreifen, die der Fahrer geladen hatte und den dazugehörigen, letzten Passagier auf der Ladefläche ab. Die in der kurzen Zeit durch die Kolumbianer erfahrene offene Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft, machten es für mich unzweifelhaft, sofort mit anzupacken. In Venezuela wäre ich nie auf die Idee gekommen, irgendwo spontan mitzuhelfen.

Der Fahrer fragte mich, wie weit ich noch auf dem LKW bleiben würde und ich fragte ihn, wie sicher denn Riohacha sei. Wir kamen überein, daß ich bis etwa Santa Marta an Bord bleiben sollte, denn sowohl hier, als auch an den Nordosthängen der Sierra Nevada de Santa Marta sei es gefährlich. In Riohacha waren einerseits noch Schmuggler und andererseits war der Ort ziemlich arm, was einen guten Nährboden für sozial motivierte Kriminalität abgibt. An den sich anschließenden Hängen der Sierra Nevada werden Drogen angebaut. Bei Grasbauern hätte ich keine Bedenken gehabt, aber die waren in den siebziger Jahren von der Kokainmafia vertrieben oder umgebracht worden. Der Mann, der bis nach Barranquilla fuhr, lud mich auch ein, neben ihm im Führerhaus Platz zunehmen. Trotz des vielen Staubs und der recht heftigen Rüttelei auf der Plattform, zog ich es jedoch vor, weiterhin hinten auf der Ladefläche die Landschaft zu genießen.

Erst, als mich schon spät am Nachmittag der Regen zwang, den dritten Platz in der Fahrerkabine einzunehmen, kam ich mit Fahrer und Beifahrer doch noch ins Gespräch. Unsere Unterhaltung begann mit dem Wetter. Von elektrostatischer Aufladung unterschiedlich temperierter Luftmassen, die zur Entstehung von Blitzen führen, hatten sie offenbar vorher noch nichts gehört. Beide konnten gar nicht genug von mir hören und ich habe ihnen mit Freude von den verschiedensten Phänomenen auf vereinfachter naturwissenschaftlicher Basis erzählt. So verging die Zeit recht schnell und als wir endlich die Stelle erreichten, wo die Sierra Nevada de Santa Marta das Meer traf, war es schon fast dunkel. Trotzdem hat der gute Mann unaufgefordert angehalten, um mir, bei einem Bier am Kiosk, einen Blick aufs Meer und die Berge, die daraus emporstiegen, zu gönnen.

Etwa fünfunddreißig Kilometer vor Santa Marta, bei Cañaverale, am Tairona Nationalpark, hat er vorgeschlagen, Essen zu gehen. Eine Erfahrung, die ich mir auch später immer wieder zunutze gemacht habe, war die, daß Fernfahrer im allgemeinen sehr genau wissen, wo man gut einkehren kann. Der Fahrer fragte für mich nach einem Zimmer, weil er ab hier meinen weiteren Weg für ausreichend sicher hielt. Das Zimmer war sehr billig und sehr einfach. Die Türen verfügten nicht einmal über Schlösser, aber meine Bedenken wurden damit zerstreut, daß hier noch niemand etwas geklaut habe. Nach dem Essen machten sich die beiden auf den Weg, nachdem wir uns herzlich voneinander verabschiedet hatten. Ich war müde genug, nur noch ins Bett zu fallen.

Wieder auf den Rad

Man war nicht bereit, mir ein Frühstück anzubieten, also fuhr ich weiter, bis ich sehr bald einen Laden an der Straße fand, wo ich mich stärken konnte. In dem dichten Wald, durch den sich die Straße schlängelte, hielt sich die Morgenkühle etwas länger, aber auch wegen der Anstiege, die mich auf über sechshundert Meter Höhe brachten, nahmen meine Kraftreserven bald ab. Die Hoffnung, es müsse doch mal bergabgehen, zerschlug sich von Tal zu Tal. Die quebradas, die sich durch das Bergmassiv fraßen, enthielten meist kleine Flüsse. Vom Ende keine Spur. Ein letzter harter Anstieg erwartete mich vor Bonda, von wo aus ich die zwölf Kilometer entfernte Küste an diesem Tag erstmals sehen konnte.

Aber der Lohn für die Quälerei durch den nicht ganz so heißen Urwald kam bald darauf und gleich doppelt: Zuerst, gab’ s zum Downhill eine klasse Aussicht auf die karibische Küste und den Großraum Santa Marta und dann kam er, der Aufschluss, kurz vor dem Kilometerstein neun. Die ganze Zeit ging’s durch einen mehr oder weniger wollsackverwitterten, zerklüfteten, gescherten und von Harnischflächen durchzogenen Granit, soweit die Vegetation einen Blick darauf zuließ. An dieser Stelle aber, auf einer Anschnittfläche an der Straße von etwa fünfundzwanzig mal fünfzehn Metern, gab’s bis halbmetergroße schwarze Einschlüsse, die mich aufgrund der Zusammensetzung an Basalt erinnert haben. Wahrscheinlich ist jedoch, daß, wenn es sich um Basalt handelt, er bereits vor der Platznahme des Granits durch Druck und Temperatur in Amphibolit umgewandelt worden war. Die Erklärung für diese veränderten Meeresbodenreste wäre dann in einer Zeit zu suchen, die lange vor der Trennung der beiden amerikanischen Kontinente von Afrika und Europa lag. Das Aufsteigen und Steckenbleiben der Granitkörper in den zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Gesteinen, das sind die uralten Metamorphite zu denen auch der Amphibolit gehört und darüber rote Sedimente, die in Mitteleuropa Rotliegendes und Buntsandstein heißen würden, ist allerdings vor der Atlantiköffnung zwischen Afrika und Südamerika zusammen. Im Verlauf dieses Aufsteigens wurden offenbar an den Rändern des Magmenaufstiegs Teile des Umgebungsgesteins abgerissen und mitgeführt. Diese Bruchstücke waren es wohl, die ich hier zu sehen bekam.

Kolumbianische Mentalität

Weiter unten, am Ortseingang von Mamatoco, im Prinzip einem Teil von Santa Marta, saß ich in einem typischen Café: gerade mal um einen Verkaufskiosk eine eher behelfsmäßige Überdachung, unter der Plastiktische und -stühle aufgestellt sind, an denen einige Männer beim Spielen und Saufen saßen. Dazu gab’s brüllend laut kolumbianische Heimatmusik; einigem konnte ich sogar fast was abgewinnen. Hier ist der kolumbianische Vallenato gemeint. Ein harter Rhythmus einer kleinen Trommel und einem Reibholz wird von einem wilden Akkordeon unterstützt. Dazu ein oft schnell gesungener, der kolumbianischen Wirklichkeit angepaßter, meist ziemlich derber Text. Die Männer, die an den Tischen saßen und sich den üblichen Sonntagsrausch verpaßten, sprühten vor Lebensfreude. Ich spürte deutlich, daß es sich hier um ein echtes Lebensgefühl handelte, nicht um die Folgen des Konsums von billigem Schnaps. Für kühle Mitteleuropäer ist eine solche Mentalität kaum nachvollziehbar, aber, obwohl man mich weitgehend ignorierte, spürte ich die Stimmung auf mich überspringen.

Santa Marta

Ich fuhr schließlich die letzten Kilometer zum Stadtzentrum und versuchte, mich mit dem Stadtplan des Reiseführers und gutem Erfolg zu orientieren. Mich jedoch nach Reiseführerempfehlung einzuquartieren, war deswegen nicht so gut, weil die Informationen in den gut zwei Jahren seit ihrer Aufnahme veraltet waren und das Hotel nun um zwei Klassen tiefer war, als angezeigt – der Preis allerdings dementsprechend auch. Der begrünte Innenhof machte, wie die Zimmer, einen etwas vernachlässigten Eindruck, passend zum leicht verwahrlosten Besitzer. Die beiden großen Hunde, die frei herumliefen gefielen mir weniger, aber sie trugen zur Sicherheit des Hotels bei.

Ein Rundgang am späten Nachmittag, nach der Siesta, durch die erste Stadt, die bereits 1525 in Kolumbien gegründet worden war, offenbarte ihren touristischen Charakter, der aber keineswegs durch viele Kolonialhäuser, als vielmehr durch die Nähe zu einigen Stränden begründet ist. Im Vergleich zu Venezuela war hier alles spottbillig – außer dem Bier, das aber wenigstens in Flaschen zu nullkommadrei Liter angeboten wird.

Nach dem Abendessen saß ich in einer Kneipe beim Bahnhof. Die Folgen des sonntäglichen Alkoholgenusses waren inzwischen unübersehbar geworden. Aber niemand randalierte oder wurde ausfällig. Die Tatsache, daß zwei Polizisten auf ihrem Rundgang hereinkamen und sich umsahen, auch einige der besonders betrunkenen Gäste scharf anschauten, spricht aber nicht dafür, daß es grundsätzlich sonntagabends gesittet zugeht. Eingegriffen aber haben die Uniformierten nicht. Sie tranken einen auf Kosten des Wirtes, der wohl seine „ Dankbarkeit“ ausdrücken wollte, daß die Polizei sich um seinen Laden kümmerte. Wegen des fortgeschrittenen Zustands der Gäste erkannte ich bald, daß hier nichts mehr los war und kehrte ins Hotel zurück, wo ich mir die Empfehlungen des Reiseführers über die Sehenswürdigkeiten zu Gemüte führte.

Morgens bin ich zum Bolívar-Park, der das Zentrum der Stadt bildet. Eine von hellen, gepflasterten Wegen umgebene Grünanlage mit Palmen und Bänken. Im Westen grenzt der Park an die Stadtpromenade, die nach dem Gründer Santa Martas benannt ist. Ein Denkmal von Rodrigo de Bastidas, der Santa Marta gegründet hatte, steht gleich dahinter am Strand. Bastidas ist der einzige von allen Konquistadoren, von dem ich keinen allzu schlechten Eindruck habe, weil er offenbar die Rechte der Indianer respektierte. Die Rechte, die ihnen Kaiser Karl zu gestand, wohlgemerkt. Auch Bastidas ließ ohne Rüdcksicht darauf, ob die Indianer es verstanden oder nicht die Proklamation verlesen, die sie von nun ab zu Vasallen der spanischen Krone machte. Und nachher wurden sie in die Pflicht genommen. Bastidas tat aber nicht mehr, als er mußte, deswegen ist mein Eindruck von ihm besser, als der, den die anderen Konquistadoren hinterlassen haben, weil sie in ihrer Goldgier jegliche Skrupel, sofern sie sie überhaupt hatten, fahren ließen und die Indianer nach Gutdünken umbrachten und quälten, nur um sich zu bereichern. Bezeichnenderweise wurde Bastidas, der mit Juan de la Cosa und Vasco Nuñez de Balboa 1501 die Mündung des Río Magdalena entdeckt hatte, nur ein Jahr nach der Stadtgründung von seinen eigenen Leuten, die massiver am Reichtum teilhaben wollten, angegriffen und so schwer verletzt, daß er bei der Landung auf Kuba, wohin er geflüchtet war, in Alter von 67 Jahren starb.

Am Nordrand des Parks befindet sich die Casa de Aduana, das Zollhaus, in dem sich das Museo Arqueológico Tairona befindet. In dem nicht besonders großen Museum fand ich Gebrauchsgegenstände der Tairona-Kultur, die von 500 bis nach 1000 an den Hängen der Sierra Nevada gelebt hatte, und deren heutigen Nachfolgern den Kogi und den Arhuaco. Ausgestellt waren Textilien, Keramik und Werkzeuge. Hinzu kamen poporos, in denen der Kalk für das Kokakauen aufbewahrt wird. In Modellen, vor allem ist hier die Ciudad Perdida, die verlorenen Stadt, zu nennen, zeigten sich die beachtlichen architektonischen Fähigkeiten dieser Kultur. Steinhäuser, Straßen Treppen und terrassierte Felder zeichnen die alten Baumeister aus. In einem besonders bewachten Tresorraum fanden sich die wenigen Goldschätze, die man nicht nach Bogotá gebracht hatte. Gegossener Schmuck und gehämmerte Blattgoldarbeiten. Ein Teil der auch anthropozoomorphen Darstellungen waren aus Tombak, einer Gold-Kupfer-Legierung.

Zurück auf dem Platz gab ich einem hartnäckigen Schuhputzer nach, der im Lauf der Arbeit jedoch den Preis immer weiter erhöhte. Als er fertig war, kam einer der häufig anzutreffenden Straßenkaffeeverkäufer auf mich zu und wollte mir einen tinto, einen schwarzen Espresso-ähnlichen Kaffee aus einem Plastikschnapsbecher verkaufen. Da ich mir das Kaffeetrinken schon lange abgewöhnt hatte, wollte ich ihn abwimmeln. Er überzeugte mich jedoch und ich abe einige Zeit mit ihm verbracht. Später lud ich Omar zum Mittagessen beim Chinesen ein.

Omar missverstand die Geste scheinbar, denn er wollte sich gar nicht mehr von mir trennen. Leider bewies er mir zu wenig Kenntnisse – trotzdem er ziemlich bekannt zu sein scheint –, die ich eigentlich benötigen würde. Außerdem habe ich feststellen müssen, als ich ihm mein vor der Reise selbstgefertigtes Wörterbuch zu südamerikanischen Spezialausdrücken gezeigt habe, daß er Analphabet ist. Wir liefen den halben Nachmittag durch die Stadt, bis ich auf die Idee kam, ins Internet zu gehen und mich von ihm zu trennen.

Am Vormittag stand die Quinta San Pedro Alejandrino auf dem Programm. Quinta bedeutet Landhaus. Der Südamerikabefreier Simón Bolívar ist hier gestorben. Offizielle Todesursache ist Tuberkulose. Aber gestorben ist er, weil er sich zwar gegen die spanischen Kolonialherren militärisch durchsetzen konnte, aber an den Machtgelüsten und fortgesetzten Intrigen seiner ehemaligen Kampfgefährten und Freunde, sicher auch an seinem Eigensinn, scheiterte. Der Reiseführer bemerkt völlig zurecht, dass eine angemessene Aufbereitung des Lebenswerks Bolívars fehlt.

Ich suchte mir ein Taxi, das mich zu der einige Kilometer außerhalb gelegenen ehemaligen Zuckerrohrfarm brachte. Mit dem freundlichen und hilfsbereiten Taxifahrer unterhielt ich mich auf der ganzen Strecke angeregt. Obwohl ich ihm sagte, daß ich mit dem Fahrrad hier sei und er mit mir sonst kein Geschäft machen könne, zeigte er mir die unbeschilderte Haltestelle, wo die Kleinbusse zurück in den Ort fuhren. Er gab mir auch zusätzlich noch die in den Bussen angeschriebenen Endhaltestellen an, damit ich nicht fehlgehen konnte. Das fand ich typisch kolumbianisch, vor allem, wenn ich mich an die Taxis in Maracaibo erinnerte.

Die Hazienda auf der Bolívar im Dezember 1830 Zuflucht gefunden hatte, ist wunderschön: von einem großen, gepflegten Gartenpark, der Gärtner muß Europäer gewesen sein, mindestens aber europäische Gärten des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts gesehen haben. Aber natürlich mit der hier üblichen Flora. Da waren riesige, weit ausladende Tamarindenbäume, deren Äste so ausladend waren, dass sie abgebrochen sind. Ich sah auch Baumwollbäume, in den Wald, der die Gebäude umgibt. Ein anderer besonderer Baum, war der, dessen Äste selbst immer wieder Luftwurzeln ausbildeten, so daß die größten Äste selbst durch eigene Wurzeln gestützt waren.

Im Inneren der Gebäude fanden sich wenige Artefakte, die der Befreier selbst noch benutzt haben soll. Dazu einige Kolonialmöbel. Dem überwiegenden Teil der Gebäudefläche sieht man jedoch die Funktion noch an. Verarbeiten von Zuckerrohr. Lehmziegelgebäude für die Lagerung des Zuckerrohrs und der Rumfässer. Ein Haus, das fast nur aus einem riesigen gemauerten Ofen bestand und Wohnhäuser für Besitzer und Arbeiter. Hier sah ich zum ersten Mal einen Keller.

Ich verbrachte fast den ganzen Vormittag in dieser schönen Umgebung, bis ich mit einem Kleinbus ins Zentrum der Stadt zurückkehrte. Bei einem kurzen Abstecher ins Hotel fand ich den schmierigen Patronin meinem Zimmer. Die Bettwäsche wäre vorher nicht da gewesen, meinte er. Ich hatte eher den Eindruck, dass er meine Sachen durchsuchen wollte. Ich unterstellte dem Mann weniger Diebstahlabsichten, als Neugier. Trotzdem ließ ich ihn spüren, daß ich seiner Erklärung nicht glaubte.

Zum Essen traf ich Omar und spannte ihn anschließend dafür ein, mir bei der Suche nach Tabak zu helfen, denn meine mitgebrachten Vorräte gingen langsam zu Ende. Dafür, daß Omar hier lebte, kannte er sich erschreckend schlecht aus und so mußten wir die Suche bald aufgeben. Aber er versuchte mir immer wieder Geld aus der Tasche zu ziehen. Allerdings bezahlte ich nie sein agua de panela aromatico, Rohrzuckerwasser mit Kräutern, das er verkaufte, lud ihn aber gelegentlich zum Essen ein.

Am späteren Nachmittag sind wir in den Ortsteil Mamatoco, in sein Haus. Die Straße zu seinem Haus war ungeteert und er bewohnte die kleinste Hütte. Wasser gab’s aus der Pumpe vor dem Haus, aber wenigstens Strom. Sonst lag so ziemlich alles im argen. Bettwäsche gab’s genauso wenig, wie Kühlschrank oder Backofen. Und, daß man in Europa mehrere Kleidungssätze standardmäßig besitzt, schien für ihn eine umwerfende Neuigkeit zu sein, aber für einen portablen Farbfernseher hat’s gereicht. Natürlich mußte ich seine Frau und die Kinder kennen lernen, sowie seinen Schwiegervater, der ebenfalls gerade da war. Den Antrag Omars, den Patenonkel seiner Kinder zu machen, mußte ich allerdings, genau wie die Einladung zum Essen ablehnen. So wenig Lust ich verspürte, die finanziellen Lücken zu schließen, die er als Vater hinterließ, so wenig mochte ich das wenige Essen, das er sich leisten konnte, verzehren. Schließlich überzeugte er mich wenigstens, seinen Kindern Geld für ein paar Schuhe zu geben. Fünfzehn Mark hielt ich angesichts der Tatsache, daß ich als Westeuropäer einen höheren Lebensstandard pflegte, als er, für gerechtfertigt. Immerhin, wußte ich, kam ein Teil des Reichtums in Europa von der Armut der Menschen in Gegenden, wie diesen.

Der folgende Tag Tag begann mit einer schlechten Nachricht. Der Hotelier hatte Teile meiner Wäsche, die ich zum Waschen am Vortag bei ihm abgegeben hatte, nicht zurückgebracht. Er wollte detailliert wissen, um welche Stücke es sich handelte. Ich war verärgert, weil ich eigentlich nicht hatte so spät losfahren wollen. Andererseits war es zum Strand in Taganga auch nicht sehr weit. Aber Omar erwischte mich noch und machte den Vormittag teuer. Er schleppte mich zum Zahnarzt, der ihm seine beiden fehlenden Vorderzähne ersetzen sollte. Der Behauptung, er habe sie sich an einer Flasche ausgebissen traute ich nicht. Später war ich sicher, daß er sie wegen Dreistigkeit beim Abzocken ausgeschlagen bekommen hatte. Ich bezahlte den Zahnarzt und sah zu, wie er den Gebissabdruck nahm, aus dem das Modell für die Ersatzzähne gemacht werden sollte.

Omar begleitete mich noch zurück zum Hotel und verabschiedete mich. Inzwischen hatte der Patron die fehlenden Wäschestücke „gefunden“. Der Wind, hätte sie zum Nachbarn getragen. Wer’s glaubt! Der Nachbar hatte sicher selbst nachgeholfen, da es sich ausschließlich um spezielle Radfahrunterwäsche gehandelt hatte.

Froh diesen Laden und seinen Patron hinter mir gelassen zu haben, fuhr ich die sechs Kilometer über den nächsten Hügel nach Taganga. Eine schweißtreibende Angelegenheit in der spätvormittäglichen Hitze. Weg vom Stress des Touristenortes und Omar, hoffte ich, mich hier etwas erholen zu können, bevor ich einen Ausflug in die Sierra Nevada machte.



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