Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Tagebuch

10. Entlang der Karibikküste

Organisation in Santa Marta

Ich bin planmäßig für einen Tag nach Santa Marta zurückgekehrt. In der angenehmen Morgenkühle die Bergabfahrt, die wegen der vielen Schlaglöcher eher ein Konzentrationstraining war. Durch den Wald, mit seinen Lichtungen, in denen gelegentlich das Meer und Santa Marta mit den umgebenden Hügelketten zu sehen waren, ging’s durch Mamatoco in die Stadt, in Richtung Meer – dem Zentrum entgegen.

Die Suche nach einem Hotel war deswegen nicht schwierig, weil mir Omar zwei nahe beieinander liegende Unterkünfte empfohlen hatte. Im ersten wollte man allerdings nicht, daß ich das Fahrrad mitnahm. In solchen Fällen habe ich immer die Höchststrafe verhängt: kein Umsatz. Im Hotel nebenan beanstandete man das Fahrrad nicht. Und, daß es weniger modern eingerichtet oder weniger sauber gewesen war, als das erste, konnte ich nicht behaupten.

Nach dem Bezug des Zimmers habe ich den Minibus nach Taganga genommen, weil ich in Minca hatte feststellen müssen, daß ich den Schlüssel des Hotels dort immer noch besaß. Die Besitzerin hat sich mit einem Bier bedankt. Sie hat mir erklärt, daß der Schlüssel relativ leicht nachzumachen sei, der Anhänger mit der Zimmernummer aber ein Unikat war.

Reinaldo zu finden war nicht schwer und wir sind Essen gegangen. Beim Einkauf in der Stadt entdeckte ich wenigstens filterlose Lucky Strike, die mir die Zeit zu überbrücken halfen, bis ich was Gescheites finden würde. Am Nachmittag, nachdem ich auf der Bank war, berichtete ich ein letztes Mal von Santa Marta im Netz.

Als wir anschließend ein Bier trinken waren, kam unser Gespräch wieder auf Omar. Reinaldo hatte mir vorher schon versichert, daß er zwar bereit sei, Omar das Lesen und Schreiben beizubringen, dieser aber darauf offensichtlich keinen Bock habe. Als ich ihm nun von seinem Zahnersatz berichtete, meinte er, der Zahnarzt sei genauso korrupt, wie Omar. Die beiden würden sich mein Geld teilen und Omar auf die Zähne pfeifen. Daraufhin versprach ich, daß, wenn ich ihn ohne neue Vorderzähne im Oberkiefer träfe, er auch noch die im Unterkiefer verlöre.

Beim anschließenden Spaziergang am Strand von Santa Marta waren viele Leute an der Uferpromenade. Nach dem Rundgang auf der Promenade, vorbei an der Statue von Rodrigo de Bastidas, dem Stadtgründer, habe ich ihn zum Abendessen eingeladen. Dabei hat er mich noch mal eindringlich davor gewarnt, in Cienaga Zwischenstation zu machen. Reinaldo sagte, es sei sehr einfach, nach Cienaga einzufahren, aber fast unmöglich, wieder herauszukommen. Da mir aber die Etappe von rund hundert Kilometern nach Barranquilla an einem Tag zu viel war, habe ich beschlossen, Bus zu fahren.

Am späten Vormittag bin ich zum Busbahnhof an der Umgehungsstraße außerhalb von Santa Marta gefahren und habe den Bus nach Barranquilla, der Heimat des Aguila-Bieres an der Küste, bestiegen.

Die Cienaga

Die Stunde im Autobus verlief eintönig aufgrund der Tatsache, dass es fast keine Vegetationsunterschiede gibt: Überall die trockene Küstenvegetation, die nur gelegentlich von Kulturland unterbrochen ist. Eine Ausnahme sind die Reste des Mangrovenwalds, direkt an der Cienaga Grande de Santa Marta. Cienagas sind Salz- oder Brackwasserseen, die hinter der Küstenlinie liegen und manchmal eine direkte Verbindung zum Meer haben und, wie dieser, einen Süßwasserzufluß. Die Küstenlagune war Laichort von Fischen und Standort eines Mangrovenwalds mit vielen Vogelarten. Beim Bau der Küstenstraße wurde – aus Kostengründen und mangelhafter Planung – einfach ein Straßendamm aufgeschüttet, der die fast 500 Quadratkilometer große Lagune vom Meer abschnitt. Die Folgen für Flora und Fauna waren katastrophal. Selbst, wenn zwischenzeitlich ein Rettungsprogramm, mit internationalen Geldern, angelaufen ist und bereits erste Erfolge zeitigte, in dem Gebiet, das inzwischen zum Schutzgebiet erklärt worden ist, sind die Folgen nach wie vor unübersehbar. Kilometerlang führt der Straßendamm an den abgestorbenen Stümpfen des Mangrovenwalds vorbei. Es standen wieder ein paar intakte Mangrovenhaine, aber im Vergleich zu der Masse an Stümpfen war es doch kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein, auch, wenn ich einige zurückgekehrte Reiher ausmachen konnte. Ich vermutete, daß die Bevölkerung das Mangrovenholz als Brennholz abgeräumt hatte. Selbst, wenn es an diesem Sonnentag eine Quälerei gewesen wäre, glaube ich doch, daß sich eine Radfahrt durch diese streckenweise recht beklemmende Landschaft gelohnt hätte.

Barranquilla

Der Busbahnhof in Barranquilla befindet sich am südöstlichen Stadtrand, während mein Hotel weit im Westen Stadt war. Gut fünfzehn Kilometer durch die Millionenstadt, um das Hotel zu erreichen, das im Reiseführer einen so guten Eindruck gemacht hatte. Für das Hotel der oberen Mittelklasse, was Mindeststandart für Sauberkeit und Klobrille ist, legte ich aber, der Lage im nobleren Stadtteil El Prado ist’s geschuldet, trotzdem mit Ventilator, umgerechnet dreiundzwanzig Mark hin. Zugegeben, es war sauber, aber das Zimmer war wegen des Fensters, das nur zu einem etwa zwei mal zwei Meter messenden Lüftungsschacht in der Mitte des Gebäudes führte, kaum zu belüften. Der Stadtteil El Prado, in dem es liegt, hielt aber die Versprechen des Reiseführers.

Nach dem mäßigen Mittagessen in der Nähe des Hotels war eine ziemlich verschwitzte Siesta angesagt. Den Rest des Nachmittags verbrachte ich mit der Erkundung der Umgebung. Ich sah meistens Wohnhäuser, die, meist relativ neu, noch in guten Zustand waren. Dazwischen wenige Geschäfte, einige Restaurants und sogar Kneipen.

Barranquilla selbst ist kaum sehenswert. Ich schwanke in der Stileinschätzung zwischen Mannheim und Duisburg. Der Eindruck rührt vielleicht daher, daß das Meer einige Kilometer entfernt ist und der eigentliche Hafen, der wichtigste Kolumbiens, am Rio Magdalena, gegen den der Rhein allerdings eher ein Flüsschen ist, liegt. Schön ist jedenfalls anders. Aber es ist etwas billiger als in den Ferienorten um Santa Marta.

Nachdem ich eine Bäckerei zum Frühstücken gefunden hatte, bin ich zum Museo Romantico gelaufen. Hier werden nicht nur die Requisiten des zumindest landesweit berühmten Karnevals aufbewahrt, sondern auch die gut hundertfünfzig Jahre Stadtgeschichte – vor weniger, als zweihundert Jahren war hier nur ein Weiler mit Viehtränke – mehr oder weniger ungeordnet präsentiert. Dabei überrumpelte mich eine Schulklasse. Die Lehrerin, die mich mit ihrer ständigen Duzerei nervte, wollte, als sie erfragt hatte, daß ich Deutscher bin, gar nicht mehr von mir ablassen, weil sie und ihre Schüler von einer deutschen Schule um die Ecke waren. Für die Kinder mit ihren wenigen erlernten deutschen Phrasen („wie heißt du“, „woher kommst du“, „wie geht es dir“ ) hatte ich zwar mehr Verständnis, aber die Einladung, die Lehrerin an der Schule zu besuchen, war mir dann doch zu viel. Ich machte, daß ich davonkam.

Das Anthropologische Museum, einige hundert Meter weiter, an der Universität, war zu meinem Bedauern leider geschlossen. Der Weg hat sich aber trotzdem gelohnt, weil im Garten davor ein sehr sehenswertes Kolumbienrelief von gut zehn Metern Durchmesser modelliert worden war, das ich mir im Hinblick auf die weitere Reiseroute genau angesehen habe.

Den Nachmittag verbrachte ich, nach einer kleinen Stärkung mit der Suche nach zwei Touristeninformationen, um mich über die Hotels an der Strecke nach Cartagena zu informieren. Das Ergebnis war allerdings wenig ermutigend. Weil ich eher zufällig auf ein Internetcafé gestoßen bin, habe ich die Gelegenheit ergriffen und einen Bericht verschickt. Durch das viele Umherlaufen in der Hitze und die daher notwendigen Stärkungsbiere, war der Nachmittag gelaufen, zumal ich nicht zu spät zum Abendessen gehen wollte, weil ich früh am nächsten Tag zu einer harten Etappe aufzubrechen gedachte. Abends im Hotel habe ich Landkarten und Reiseführer gewälzt.

An der Küste

Aus dem etwas müden Barranquilla bin ich morgens um dreiviertel sieben losgefahren. Kurz darauf sah ich eine große Werbetafel, auf der auch die Temperatur angezeigt war. Achtundzwanzig Grad am frühen Morgen! Der Tag wurde aber später noch richtig heiß. Ohne Frühstück raus aus der Stadt. Ich hatte nun aufgrund der Kartendarstellung eine weitgehend flache Küstenstraße erwartet. Die Hügel waren jedoch einige hundert Meter hoch! Wenigstens konnte ich gelegentlich den Schwung des Downhill ausnutzen, um nicht die ganze Steigung abzubekommen. Gegen neun ließen mir die Kräfte etwas nach, weil ich immer noch nichts gegessen hatte. An einem guten Restaurant, das neben einem Hotel liegt, etwa fünfunddreißig Kilometer westlich von Barranquilla, habe ich mir ein Steakfrühstück verpaßt. Hier erfuhr ich, daß es doch mindestens zwei Übernachtungsmöglichkeiten gab. Santa Veronica und – in für mich besserer Entfernung, weil weiter – Loma Arena. Gut gekräftigt ging’s weiter; Gegen Mittag, nach knapp siebzig Kilometern, legte ich noch eine Pause ein und erkundigte mich nach der, im ersten Restaurant in Erfahrung gebrachten, Adresse zur Übernachtung. Es waren noch etwa sieben Kilometer bis zum Dorf.

An der Kreuzung im Ort habe ich mich an einen Kiosk nach dem „Hotel“ erkundigt. Zuerst wußte keiner der Umstehenden, wovon ich sprach, aber dann sagte einer, daß es da eine Frau gäbe, die Zimmer vermietet. Nach einigem Suchen stand ich vor der Hütte, die sich von den anderen ärmlichen Behausungen im Ort durch nichts unterschied. Die dicke Endvierzigerin erklärte mir, dass die Wohnung im Nachbargebäude belegt sei, aber man müsse mit dem Mieter reden. Der war allerdings nicht da. Wohl nach Barranquilla gefahren, wie sich später herausstellte. Ich müsse noch etwas warten. Im Hinterhof saß die recht umfängliche Familie beisammen und lud mich ein, Platz zu nehmen. Eher widerwillig leistete ich Folge, da mir der Sinn nach einer Dusche stand.

Der Schlamm-Vulkan

Da man meine Unrast bemerkte, wurde Vladimir, einer der Söhne dazu ausersehen, mich zu dem nahegelegenen Totumo-Schlammvulkan zu begleiten. Mit dem Fahrrad – aber ohne Gepäck – waren es nur fünf, sechs Kilometer, ein Weg. Seit hundertfünfzig Jahren dringt hier an zwei Stellen heißer, schwarzer, schwefelhaltiger Heilschlamm auf, aber die Geruchsbelästigung ist minimal. Petrographisch lässt sich eine Ton-Korngröße feststellen. Die beiden „Ohren“ hat mir Vladimir erklärt. Die größere der beiden Austrittstellen ist ein etwa zwanzig Meter hoher, vulkanähnlicher Kegel, in dessen „Krater“ , zu dem eine roh gezimmerte Holztreppe führte, sich einige Touristen suhlten. Zum Abwaschen des Schlamms sind sie später in einen nahegelegenen Bach, der hier in eine Lagune mündet, gesprungen. Zwei Mark Eintritt und unten ein Kiosk zur Betreuung der Touristen.

Ein zu touristisches Dorf

Nachdem wir den Schlammvulkan hinter uns gelassen haben, sind wir zum Strand von Loma Arena zurückgekehrt. Das Nest am Strand lebt offensichtlich davon, Touristen auszunehmen. Daher hatte man mir bei den Touristeninformationen in Barranquilla wohl auch diese Option vorenthalten. Während der Saison ist hier wohl kräftig was los, wie die vielen offenen Hütten bewiesen, in einen derer auch meine Wirtin ihr Essen während der Saison feilbot. Danach zurück zu meiner Unterkunft. Da ich immer noch nicht in das Zimmer konnte, habe ich wenigstens eine Dusche angemahnt. In der Toilette stand ein altes Benzinfass mit Wasser, in dem ein kleiner Eimer schwamm – die Dusche, aber auch die Klospülung. Jetzt war wohl klar, dass ich nicht im Nebenhaus würde übernachten können. Die Wirtin stellte mir ihr Zimmer zur Verfügung. Für unglaubliche zehn Mark!

Mit Vladimir bin ich zum Kiosk, um dort Bier zu trinken. Er sagte er würde mich zum Essen einladen, dafür zahlte ich sein Bier. Mit seiner Freundin sind wir bis Pueblo Nueva, gut einen Kilometer entfernt gelaufen, weil ich nicht bei seiner Mutter essen wollte. Hier wollte er aber mein Essen, wie verabredet, nicht bezahlen. Er kommt offensichtlich nach seiner Mutter, was die Geldgeilheit anlangt. Da er merkte, daß es mir mit seiner Familie langsam zu bunt wurde, hat er mich damit zu besänftigen versucht, daß er mich zu einer Party bei einen seiner Vettern mitgenommen hat. Bei dessen Hütte, die am Ortsrand lag, wurden wir kräftig von den Mosquitos geplagt. Man hat mich dort freundlich aufgenommen und in mehrere Gespräche verwickelt. Anschließend sind wir in eine Kneipe gegangen, um uns ein Qualifikationsspiel der kolumbianischen Nationalmannschaft für die Weltmeisterschaft anzusehen. Selbst, wenn die Kolumbianer nicht unbedingt zu den besten Fußballern in Südamerika gehören, die Niederlage gegen Venezuela war ziemlich unnötig und löste bei den Gästen dementsprechend Unmut aus.

Vor dem Fernseher zu sitzen, mit der Wirtsfamilie, nach der Rückkehr, hatte ich wenig Lust.

Endspurt nach Cartagena

Nachdem die Nacht heiß, moskitogeschwängert und ätzend war, bin ich gegen halb sechs aufgestanden und war um sechs auf der Straße für die letzten gut fünfzig Kilometer bis Cartagena.

Am Straßenrand waren nun Tertiärsandsteine aufgeschlossen, die, schon gut kompaktiert, Klüfte und Störungen zeigten; etwa zwanzig Kilometer vor Cartagena ragt ein Bergrücken auf, an dessen Westende die Schichten nach Westen einfallen und eine Fundgrube für jeden Marinpaläontologen waren. Korallen und deren Bruchstücke, Muscheln, und was da sonst noch im Riff gelebt hat und erhaltungsfähig war, konnte ich sehen. Das Ganze wird durch kalkigen Kitt zusammengehalten. Im Gegensatz zu einem Großteil der Strecke, war in dieser Gegend das Meer zu sehen. Nach etwa fünfunddreißig Kilometern in einem Restaurant ein Steakfrühstück, wo sich einige Männer am Billardtisch beim Spielen und Trinken den Sonntagmorgen verschönten.



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