Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Tagebuch

14. Rio Magdalena

Unfreiwillige Rückkehr nach Cartagena

Morgens um halb fünf aufgestanden, um das erste Sammeltaxi im Morgengrauen um halb sechs zu kriegen. Soweit war alles im Plan, in Cartagena Reiseschecks einzulösen. In Bodega am Bootssteg habe ich noch auf mehr Leute im Boot warten müssen. Trotzdem stand ich vor sieben an der Busstation. Nur daß der Bus erst nach halb neun fuhr und bei dreieinhalb Stunden Fahrzeit, war es unmöglich am selben Tag noch am Vormittag zur Bank zu kommen; einerseits der Rückfahrt wegen, andererseits der Reiseschecks wegen, die auf der gesamten Reise nur vormittags angenommen wurden. Außerdem bin ich vom terminal de transporte, das in Cartagena ein Stück weit außerhalb der Stadt liegt, mehr als eine halbe Stunde in die Stadt gefahren.

Auch auf der Fahrt fühlte ich mich nicht sehr wohl. Daher aß ich nichts und trank nur sehr wenig Wasser, obwohl die Klimaanlage im Bus nicht richtig funktionierte. Ich verbrachte die Zeit damit, mir die Landschaft anzusehen, die ich nun bereits zum zweiten Mal durchfuhr. Langweilig wurde mir so nicht.

In Cartagena verließ ich den städtischen Bus nahe des Stadtteils Getsemaní und lief zum Punta Arena. Marina hat mich in eine Apotheke geschickt, um mir eine Palette von Mitteln geben zu lassen. Der Apotheker war schon alt und die Mittel, die er mir gab schienen mir ebenfalls etwas aus der Mode zu sein. Das bezog sich aber nicht auf das Verfallsdatum.

Ich habe eine gute Knochenbrühe in einer der Kantinen in denen ich sonst auch gegessen hatte, zu mir genommen und anschließend Siesta gehalten, da es sonst nichts zu tun gab. Am späteren Nachmittag bin ich im Netz gewesen. Den Abend habe ich, nach einer weiteren Knochenbrühe, ruhig im Hotel verbracht.

Morgens Geld geholt und auf dem Weg zum Bus noch José getroffen, den aber offensichtlich weiteres Geld mehr interessiert hat, als meine Gründe fürs Auftauchen. Immerhin hat er, nach einem Trinkgeld zum Geburtstag eines amigos, den er mir vorgestellt hat, dafür gesorgt, daß ich den richtigen Bus zum Terminal bestiegen habe.

Der Weg zurück nach Mompós war diesmal etwas eintöniger, weil ich die Strecke inzwischen genau kannte. Gegen vier Uhr war ich wieder in Hotel. Hier habe ich der Doña für den zweiten Fraß den Marsch geblasen. Das enttäuschte Zimmermädchen glaubte sich zu meinen Ungunsten einmischen zu müssen – und hat eine saftige Abfuhr kassiert. Zwei Stunden später hat sich – des Rufs des Hotels wegen – ein Mediziner blicken lassen, um sich mit mir über die Symptome zu unterhalten und der mir einige Medikamente dagelassen hat, die besser waren, als das, was mir der alte Apotheker in Cartagena gegeben hatte. Ich fragte ihn später, ob er der Schachspieler sei, von dem mir Manuelas Mann berichtet habe, aber er sagte. es gäbe noch einen zweiten Mediziner, der als Schachspieler bekannt sei. Er verschrieb mir einige wesentlich sanftere Mittel, als die, die ich Cartagena erhalten hatte, und die auch für eine Regeneration der Darmflora sorgen sollten, die nach der Aussage des Mediziners durch die Mittel des Apothekers gelitten hatte.

Da der Nachmittag noch nicht gelaufen war, fand ich Zeit mich um das Fahrrad zu kümmern, bevor der Arzt kam. Es gelang mir das Hinterrad zu zentrieren und wieder einzubauen. So hielt mich nun, nachdem ich die Hotelrechnung bezahlt hatte nichts mehr in Mompós. Nachdem ich mir beim Bäcker mein Abendessen besorgt und gegessen hatte, wollte ich Packen, aber die Klimaanlage war ausgefallen und keiner der Hotelangestellten war in der Lage, sie wieder in Gang zu setzen. So wurde ich – zum Ruhm des Hotels – umquartiert. Lästig war nur, dass ich zweimal packen musste. Den Rest des Abends verbrachte ich mit Karten- und Reiseführerstudium, um für die anstehende Etappe gewappnet zu sein.

Entlang des Río Magdalena

Etwas spät, aber, dank der Klimaanlage, trocken aus dem Hotel gekommen. Nach einem kurzen Frühstück habe ich mich im unbeschilderten Mompós zwei mal verfahren, bis ich endlich auf der ungeteerten, vom Regen zum Teil aufgeweichten Straße nach auf der Südseite des Magdalena nach San Fernando war. Allerdings bin ich an der Fähre über den Fluß vorbeigefahren. Gemerkt habe ich es jedoch erst, als ich an eine Polizeistation kam, an der mich die Polizisten kontrollierten. Sie wiesen mich daraufhin, daß es aber noch einige kleinere Boote zum übersetzen über den Fluß gäbe.

Also bin ich bei der nächsten Gelegenheit mit dem Kanu übergesetzt. Für die schwere Arbeit wollte der Mann nur fünfhundert Pesos; ich habe ihm tausend, umgerechnet eine Mark, gegeben, weil ich hartnäckig vorher den Preis mit ihm ausgehandelt hatte. Es ist sicher eine einmalige Erfahrung über den an dieser Stelle nicht so breiten, aber tiefen Magdalena mitten in Urwald übergesetzt zu werden. Das Boot war gut dreieinhalb Meter lang und recht schmal. Der Fährmann war jedoch erfahren und es bestand nie die Gefahr des Kenterns.

Die Straße auf der anderen Seite des Magdalena, in der gleichnamigen Provinz, war ebenfalls ungeteert. Hier in der Gegend schien es zwar keine Guerilla zu geben, aber dafür gab’s in den Sümpfen rund um den Magdalena relativ viel künstlich urbar gemachtes Land, das eingezäunt war. Die Leute, oft Radfahrer, die ich traf, haben gesagt, daß der Weg hinter Guamal, auf halbem Weg nach El Banco, noch schlechter werden sollte. Und es seien neununddreißig Kilometer bis El Banco. Die Leute habe offenbar keine Ahnung, wie man Entfernungen schätzt, denn der Weg war weiter, wie mein Tacho anzeigte. Da nirgends auf dem Weg ein Restaurant war, war ich froh, noch einen Rest Brot vom Vortag eingepackt zu haben.

Guamal

In Guamal bin ich ziellos durch den Ort gefahren, bis ich mich für eins der Restaurants entschieden habe, ohne vorher eine Übernachtungsmöglichkeit gefunden zu haben. Das Essen war gut und hat sich als gut verträglich erwiesen. Einige Neugierige im Restaurant haben sich zu mir an den Tisch gesetzt und versucht, mich auszufragen. Einer blieb länger als ich und wir haben uns zwei Stunden lang gut unterhalten. Der Mann wußte worum’s geht, wollte aber auch viel über Deutschland wissen. Das Gespräch zog sich deshalb. Er beschrieb mir zum Abschied den Weg ins einzige Hotel im Ort.

Das Hotel, der Name, der Goldene Spiegel, täuschte über den wahren Charakter der Bruchbude hinweg, lag nur zwei Ecken weiter, war aber immerhin sehr billig. Die Unterkunft bestand aus einem Raum, in dem eine zwei Meter hohe Trennwand eingezogen war. Hinter dieser Wand befand sich ein Waschbecken, eine Toilette mit Spülkasten aber ohne Klobrille und – ohne irgendwelche Abtrennung – ein aus der Wand ragendes Rohr, an dem der Duschkopf geklaut war. Das Ganze war gekachelt und einigermaßen sauber. Im Zimmer selbst befand sich ein ziemlich durchgelegenes Bett, wenigstens ein Stuhl, aber kein Tisch. In den Wänden sah ich die Löcher, in denen sich irgendwann einmal Haken zum Aufhängen von Kleiden befunden hatten – vor ihrer Entwendung.

Nach der verregneten Siesta habe ich das Dorf erkundet. Es sollen nur fünfzehnhundert Leute sein, die hier wohnen, aber zweiunddreißig weitere Gemeinden sollen dazugehören. Der Dorfplatz hat kein Licht, so arm seien sie hier, hatte man mir erklärt. Der Kirchplatz und die Kirche, waren recht ansprechend, jedenfalls verglichen mit dem Rest, aber wesentlich jünger, als das Dorf, knapp zweihundertfünfzig Jahre alt.

Zum Abendessen, nach einigen weiteren Neugierigen, zu denen auch einige Bullen zählten, die nur wegen der Wahl übermorgen eine Kontrollstelle an der Hauptstraße aufgebaut hatten, bin ich mit einem Sohn des Hauses gegangen; er hat mir einige Kantinen gezeigt, aber war es spät geworden. Von Zweifeln über die Verträglichkeit geplagt, blieb mir nur salchipapas. Das Wort ist eine Kombination aus salchichon, Wurst, und papas fritas, Pommes. Eine gebratene, rote Rindswurst, die in kleine Scheiben geschnitten war und mit den Pommes vermengt und mit Ketchup überschüttet war. Bier!

Die Menschen in und um Guamal sind mir wieder sehr freundlich und herzlich erschienen. Der kleine Sohn mit dem ich unterwegs war, hat mir zum Andenken sein grünweißes Handgelenkband aus Baumwolle zum Schnüren gegeben. Viele der Leute, die ich am Straßenrand beim Radfahren getroffen hatte, haben mich angefeuert und mir Glück gewünscht. Die Herzlichkeit der hier lebenden Menschen war nicht mit der, sicher ebenfalls nicht unehrlichen, aber wesentlich professionelleren Haltung der Kolumbianer zu vergleichen, die ich in den Touristenzentren an der Karibikküste getroffen habe.

Der Tag begann mit kräftig Regen, dessen Ende ich erst abwartete, bevor ich zum Frühstück bin. Die Straßen im Ort waren Bäche, auch deswegen, weil sie ungeteert und ohne Abfluß waren. Ich bin um acht Uhr los zur Schlammschlacht. In der Regenzeit war die ungeteerte Straße ätzend: erst Schlamm und später durch die Sonne wellig-hartgetrocknet! Wenigstens gab’s fast keinen Verkehr.

Der Weg führte selten durch Wald, meist war es Kulturlandschaft, in der vereinzelt Bäume und Baumgruppen standen. Ich habe nie wieder so viele Radfahrer auf der Strecke gesehen, wie in dieser Gegend. Allerdings nur Menschen mit relativ alten Fahrrädern und in zivil. Keine Rennräder oder Mountainbikes mit Fahrern in Rennkleidung.

El Banco, Magdalena

In El Banco endlich habe ich vergeblich ein gescheites Hotel gesucht, weil fast alle Hotels die Rezeption im ersten Stock hatten. Das war deswegen lästig, weil ich das Fahrrad mit über einen Zentner Gewicht die Treppe alleine hochtragen mußte, da ich es nicht unbewacht stehen lassen konnte. Vorher noch habe ich bei der Transportfirma am Hafen nach der Fähre, hier chalupa, also Schaluppe, genannt, nach Barrancabermeja gefragt. Das Fahrrad paßte schon drauf, versicherte man mir, nur daß halt am nächsten Tag, aufgrund der Wahl, alle Räder stillstanden. Am Montag also.

Wegen der Schwierigkeiten bei der Hotelsuche, unterbrach ich diese und bin zum Mittagessen. Hier hat mich ein Großbauer, mit Frau, zum Essen eingeladen, der unbedingt wollte, daß ich an seinem Tisch esse und ihm was erzähle, da er gesehen hatte, wie ich im Restaurant mein Fahrrad an die Wand gelehnt hatte. Die Leute waren nett. Sie waren Hochlandbewohner und daher ernsthafter, als die Einheimischen, die sich hier immer noch als costeños begreifen.

Schließlich entschied ich mich doch für ein Hotel – und es war prompt das falsche. Nicht, daß es nicht sauber genug, oder die Ausstattung zu primitiv gewesen wäre. Es war die Belüftung, die unerträglich schlecht war. Es gab nur ein Fenster zum Flur hin und der war ebenfalls feuchtheiß. Der Ventilator brachte nur wenig Erfrischung.

Nach der lauten Siesta und einem Spaziergang durch den Ort, im selben Restaurant, wie am Nachmittag, zu Abend gegessen. Der Ort selbst ist zwar der größte und wichtigste der Region, aber schön ist anders und die Atmosphäre des Hafens und der vielen kleinen Händler in ihren Ständen drumherum ist hektisch und laut. Die wenigsten der Häuser waren ansehnlich, die meisten eher ungepflegt und ärmlich. Aber wenigstens war es außerhalb des Hafengeländes ruhig und beschaulich.

Es war der Tag der Kommunalwahl, das heißt, daß Feiertag war. Nachdem ich aufgrund des Wahltrubels einige Zeit nach einem Laden für Milch suchen mußte, habe ich mir vom höchsten Punkt des Hafens, an der Kathedrale den Fluss und die Landschaft angesehen – es ist der Anstieg zur Serrania de San Luca. Sieht steil aus. Trotzdem hätte ich eigentlich in diese Region radeln wollen, aber die Einheimischen sagten, unabhängig voneinander, in verschiedenen Orten, daß hier ein Zentrum der Guerilla wäre und es daher unmöglich sei, diese Region zu besuchen.

Es war schön ruhig auf dem Platz, vor der auf einem Hügel gebauten Kathedrale und ich konnte einige Fischer beobachten, die von der Hafenmauer ihre Angeln in den schmutzigbraunen Magdalena hängten. Irgendwann später habe ich mal gesagt, daß ich vielleicht aus den ersten fünfhundert Kilometern des Flusses bereit sei, Fisch zu essen. Hier, nach gut tausend Kilometern hatte ich absolut kein Vertrauen in die Wasserqualität, zumal ich ganz Südamerika von keiner einzigen Kläranlage gehört habe. Ich saß eine ganze Weile auf den Stufen, die den Hügel mit dem Magdalenaufer verbanden, bis sich eine Gruppe Jugendlicher meine Ruhe störte.

Nachdem ich das Gepäck abgewaschen hatte, bin ich auf die Suche nach einer Kneipe gegangen, die sich nicht an die Ley Seca gehalten hat. Dieses temporäre Verbot von Alkoholausschank soll dazu dienen, Exzesstrinken und eventuell damit verbundene Ausschreitungen zu verhindern. Gerade bei Wahlen würde dies auch keinen guten Eindruck machen. Aber die Menschen, die ich bisher in Kolumbien getroffen hatte, schienen mir zwar oft durstig, aber nicht politisch zu motivieren zu sein. In der gleichen Kneipe blieb ich auch zum Mittagessen, weil das meine Bedingung war. Ein halbes Huhn mit Reis. Ich habe, unabhängig vom „Trockenen Gesetz“, grundsätzlich nur dort gegessen, wo es Bier dazu gab.

Den Fußballfans sei gesagt, daß ich hier ein handgemaltes Bild von Valderama an einer Hausfassade gesehen habe; als ich danach fragte, stellte sich heraus, daß El Banco zwei Clubs in der ersten und zweiten Liga hat; kein Wunder also, daß der Kapitän der Nationalmannschaft ausgerechnet aus diesem Nest stammte. Jedenfalls wollte man mir das einreden. Geboren ist er wohl in Barranquilla, aber hier hat er seinen ersten Profivertrag unterschrieben.

Während der anschließenden Siesta fiel auch noch der Strom und damit der Ventilator aus, nachdem bereits nachts das Wasser abgedreht worden war; Dafür war es draußen, auf dem Flur, etwas lauter. Schließlich stand ich schweißgebadet auf und habe im Zimmer das Fahrrad notdürftig geputzt. Nach der fälligen Dusche bin ich auf dem kleinen Balkon gesessen und habe mir das Treiben im Hafen angesehen, bevor ich mich wieder auf die Suche gemacht habe. Nach einigen Fehlversuchen fand ich eine Spelunke, deren Wirtin ihre letzten Biervorräte unters Volk warf. So war das Abendessen gesichert. Hier hat sich auch ein Flußmatrose zu mir gesetzt und bis zum – viel zu schnellen – Ende der Biervorräte über El Banco und dessen Bewohner mit mir geredet. So fand der langweilige Tag ein halbwegs brauchbares Ende.

Nachdem der Wartetag vorbei war, wollte ich nach Barrancabermeja. Also, extra früh aufgestanden, um die Schaluppe um acht Uhr nicht zu verpassen, aber die empfohlenen Bootslinie fuhr gar nicht: Des Feiertages wegen, war am Vortag kein Boot angekommen, das hätte abfahren können. Aber, nach einigem Hin und Her, habe ich festgestellt, daß um zehn Uhr noch eine weitere Schaluppe nach Barrancabermeja fuhr. Allerdings mit der etwas schlechteren Ausstattung: Keinen Windschutz, bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von sechzig Stundenkilometern wäre das aber schon nicht schlecht gewesen, so aber konnte ich im Boot rauchen. Und sie hat wohl auch öfter angehalten. Aber auch hier habe ich wieder die Hilfsbereitschaft der Kolumbianer erfahren. Sofort waren einige ältere Männer bei mir, die mir sagten, wo ich die Fahrkarten für die alternative Bootslinie kaufen müsse und was es sonst noch zu beachten galt. Ohne genötigt zu werden, sie einzuladen, haben wir einen Frühschoppen genommen, bis ich das Fahrrad aufs Boot bringen konnte.

Auf dem Río Magdalena

Kurz nach der Abfahrt hat der Bootsführer einen Kontrollpunkt der Armee angesteuert: Alle Fahrgäste an die Wand der Reihe nach aufstellen und abtasten – nach Waffen. Da keiner welche hatte und auch alle über gültige Papiere verfügten, konnte die Fahrt rasch fortgesetzt werden. Die Kontrollposten sind wegen der Guerilla eingerichtet, die offensichtlich das Gebiet um den Magdalena kontrolliert.

Immer wieder sah ich mehr oder weniger große Schwemmlandinseln, die mir bestätigten, was ich aus anderen Charakteristika geschlossen habe: der Fluß schien nicht sehr tief zu sein. Abgesehen von der Flußsfauna und -flora gab’s am Ufer auch noch einiges zu sehen: Zur Rechten erhob sich die Serrania de San Luca, die uns einige Stunden begleitete. Die Ostkordillere suchte ich lange vergebens zur Linken.

Fast überall war das Ufer von buschartigem Wald mit vielen Schlingpflanzen bedeckt. Es gab auch einige Vögel. Gelegentlich sah ich die in heißen Gegenden üblichen Buckelrinder, einmal sogar Kühe, die mich sehr an die aus den Alpen erinnert haben und einige Cowboys, die Wasserbüffel vor sich hertrieben. Immer wieder sind wir – wohl zur Abkürzung – in Seitenarme gefahren. Erst in einem Museum in Bogotá ist mir klargeworden, daß einige der Seitenarme künstlich waren. Präkolumbische Indianer, die in dieser Gegend siedelten, hatten sie als Transportwege, zum Schutz vor Angriffen und zur Bewässerung ihrer Landwirtschaft angelegt. Alles in allem, war die Fahrt Klasse.

Daß Humboldt das nicht so sah, lag daran, dass er viel zu lange unterwegs war, das wenig komfortable Boot aber andererseits für ihn nicht oft genug anhielt, damit er "herborisieren" und andere Untersuchungen anstellen konnte. Hinzu kommt, daß der Fluß offenbar sein Bett geändert hatte, so daß ich wahrscheinlich einen etwas anderen Weg genommen hatte. In El Banco hatte er die Indianer bei der Herstellung von Steingut mit dem dabei verwendeten Siderit, Eisenkalk, der in der Nähe abgebaut wurde beobachtet. Schließlich blieb er etwas länger auf dem Fluß, als ich, denn er erreichte die unschiffbaren Stromschnellen von Honda. Von dort aus führte sein Weg direkt ins nicht sehr weit entfernte Bogotá.

Kurz vor dem Hafen in Barranca, wie die Einheimischen Barrancabermeja der Einfachheit halber abkürzten, war noch mal ein Militärposten. Der Bootsführer war mit der Passagierliste mit dem anderen Soldaten ins Büro gegangen. Zwischenzeitlich stand da ein junger Soldat, der offensichtlich nichts besseres mit seiner Zeit anzufangen wusste, als sich mit der inzwischen einzigen Frau an Bord zu beschäftigen. Mich konnte er durch das Dach hindurch nicht sehen, weil ich auf der ihm abgewandten Seite des Bootes saß und die Kaimauer bis über die Bootskante reichte.

Als er sich schließlich doch noch zu einem allgemeinen Rundblick, in Kniehöhe eben, durchringen konnte, sah ich ihn zucken, als sein Blick an mir hängen blieb. Ob ich Ami sei, wollte er wissen: ¡No!; Kolumbianer: ¡No! Daraufhin platzte ihm der Kragen und er stieg halb ins Boot: die Papiere. Nachdem er nichts daran auszusetzen wußte, wollte er nun doch wissen, woher ich kam – zu blöd den Pass zu lesen! Er fragte mich, wo ich eingestiegen sei. Weil ich nicht wie aus der Pistole geschossen antwortete, mischte sich einer der anderen Fahrgäste ein und antwortete für mich. Und dann wollte er mir auch noch in die Bürohüfttasche gucken. Als er auch noch wissen wollte, nachdem er gehört hatte, daß ich Deutscher bin, warum ich hier sei und ich mit dem Daumen auf das nicht sichtbare Fahrrad auf dem Dach des Bootes gezeigt habe und gesagt habe: „Fahrradfahren”, hat er fast fluchtartig das Boot verlassen.

Barrancabermeja

Barrancabermeja selbst ist zwar Hafen und Eisenbahnstation, aber abgesehen davon, daß es praktisch keine Züge gibt, ist das Kaff ein junger Industriestandort, weil am Magdalena wurde Öl gefunden wurde und war entsprechend unattraktiv. Am Hafen, beim Ausladen habe ich das größte Schwein meines Lebens gesehen: Schulterhöhe etwa Einsvierzig, bestimmt acht Zentner schwer. Die Grundfarbe war pink, aber ich sah, daß das schüttere Fell schwarzweiß gemustert war. Es stand hinter einem Drahtzaun, der für mich allerdings nur provisorische Wirkung besaß, und war mit Fressen beschäftigt. Mein erster Gedanke war, dass es genetisch verändert sein müsse, aber dazu fehlte hier sowohl das Geld, als auch das Know-how.

Das Hotel war auch nicht mehr das, was der Reiseführer versprochen hat; immerhin waren die Leute freundlich und hilfsbereit – Kolumbianer eben. Aber fast vier Kilometer vom Hafen entfernt und ich hatte Mühe, noch vor Einbruch der Dunkelheit da zu sein. Immerhin gab es in der Nähe drei Restaurants nebeneinander, so daß ich an diesem Tag doch noch zu einer Mahlzeit gekommen bin, da es keine Pause bei der Bootsfahrt gegeben hatte. Allerdings waren an einigen Häfen Frauen gestanden, die kleine Snacks anboten. Zum Trinken hatte ich die Wasserflasche des Fahrrads mit Wasser gefüllt.

Im Hotel sah ich mir die Karten und Reiseführer an. Dabei stellte ich fest, daß es bis Bucaramanga tausend Höhenmeter waren. In der brütenden Hitze eine Qual. Schlimmer war allerdings, das ich keine Hinweise auf Übernachtungsmöglichkeiten gefunden hatte. So beschloß ich, wenn auch wenig begeistert, mit dem Bus nach Bucaramanga zu fahren.

Nach dem Frühstück erfragte ich den Weg zur Busstation. Die Antwort war wenig verheißungsvoll. Es gäbe zwar einige Busreiseunternehmen, die aber nicht in einem termial zusammengefaßt, wie ich es gewohnt war, sondern lediglich auf einen Stadtteil begrenzt waren. Den Ortsteil fand ich in der immerhin knapp zweihunderttausend Einwohner zählenden Stadt zwar recht schnell, aber ein geeignetes Busunternehmen konnte ich nicht ausmachen.

So fragte ich ein paar Männer, die hinter einem Gitterzaun standen, von wo aus ich nach Bucaramanga fahren konnte. Die machten sich nur über mich lustig und wollten mir keine Auskunft geben. Als einer von ihnen mich mit ziemlich schlechten Englisch ansprach, platzte mir der Kragen. Ich sagte ihnen wütend, daß nicht jeder Weiße ein US-Amerikaner und meine Muttersprache nicht Englisch sei, und fuhr wütend davon. Die hinterhergerufene Entschuldigung dessen, der Englisch gesprochen hatte, nahm ich nicht zur Kenntnis. Wie immer, in solchen Fällen, benutzte ich das Wort mono, das eigentlich Affe bedeutet, aber im Norden Südamerikas eine verunglimpfende Bezeichnung für Weiße ist.

Aber ich hatte Glück. Zwei Ecken weiter fand ich einen Busunternehmen, das nach Bucaramanga fuhr. Ich kaufte sofort eine Fahrkarte und wurde genötigt, schnell aufzuladen. Der Bus war bereits reisefertig. Der Expressbus kostete umgerechnet gut acht Mark, war aber der beste Bus, den ich auf der gesamten Reise gesehen habe. Er war ganz neu, hatte Sitze, die eher Liegen waren, mit sehr viel Beinfreiheit. Und er war bestens klimatisiert.



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