Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Tagebuch

18. Zipaquirá

Im Bus

In Ubate hätte ich eine Übernachtungsmöglichkeit gefunden, da aber noch mal ein Dreitausenderpass auf dem Programm gestanden hätte, und in Tausa keine weitere Möglichkeit zur Übernachtung bestand, habe ich meine Entscheidung, gut zwei Stunden Bus zu fahren, nicht bereut. Landschaftlich hat mir die Strecke gut gefallen und unter diesem Aspekt fand ich es bedauerlich, nicht mit dem Fahrrad gefahren zu sein. Das bergige Panorama erinnerte mit seinen Wiesen und Mischwäldern eher an eine deutsche Mittelgebirgslandschaft, als an Südamerika, wie ich es bisher kennengelernt hatte. Dieser Eindruck wurde durch schwarzbuntes Vieh noch verstärkt.

Hinter den Bergen im Osten, links von mir, wußte ich, lag in knapp zwanzig Kilometern Entfernung die laguna Guatavita, in der die Legende vom Goldenen Mann, el hombre dorado, ihren Ursprung genommen hatte. Nur, wenn ich die Hauptstraße über Tunja gefahren wäre, hätte ich einen Blick auf sie werfen können. Oder ich hätte, mit einem beträchtlichen Umweg, von Chiquinquirá oder Zipaquirá auf die östlichere Route zu wechseln müssen.

Zipaquirá

In Zipaquirá wollte ich nur noch ausruhen, aber das beste Hotel am Platz, El Libertador, hatte gerade eine rumba (Party) angesetzt, so daß ich weitersuchen mußte. Ich kam zwar nicht mehr dazu, nach dem Preis zu fragen, aber dieses Hotel schien mir ziemlich teuer gewesen zu sein. Mit der alternativen Adresse vom Reiseführer fuhr ich los und habe per Zufall was Besseres gefunden. Die Kolonialvilla ist mindestens nationales Kulturerbe. Ein eingeschossiger Bau mit schönem Innenhof, um den die Zimmer gruppiert waren. Frisch restaurierte dicke Wände, die sowohl gegen Hitze, als auch gegen Kälte isolierten und eine schöne Holzkonstruktion unter den historischen Dachziegeln. Die Zimmer waren modern eingerichtet und das Bad war sehr gut.

Zum Mittagessen probierte ich eine Empfehlung des Reiseführers am Hauptplatz zum Essen und war recht angetan. Dabei habe ich mir den Ortskern angesehen. Hier war ich wieder bereit, Sternchen für Stadt und Leute zu verteilen. Nach der Mittagsruhezeit mit Klassik im Innenhof war die Fahrradreparatur ein Klacks, zumal diesmal der Zahnkranz leicht zu lösen war. Nach der Reinigung habe ich die Speiche eingezogen und eine standardmäßige Wartung gemacht.

Der Häuptlingssohn

Als ich von einem kurzen Rundgang zurück ins Hotel kam, sah ich den Indianer wieder, der mir schon vorher aufgefallen war. Weil er recht groß und dazu kräftig war, hatte ich vor der Radwartung, eingedenk der Probleme, die der Ritzelkranz in Mompós gemacht hatte, an ihn gedacht, falls ich wieder nicht allein in der Lage gewesen wäre, das Gewinde zu lösen. Diesmal saß er unter dem Dach des Innenhofs und sprach mich an. Nicolas stellte sich als der Sohn des Häuptlings eines kleinen Indianerstammes im Süden, kurz vor Ecuador, vor und bereits nach wenigen Worten bat er mich, bei ihm Platz zu nehmen. Bei ihm saß auch ein kleiner Mischling, der etwas rattenartiges hatte. Schon bald merkte ich, daß dieser Mischling mir den guten Kontakt zu Nicolas neidete. Da ich jedoch nichts aktiv zu seiner Zurücksetzung beitrug, maß ich der Beobachtung keine Bedeutung bei.

Das ausgedehnte Gespräch mit Nicolas war sehr angenehm. Er führte mich sogar in sein Zimmer, in dem ein Bild seiner recht großen Familie hing. Ich sah den Häuptling, seinen Vater, mit seinen Frauen und den Kindern. Alle trugen indianische Kleidung. Ich fühlte mich fast wie Karl May auf seinen fiktiven Reisen in Nordamerika. Nicolas ließ ein paar Bier besorgen. Dabei merkte ich, daß er offenbar auch ziemlich reich war. Ein weiterer Einheimischer gesellte sich hinzu und wir unterhielten uns prächtig. Schließlich sagte ich, daß es Zeit würde, zum Abendessen zu gehen. Nicolas bestand darauf, daß ich zurückkehren und das Gespräch fortsetzen solle.

Nach dem Essen, bei dem ich im selben Restaurant, wie mittags war, kehrte ich zurück und wir setzten das Gespräch fort. Das heißt, ich wollte es. Aber aus einem mir nicht ersichtlichen Grund hatte sich etwas verändert. Die Stimmung war nicht mehr so, wie vorher. Auch eine junge Frau, die dazukam, konnte die verlorene Stimmung nicht wiederbringen. So zog ich mich bald zurück auf mein Zimmer. Was den Stimmungsumschwung ausgelöst hatte, konnte ich zu diesem Zeitpunkt aber nicht feststellen.

Die Salzkathedrale

Am Vormittag habe ich die Salzkathedrale besucht. Eine Salzkathedrale, keinen Salzdom. Der Unterschied besteht darin, daß eine Salzkathedrale wirklich ein sakrales „ Bauwerk“ ist, sofern man von einer künstlichen Aushöhlung im Berg von einen solchen sprechen kann. Ein Salzdom hingegen ist eine durch die speziellen physikalischen Eigenschaften des Salzes und den Gebirgsdruck entstandene kuppelförmige Aufwölbung des Salzes, bei dem das Nebengstein ebenfalls deformiert wird. Solche Salzdome sind in Niedersachsen häufig anzutreffen. In Europa gibt es Salzkathedralen in Polen.

Auch, wenn mir die meisten Kirchen und Kathedralen der Reise noch bevorstanden, bot dieser Besuch einerseits eine Abwechslung und war andererseits auch geologisch nicht uninteressant. Daher war es für mich selbstverständlich den Ruhetag in Zipaquirá mit einem Besuch hier zu verbinden. Ich lief also den Berg hinauf, an dem ich am Vortag bereits das Hotel Libertador gefunden hatte.

Oben, auf dem Vorhügel, konnte ich die Anlage, die mehr als nur die Kathedrale enthielt und den Ort unter mir überblicken. Es wird hier immer noch Salz abgebaut und zum Verständnis dieses Abbaus wurde ein Museum eingerichtet. Auf dem großzügig angelegten, amphitheaterähnlichen Vorplatz sah ich zuerst ein Festplatz mit einem Arbeiterdenkmal in der Mitte und 40 Wachspalmen, dem kolumbianischen Nationalbaum, drumherum. Von hier aus genoß ich den Blick über die fünfundachtzigtausend Einwohner zählende Stadt und den die Berghänge umgebenden Eukalyptuswald. Dazu hatte ich Zeit, weil ich, um in die Kathedrale zu gelangen, an einer Führung teilnehmen mußte, deren Beginn genau festgelegt war.

Im Rahmen der Führung sah ich die, aus dem Salzgestein herausgearbeiteten, vierzehn Leidensstationen von Jesus auf dem Weg zum Kreuz. Danach drei Kirchenschiffe, das mittlere mit dem sechzehn Meter hohen Kreuz aus Salz, das von Scheinwerfern angestrahlt wurde. Hier war auch eine große Steinplastik, die mir seltsam bekannt vorkam: die Schöpfung des Menschen. Aus der Sixtinischen Kapelle in Rom, von Michelangelo. Ansonsten ist die Kathedrale in ihrer religiösen Funktion in Betrieb, wie die hölzernen Bankreihen, der dekorierte Altar und die Kerzen zeigten. Die Atmosphäre unterschied sich jedoch schon von einer normal gemauerten Kirche.

Interessanter war der Salzstock: Kalzit- und Tonschiefereinschlüsse in den Salzfalten, vereinzelt auch Pyrit bzw. Chalkopyrit. Dazu echte Schwefelkristalle. Am Eingang der Mine war auch ein starker Schwefelgeruch zu bemerken; Im Minenmuseum sah ich sogar Schwefelkristalle auf den Salzsteinbrocken.

Vor nicht belegten hundertfünfunddreißig Millionen Jahren wäre hier ein Meer ausgetrocknet, behauptet eine Schautafel im Museum zur Entstehung der Salzlager. Später, wann genau, dazu wollten sich aber die zuständigen Geologen offenbar nicht auslassen, sei das Salz, wohl im Zuge der Andenbildung, als Salzdom aufgedrungen. Daher befanden sich im Salz die erwähnten Tonstein- und Kalksteineinschlüsse.

Das Museum selbst beschäftigte sich auch mit den drei Abbauebenen, in der Vergangenheit, heute und in der Zukunft, Spülung im Gestein. Die Ebenen waren in einem etwa vier mal vier Meter großen, effektvoll präsentierten Modell veranschaulicht: die erste, die die inzwischen unzugängliche erste Kathedrale von 1950 enthält, die zweite mit der neuen Kathedrale, durch die ich geführt worden war und die dritte Ebene, welche die heutige Abbauebene darstellt. Man legt Wert darauf, daß alles rein kolumbianische Arbeit ist; mir scheint aber, daß die Hilfe eines Europäers oder Nordamerikaners kein Fehler gewesen wäre, obwohl ich keinen schlechten Eindruck gewonnen habe.

Erwähnenswert ist vielleicht noch, daß der Salzabbau bereits vor der Conquista durch die hiesigen Indianer betrieben wurde, die damit einen schwunghaften Handel betrieben hatten. Alexander von Humboldt, der im Juli 1801 von Bogotá aus eine zweitägige Exkursion in den damals fünftausend Einwohner zählenden „beträchtlichen Flecken“ unternommen hatte, kritisierte, daß sich die Salzgewinnungsmethoden der Spanier nicht von denen der Muiscas dreihundert Jahre vorher unterschieden und propagierte die Spülung aus dem Gestein, die bis heute, zweihundert Jahre später, noch nicht realisiert ist.

Das böse Ende

Nach dem Mittagessen und der Siesta habe ich das Fahrrad in Schuß gebracht. Danach setzte ich mich mit den Reiseführern auf einen der Stühle im Innenhof und studierte sie. Dabei kam mir der Gedanke, ich könne diese sehr gute Pension den Reiseführern empfehlen. Ich ging zur Rezeption hinüber und ließ mir Fragen zur Struktur des Hotels beantworten. Ich verschwieg das Ziel meiner Erkundigungen nicht und bekam einige Visitenkarten, auf denen ich die von den Verlegern der Reiseführer geforderten Informationen schrieb.

Als ich anschließend einen Spaziergang durch den Ort machte, hat mich die Rezeptionsdame ein Stück weit begleitet. Sie fragte mich nach irgendwelchen Dingen aus Europa, die ich mitführte. So gut wie alles, was ich dabei hatte, stammte aus Europa und daher verstand ich ihre Frage nicht. Während sie nach Hause ging, um sich auszuruhen, fand ich die Kirche offen. Sie stammt von 1779. Zwischen den Kalkquadern sind Ziegel, interessante Konstruktion. Es steht zu vermuten, daß dies die Spuren von Reparaturen durch Erdbebenschäden sind. Die Suche nach einem Platz zum Abendessen, war zwar etwas langwierig, aber das Essen war auch in dem anderen Restaurant, das ich gefunden hatte, gut. Eigentlich wollte ich nur noch ein Bier trinken, aber einige Leute in der tienda beim Hotel haben mich zu sich an den Tisch geladen und wir haben und gut unterhalten. Sie fragten mich auch nach meiner Nationalität und ich zeigte ihnen auf Anfrage meinen Personalausweis.

Auf dem Rückweg lief der Kumpel von Nicolas, der Parasit, schräg vor mir ebenfalls ins Hotel. Er wollte mich nicht bemerken. Aber ich merkte aber, daß er Nicholas’ Lederjacke trug. Ich dachte wieder an die Frage der Empfangsdame nach meinem Gepäck und mir wurde klar, daß diese Ratte mich als US-Amerikaner hingestellt hatte. Die Lederjacke von Nicolas war der Beweis, daß dieser seinen Verleumdungen geglaubt hatte. Wieso die Rezeptionsdame, die meinen Pass gesehen hatte, zweifelte, verstand ich nicht. Erklärbar war es nur dadurch, daß selbst sie, die eigentlich mehr Erfahrung mit ausländischen Pässen besitzen sollte, als der junge Soldat vor der Landung in Barranca, genauso unfähig war und nicht das doch in mehr als genug Sprachen auf der ersten Seite des Passes festgehaltene Herkunftsland nicht erkannt hatte. Im weiteren Verlauf mußte ich noch einige Male Hotelportiers mit der Nase auf die spanische Zeile im Pass stoßen, damit sie die Meldezettel korrekt ausfüllen konnten. Nun war ich beleidigt und wenn Nicolas nicht mir aus dem Weg gegangen wäre, ich hätte es getan. Ich ging sofort auf mein Zimmer und blieb dort bis zur Abreise am nächsten Morgen.

Als ich vom Frühstück zurückkam und mein Fahrrad zur Abfahrt bereit hatte, lief ich zur Rezeption. Meine Verabschiedung bestand allerdings darin, daß ich der Empfangsdame die Visitenkarten vom Vortag auf den Tisch knallte und dazu sagte: „ Dafür, daß Sie jeden Scheiß glauben. Besonders, nachdem Sie meinen Pass gesehen haben.“ Sie war offenbar nicht zu einer Antwort fähig. Ich wollte auch keine und verließ Zipaquirá.



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