Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Tagebuch

26. Zur Grenze nach Ecuador

Auf der Kordillere

Nachdem ich noch in Pasto gefrühstückt hatte, fuhr ich am Stadio Libertad vorbei aus der Stadt. Es folgte ein ziemlich derber Anstieg von gut 12 Kilometern, der mich nach fast drei Stunden auf etwa dreitausenddreihundert Meter Höhe brachte. Auf der Passhöhe befand sich ein Restaurant in dem ich mich, auch um dem Nieselregen, der auf den letzten Kilometern eingesetzt hatte, zu entgehen, stärkte. Die Polizei hatte hier eine Straßensperre eingerichtet, aber von mir wollten sie nichts. Ich sah durch das Fenster, wie die Polizisten, immer wieder bevorzugt LKWs kontrollierten. Ich vermutete, daß sie von den Fahrern Geld erpressten, um ihren Lohn aufzubessern.

Als das Wetter sich besserte, bin ich weitergefahren. Es ging durch eine steile, aber grüne Berglandschaft fünfzehnhundert Meter tiefer ins Tal des Río Guáitara. Auf der dreißig Kilometer langen Stecke mußte ich den Vorderreifen wechseln. Durch das Bremsen auf der stellenweise recht steilen Panamerikana wurden die Felgen so heiß, daß sich die Vulkanisierung am Ventil auflöste. So beschloß ich gelegentlich kurze Pausen einzulegen, um die Felgen abzukühlen und den Händen eine Pause zu gönnen. Ein weiteres Unbill stellte ein LKW dar, aus dessen Fahrerkabine man abgelutschten Tropenfruchtkern nach mir warf.

Am frühen Nachmittag, nachdem der Aufstieg auf der anderen Seite des Flusses begonnen hatte, verlor ich die Lust und suchte mir in einen kleinen, üblen Kaff ein Restaurant. El Pedregal hieß das Nest. Man schien hier nicht übermäßig von mir begeistert zu sein. Trotzdem fragte ich nach einer Übernachtungsmöglichkeit. Die Residencias Esmeralda lagen direkt neben der Polizeistation. Hier mußte ich mit dem Besitzer über den Preis verhandeln. Die Pension war voller Bullen, die da gewohnt haben. Nach der kalten Dusche und der Siesta bin ich durch den winzigen Ort gelaufen. Überall schlug mir Mißtrauen und Ablehnung entgegen. Dabei schien der Ort hauptsächlich von durchreisenden Touristen zu leben.

So blieb mir nicht anderes übrig, als mich wieder in das Restaurant zu begeben, wo ich bei meiner Ankunft Station gemacht hatte. Ich hatte keine Lust mich aus dem Ort zu entfernen, obwohl die Umgebung durchaus zu einem Spaziergang eingeladen hätte, da mir die Einwohner in ihrer Abneigung gegen US-Amerikaner zu allen bereit erschienen. Als es zu dämmern begann, bestellte ich das Abendessen und bin dann zurück in die schäbige Pension, um in meinem Zimmer den nächsten Tag vorzubereiten. Immerhin schien mir die Bedienung in dem Restaurant gewogen, denn der Preis war relativ gesehen erheblich besser, als beim Mittagessen. Obwohl natürlich auch die Möglichkeit besteht, daß sie den Überblick über meinen Bierkonsum verloren hatte, was mir nie passiert.

Nach kurzem Frühstück habe ich den ungastlichen Ort schnell hinter mir gelassen. Da die wellige Straße aber auf Höhengewinn ausgelegt war, kam ich nicht so schnell vorwärts, wie ich mir das gewünscht habe. Immerhin gab’s wenig Verkehr und gelegentlich gut riechende Eukalyptusbäume, die mir die Fahrt etwas angenehmer gestalteten. Später habe ich mir sagen lassen, daß diese Baumart aus Australien eingeführt worden war. Humboldt erwähnt sie jedenfalls in seinen Tagebüchern nicht.

An diesem und dem vergangenen Tag gab’s geologisch, in gleichen Höhenstufen, dasselbe: Sandstein mit regional Konglomeraten, aber steil bis flach einfallend, was auf Falten im Gestein zurückzuführen ist, und kräftig geschert.

Nach fünf Stunden habe ich über die mehr Berg- als Talfahrt, fast immer mit genialer Aussicht, die Lust verloren. Als ich in San Juan, fünfzehn Kilometer vor Ipiales, einfuhr, hatte ich beschlossen den Stress für heute zu beenden. In einem Restaurant erholte ich mich etwas. Als später ein Taxifahrer hier ebenfalls eine Pause einlegte, fragte ich ihn nach der Entfernung nach Ipiales, da mir die Angaben der Leute, die ich vorher gefragt hatte, zu unterschiedlich und aus der Luft gegriffen erschienen. Beim Bezahlen der Rechnung im Restaurant schien man mich wieder zu übervorteilen.

Die Leute waren erneut ziemlich ablehnend und es kostete mich einige Mühe herauszufinden, daß es wenigstens ein Pfarrhaus gab, in dem ich übernachten konnte. Das Pfarrhaus, beziehungsweise die Unterkünfte sind eher was fürs Schullandheim und die Hausmutter verhielt sich ebenfalls ziemlich reserviert.

Hier in San Juan habe ich anfangs die gleiche Unlust verspürt – wegen der Leute –, wie vorher schon im Süden. Aber, als ich, nach einer kalten Dusche und einer kurzen, weil lauten Siesta, noch mal los bin, habe ich doch, per Zufall, wieder „richtige“ Kolumbianer getroffen. Auch die Herbergsmutter des „ Schullandheims“ hat geglaubt, daß ich kein Ami bin; Und später habe ich in einer der Kantinen Verständnis und eine halbwegs brauchbare Konversation mit der Wirtin der Kantine mit Laden gehabt, obwohl sie hauptsächlich daran interessiert war, ihr Englisch aufzufrischen. Das war auch dringend erforderlich. Als ihr Mann auftauchte, schien er zuerst ebenfalls ablehnend zu sein, aber als er hörte, daß ich kein US-Amerikaner bin, ist er etwas aufgetaut. Das Abendessen bei Ines war wenigstens kräftigend.

Der Tag begann ätzend mit Streitereien in den tiendas, die keine Milch verkaufen wollten, oder Preise machten, die im Widerspruch zu den Auszeichnungen standen. Die Herbergsmutter, die mich entsprechend verärgert zurückkommen sah, bot sich an, mir Milch zu beschaffen und ist mit zu einem Bäcker gegangen, den ich alleine nie gefunden hätte. Die Milch die sie mir brachte, war offenbar frisch vom Euter, was mir zu unhygienisch war und so bedankte und verabschiedete ich mich schnell.

Ipiales

Der Anstieg, den ich zu bewältigen hatte, war zwar nicht ganz so derb, wie der hinter Pasto und wohl auch nicht ganz so lang, aber aufgrund der furchtbaren Straßenführung vorher, immer bergauf und bergab, wäre ich am Vortag nicht mehr nach Ipiales gekommen. Nach etwa zehn Kilometern war ich auf der Hochfläche, auf der sich die Panamerikana hügelig durch Weideland schlängelte, das von hohen, teilweise schroffen Bergen umgeben war.

An einem Gehöft vor der Stadt las ich ein Graffiti an der Hauswand, wonach der Kolumbienplan Clintons Krieg bedeute. Einerseits habe ich die Menschen, mit denen ich darüber geredet habe, darauf hingewiesen, daß im Falle eines Wahlsieges von Bush – der Wahlkampf lief ja bereits – dessen Plan um einiges radikaler sein würde. Andererseits bräuchte es nicht nur einen „ Käufer“ für das Land, sondern ebenso Präsident Pastrana, der sein Land verkaufte.

In Ipiales wollte ich eigentlich direkt über die Grenze. Weil ich mich aber etwas verfahren hatte, beschloß ich, mich in einer tienda zu stärken. Hier fand ich wieder freundliche Aufnahme in Form der Besitzerin des Ladens, mit der ich mich eine ganze Weile unterhalten hatte um auf ihren Rat hin ein Hotel hier zu nehmen, das ich aber letztendlich nicht gefunden habe, bin ich doch noch den Tag geblieben. Des Suchens überdrüssig, bin ich schließlich in einem eigentlich viel zu teuren Hotel hängen geblieben. Zimmer habe ich bessere gehabt, aber der Service war wenigstens gut.

Als ich nach der Siesta noch einen Bericht in Internet stellen wollte, hat sich einer der Hotelangestellten angeboten, mich zu begleiten. Weil ich aber, von alters her, einen US-amerikanischen Provider hatte, stieß ich auf das selbe Problem, wie in Popayán: Gesperrt für US-Provider.

Abends habe ich in einer Kantine mit dem Wirt gesoffen und mich gut mit ihm und seinen Söhnen unterhalten. Von seiner Frau hatte ich aber einen weniger guten Eindruck. Sie trank mit einem der Gäste, um ihm das Geld aus der Tasche zu ziehen, aguardiente, bis dieser zur Toilette geführt werden mußte. Ich habe schon früher herausgefunden, daß die südamerikanischen Frauen Alkohol besser vertragen, als die Männer. Grundsätzlich hat sich aber der Aufenthalt hier zur Verbesserung der Erinnerung an Kolumbien gelohnt.

Nicht gerade früh, fuhr ich nach dem Frühstück durch den dichter werdenden Verkehr auf der Panamerikana durch hügeliges Gelände auf die Grenze zu. Vor dem neuen Gebäudekomplex sah ich einige Geldwechsler, glaubte aber in Ecuador besser die Landeswährung, Sucre, tauschen zu können.

Vor dem Eingang zur Zollstation stand ein Zöllner, der mir verwehrte, das Fahrrad mit in den Schalterraum zu nehmen. Dafür verpflichtete ich ihn, darauf aufzupassen. An den Abfertigungsschaltern war nicht viel los, so daß ich den größten Teil der Zeit, die ich im Gebäude war, zum Ausfüllen des Ausreiseformulars brauchte. Nach den Formalitäten kehrte ich zu Fahrrad zurück und fuhr auf die ecuadorianische Grenzseite, wo mich die Einreiseformalitäten erwarteten.



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