Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Tagebuch

29. Otavalo

In Otavalo

Die Panamerikana läuft im Grenzbereich der ProvinzenImbabur und Pichincha durch eine von vielen Tälern und Tälchen durchbrochene Kulturlandschaft mit vereinzelten Waldflächen. Trotz der vielen Anstiege kam ich gut voran und war nach nur zwei Stunden in Otavalo. Hier machte ich mich mittels des Stadtplans in Reiseführer auf die Hotelsuche.

In Tulcán war mir bereits unangenehm aufgefallen, daß die Städte zwar auch hier nach den Grundprinzipien kolonialer Stadtplanung aufgebaut waren, aber im Gegensatz zu Kolumbien die Straßen Eigennamen tragen, was die Orientierung etwas erschwerte. Noch während ich mich zu orientieren suchte, kam ein Radfahrer in Zivil auf mich zu und überzeugte mich, wenigstens einen Blick in seine Pension zu werfen, bevor ich mich entscheide. Er würde den Preis auch von acht auf fünf Dollar senken, weil er sich Radfahrern verpflichtet fühle, versprach er. Also fuhr ich mit ihm den kurzen Weg zum Chalet Sol.

Ich war noch etwas wählerisch, was das Zimmer anging, aber er schluckte meine Forderungen und ich habe mich auf einen Dreibettschlafsaal – allerdings für mich alleine – mit Bad eingelassen. Aber ich habe ihm das Versprechen abgenommen, mich zu informieren, bevor er die beiden freien Betten vermietet. Es bestärkte mich in meiner Entscheidung für diese Pension, hier einen Schweizer getroffen zu haben, der gerade sein Studium abgeschlossen hatte und sich mit einen Ecuador-Urlaub einschließlich Galapagos auf die kommenden Aufgaben vorbereitete.

Dazu hat mir der Pensionswirt noch Essensempfehlungen gegeben, die wirklich nichts zu wünschen übrig ließen: Zum Mittagessen für zwei Dollar fünfzig hat er mich zu der Dachterrasse des „Inca“ über der Plaza de Ponchos mit Klasse-Rundblick geschickt. Der Platz heißt deswegen so, weil hier die Weber ihren Verkaufsmarkt abhalten. Mit dem guten Essen, dem noblen Eindruck von den Ecuadorianern und der überragenden Bergkulisse im Hintergrund, vor allem nach den Erfahrungen in Südkolumbien war ich vor Glück gerührt.

Nach der Siesta habe ich, wie üblich, den Ort erwandert. Obwohl Otavalo ziemlich touristisch ausgerichtet ist, wirkte er weder überlaufen noch aufdringlich, wie ich dies anderenorts durchaus erlebt habe. Als ich dabei auf einen Internetladen gestoßen bin, den mir der Pensionswirt bereits angekündigt hatte, habe ich die Gelegenheit sofort ergriffen und einen Bericht abgeschickt.

Das Abendessen im Ali, nicht mit dem gleichnamigen Nobelhotel am Ort zu verwechseln, war das beste, seit „Mi Vaquita“ in Maracaibo. Nicht nur, daß die Qualität hoch war, das Ambiente war stilvoll und der Service gut. Und das alles bei einem Preis von unter drei Dollar. In einer tienda nahe des Hotels versorgte mich mit dem Schlummertrunk.

Morgens begann ich meine Museumstour mit dem anthropologischen Museum an der Panamerikana. Weil ich es jedoch geschlossen fand, ging ich in die Stadt zurück und startete einen Versuch beim Museo Jarmillo, das aber genauso, wie das archäologische Museum nicht zugänglich war.

Beim Frühstück in der Pension hatte ich den Schweizer getroffen und ihn gebeten, mich einen Blick in seinen Reiseführer werfen zu lassen, der zwar für den gesamten Kontinent, aber wesentlich aktueller war, als der, den ich in der Wäscherei in Cartagena geschenkt bekommen hatte. Aus Deutschland hatte ich nur eine Karte für das kleine Land mitgebracht. Dabei empfahl er mir den Wasserfall von Peguche und das auf dem Weg liegende Weberei-Museum am Rand des Waldes.

Zu Fuß im Umlamd Otavalos

Dessen entsann ich mich nach den Museumspleiten und lief fast eine Stunde zuerst durch den Ort, dann am Waldrand entlang, immer bei den Eisenbahnschienen nach Nordosten, bis ich ohne es gleich zu bemerken, am Weberei-Museum anlangte. Da ich jedoch nicht hineinwollte, umging ich den Komplex am Bach, an dem ich Frauen ihre Wäsche waschen sah. Um abzukürzen, verließ ich den Weg, um mich auf einem kleinen Pfad, der zwischenzeitlich kaum erkennbar war und über ziemlich glitschige Baumstämme über den Peguche-Fluß, der hier eher einem Bach glich, führte.

Irgendwann hörte ich den Wasserfall, war aber zu diesem Zeitpunkt bereits über ihm und sah keine Möglichkeit, mich ihm weiter zu nähren. Also drehte ich um, da es auch auf Mittag zuging. Der Rückweg war nicht weniger strapaziös, aber ich traf schneller auf den eigentlichen Weg, der zum Wasserfall führt.

An diesem Weg befanden sich gut beschilderte vorspanische Reste von Bauwerken und koloniale Gebäude, die zum Textil-Museum gehörten. In diesen Gebäuden hatten die Spanier Hunderte von Indianern zwangsverpflichtet, für sie zu weben – ein ziemlich düsteres Kapitel der Ortsgeschichte, mit unzähligen Opfern. Als ich am Museum vorbeikam, stellte ich fest, daß ich eigentlich hätte Eintritt bezahlen müssen. Ich bekam Schuldgefühle, weil die Anlage offenbar gut gepflegt wurde, das Eintrittsgeld demnach einen guten Zweck erfüllte.

Es dauerte wieder fast eine Stunde, bis ich im Zentrum Otavalos anlangte. Hier befreite ich die am Gaumen klebende Zunge in einer tienda. Anschließend gedachte ich im „Inca“ einzukehren. Enttäuscht stellte ich fest, daß an diesem Tag Ruhetag war. Also suchte ich mir ein anderes Restaurant.

Ausklang

Als ich nach der Siesta durch den Hof des Gebäudes lief, traf ich zufällig auf den Pensionswirt, der auf die Sechzig zuging. Wir kamen ins Gespräch und ich fragte ihn nach seinen fünf Kindern – sie waren zwischen vier und dreizehn –, die ich gelegentlich beim Spielen im Hof gesehen hatte. Es wäre seine Altersvorsorge, meinte er stolz. Die Lebensbedingungen, die seine Kinder, eben weil es so viele waren, würden hinnehmen müssen, interessierten ihn überhaupt nicht. Seine Einstellung, Kinder lediglich aus Selbstzweck zu zeugen, fand ich ziemlich charakterschwach.

Später wanderte ich den Süden des Ortes zum schönen Parque Central oder Rumiñahui. Hier steht auch die Kirche San Luis. Rumiñahui war der erfolgreiche Feldherr Atahualpas, zuerst im Kampf gegen dessen Bruder Huascar und anschließend gegen die Spanier.

Beim Abendessen habe ich mir Zeit gelassen und war anschließend im Internetcafé – hier war die Bezeichnung ausnahmsweise korrekt –, um meine Eltern zu bitten, ein Paket für Francisco vorzubereiten. Wegen der guten Aufnahme und weil ihm mein Multifunktionsfahrradwerkzeug so gut gefallen hatte, wollte ich ihm damit einen Gefallen tun.

Die Ausfahrt aus Otavalo bildete wegen einer Baustelle auf der Panamerikana das erste Hindernis des Tages. Nicht nur, daß der Umweg nicht unerheblich war, er war dazu noch schlammig. Der Zeitverlust betrug etwa eine halbe Stunde – für Südamerika eher wenig.



zurück zum Inhaltsverzeichnis