Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Tagebuch

33. Quito II

Der "Gipfel der Freiheit"

Obwohl ich mich immer noch nicht völlig genesen fühlte, beschloß ich, mir die Cima de la Libertad, den Gipfel der Freiheit anzusehen. Dazu bestieg ich einen genau recherchierten Bus, der mich durch die Bezirke südlich der Altstadt den Kreuzberg hochfuhr. Für fünfzehn Cents bekam bisher nicht gesehene Aspekte der ärmeren Stadtteile Quitos zu sehen, bevor der Bus die lange Steigung zur Gedenkstätte der Schlacht von Pichincha hinauffuhr. Je höher der Bus kam, desto ärmlicher waren die Hütten, an denen er vorbeifuhr. Die letzten paar hundert Meter waren nur noch Weiden und ein paar Bäume. Der Bus hielt einen Moment an einer Schranke, bevor er wendete und wieder zurückfuhr.

Ich war ausgestiegen und näherte mich nun der Schranke, hinter der zwei Kanonen standen. Weiter in Hintergrund sah ich einige Soldaten beim Wachdienst. Eine der beiden Kanonen enthielt die Aufschrift Krupp-Werke, Essen 1886. Ich untersuchte alle auf dem Hof stehenden Kanonen, aber die beim Eingang war die einzige deutsche. Meist waren es britische, aber es gab auch französische und US-amerikanische. Dann betrat ich den ziemlich modern wirkenden Bau.

Nachdem ich ein paar Cent Eintritt bezahlt hatte, konnte ich in der Vorhalle ein ziemlich modernes, durchaus abstraktes Wandgemälde zur Befreiung bewundern. In den dahinterliegenden Ausstellungsräumen, die wie ein Bunker wirken, waren Waffen, Uniformen und Fahnen der beteiligten Einheiten ausgestellt. Das Kernstück des größeren Hauptsaals war ein Geländemodell, auf dem die einzelnen Einheiten und deren Weg im Verlauf der Schlacht dargestellt waren. Dadurch erhielt ich einen guten Überblick über die Leistung Sucres, der mit dem vereinigten Heer aus Kolumbianern, Ecuadorianern, Argentiniern, Peruanern und englischen Söldnern das zahlenmäßig größere, und, mit Ausnahme der Engländer, besser ausgerüstete und ausgebildete Heer des Vizekönigs Aymerich vernichtend schlug. An der Schlacht nahmen etwa zweitausenddreihundert Patrioten teil, mehr nicht!

Wieder im Freien, genoß ich den Blick über die Stadt: in der unebenen Talsenke drängten sich die Häuser aneinander und wurden von den schneebedeckten Gipfeln der Umgebung überragt, von denen zum Gutteil Vulkane sind. Humboldt, der, mit den Exkursionen in die Umgebung, fast die gesamte erste Hälfte des Jahres 1802 hier verbracht hatte, fand seinerzeit die umgebenden Berge trostlos, weil vegetationsarm. Auch er bemerkt die Unebenheit, die er aber zurecht im damals besiedelten alten Stadtkern – hier gab es seinerzeit vierunddreißigtausend Einwohner und einige tausend Menschen aus der Umgebung – als geringer ansieht, wie die von Prag. Die gerade Ausrichtung der Straßen, von der er berichtet, ist auch heute noch schön nachzuvollziehen.

Zwei Tage zuvor hatte ich in der Zeitung gelesen, daß der Guagua Pichincha, der schräg hinter mir lag, unruhig sei. In der Vergangenheit hatte er immer wieder Quito bedroht, wovon auch Humboldt im Rahmen seiner Besteigung berichtet. Auch bei schärferer Beobachtung konnte ich aus der Entfernung nichts Besonderes feststellen. Ich lief noch eine Weile auf dem Gelände um das Museum herum, bevor ich mich wieder zu der Schranke begab, um auf den Bus zu warten, der mich in die Altstadt zurückbrachte.

Kultur

Am Nachmittag fuhr ich mit der Straßenbahn, die zwar schön neu war und eine gute Frequenz hatte, aber dafür zu jeder Zeit ziemlich voll war, nach Bellavista zur Fundacion Guayasmín. Nicht, daß mich ein plötzlicher Anfall von Lust auf zeitgenössische Kunst befallen hätte, es waren die präkolumbischen und kolonialen Exponate, die mich zu dem Besuch bewegten. Wohlgeordnet und gut präsentiert fand ich Artefakte vieler der ecuadorianischen Kulturen, die mich eine ganze Weile in der Frühgeschichtsabteilung fesselten. Die koloniale Sektion war deswegen etwas schneller zu bewältigen, weil sie aus Möbelstücken, Kleidern und Gemälden bestand.

In dieser privaten Stiftung, in der der Gründer auch seine eigenen Werke ausstellte, wurde mir erstmals die Problematik des Kunstschmuggels richtig bewußt. Ein privater Sammler stellt nur selten seine Schätze der Öffentlichkeit zur Verfügung. Meist werden die Funde der Grabräuber ins Ausland verkauft. Daher hat die Nationalbank eingegriffen. Sie kann aber auch nicht alles erwerben, was für das nationale Kulturerbe wichtig ist. Daher fand ich besonders in Ecuador die Museen meist recht schwach bestückt. Die besten Stücke sind in Europa und den USA, natürlich in Privatbesitz und damit unzugänglich. Dieser kulturelle Ausverkauf führte zu einer Verarmung der ecuadorianischen Kultur. In Peru ist es nicht weniger schlimm, aber durch die größere Masse an Funden, gibt es dort mehr und besser bestückte Museen, als in Ecuador.

Danach lief ich zur Katholischen Universität, um mir das Museum Jijón y Caamaño anzusehen. Es dauerte eine Weile, bis ich das Museum bei der Bibliothek im dritten Stock eines unansehnlichen Gebäudes gefunden hatte, aber danach konnte ich die recht gute Sammlung in Augenschein nehmen. Fast alle Kulturen der Frühzeit Ecuadors fand ich vertreten und mit Fundstücken belegt. Da ich es aber nicht so spektakulär empfand, war ich bald durchgelaufen und bin einige hundert Meter weiter ins Amazonasmuseum. Hier fand ich für die Regenwaldregion typische ausgestopfte Tiere und präparierte Pflanzen, sowie Indianerpuppen mit ihren Waffen und Werkzeugen. Wie im archäologischen Museum, war es zwar keine Zeitverschwendung, aber auch nicht herausragend.

Am Vormittag nahm ich wieder die Straßenbahn, von der ärgerlicherweise der parallellaufende östliche Strang gesperrt war, um zum Carolina-Park zu fahren. Ich empfand den als gefährlich beschriebenen Park eher ruhig und erholsam und genoß daher den Spaziergang in der Morgensonne. Das Museo Ecuadoriano de Ciencias Naturales, also das Museum der Naturwissenschaften, das inmitten des Parks liegt, war eine Schande: Plastiktiere mit schlechten Namensschildern. Die Wassertiere, zum Teil aufblasbar, standen in einem trockenen Kleinschwimmbecken. Muscheln fand ich in kleinen Plastiktüten in Kästen an der Wand. Die bodenkundliche Sammlung – wie das ganze Museum – verwahrlost, selbst wenn hier fast alle Bodentypen der Region vertreten waren. Die Ansprache scheint aber von einem gemacht zu sein, der weiß, wovon er redet; die Präsentation war aber auch hier wieder unter aller Sau, selbst, wenn ich die mehr als meterhohen Original-Bodenprofile durchaus als ansprechend empfand. Die Minerale sind alle aus einer Privatsammlung, aber wieder schlecht sortiert und beschriftet, zum Teil sogar falsch. Im extra abgedunkelten Raum für die Fluoreszenzminerale brannte nur die Hälfte der Lampen – ein Graus. Die Schmetterlingssammlung klein und schlecht sortiert. Kein Vergleich mit der exzellenten Sammlung in Popayán. Gleiches gilt für weitere Insektensammlungen, die teilweise unterrepräsentiert bis völlig ausgefallen waren. Ein paar ausgestopfte Wirbeltiere – ja, sogar ein Rehbockkopf, mit Namen des Jägers, war man sich nicht zu schade auszustellen –, die teilweise völlig zusammenhangslos in den Räumen standen und, man möchte fast sagen natürlich, schwach beschriftet waren, haben mir den Rest gegeben.

Der Spaziergang durch den Park, dem ich gegen Mittag anzusehen begann, warum er als gefährlich eingestuft worden war, beruhigte mich wieder etwas. Weil ich seit Maracaibo Schwierigkeiten mit meiner Kreditkarte bei Automatenzahlungen hatte, nutzte ich die Gelegenheit, um bei der Mastercard-Stelle, gegenüber des Nordendes des Parks, nachzufragen. Nach über einer Stunde des Wartens fand ich heraus, daß ich mich doch mit meiner Hausbank in Verbindung setzten mußte. Dies war aber das Resultat einiger internationaler Telefongespräche, die ich immerhin kostenlos in den Filialräumen führen konnte. Überhaupt war man dort sehr entgegenkommend.

Nachdem ich mich in der Nähe bei einer Pizza gestärkt hatte, machte ich mich auf die lange und vergebliche Suche nach einem Fahrradschlauch. Die vorbereiteten Adressen führten alle nicht zum gewünschten Erfolg. Immerhin erwanderte ich dabei Stadtteile, die ich sonst nicht gesehen hätte. Schließlich fand ich mich im Touristenstadtteil La Mariscal wieder, wo ich mich von einem Schild auf dem was von Fassbier stand, in eine Kneipe locken ließ. Maßkrüge fand ich nach dem langen Marsch durch Quito sehr angemessen.

Zurück fuhr ich mit der überfüllten Straßenbahn. Der Zug war so voll, daß ich es nicht schaffte, in den ersten, der kam, einzusteigen. Der folgende war aber nicht leerer. Da ich einigermaßen erschöpft war, habe ich, nachdem ich endlich ein Restaurant zum Abendessen gefunden hatte, mich auf mein Hotelzimmer zurückgezogen.

Die South American Explorers

Den gesamten Vormittag habe ich im Klubhaus der South American Explorers verbracht. Nach einer Einführung in Haus und Gebräuche hatte ich mich entschlossen, Mitglied zu werden, zumal ich Lima und Cuzco auf weitere Klubhäuser treffen würde. Reiseliteratur einsehen, auch mit der Möglichkeit zu tauschen, und Informationen zu lokalen Angeboten waren allein schon Grund genug, Mitglied zu werden. Die Reiseberichte, die frühere Reisende, auch mit dem Fahrrad, auf Formularen abgegeben hatten, waren aber die beste Informationsquelle. Hinzu kamen Rabatte für Hotels Restaurants und Geschäfte. Viele Ordner voller Berichte standen in den Klubhäusern und konnten von Mitgliedern sogar kopiert werden. Da es ein US-Klub ist, waren die Berichte, auch die, die ich später verfaßte, auf Englisch. Aber unter der Reiseliteratur und den anderen Büchern, die ich in den Klubhäusern sah, waren auch andere Sprachen vertreten. Nachdem ich mir einige der trip reports, wie hier die Reiseberichte heißen, kopiert hatte, zog ich mich in den Garten mit einigen Reiseführern zurück, um mir ungestört lokale Informationen zu den nächsten Reisezielen zu notieren. Ärgerlicherweise fand ich meinen Bolivienführer durch eine Neuauflage veraltet. Nachdem der Club aber nicht bereit war, ihn gegen den neuen zu tauschen, empfahl man mir es in Cusco nochmals, auch mit dem Kolumbienführer, zu versuchen. Da seien die Chancen besser. Trotz des zusätzlichen Gewichts habe ich es nicht bereut, letzteren behalten zu haben, weil ich nach Kolumbien zurückkehren sollte.

Weitere Stadtrundgänge

Am Nachmittag bin ich zur Plaza Santo Domingo, die keine hundert Meter vom Hotel entfernt war, gelaufen, auf der ein Standbild Sucres, auf den Schlachtort Pichincha deutet, steht. Hier bin ich in das Kloster, das das Museo Dominicano Fray Pedro Bedón beherbergt. Klerikale Kunst ab dem sechzehnten Jahrhundert: Gemälde, Möbel, Kleider und Reliquien. Sehenswert war wieder der Klosterhof, mit seinem Garten.

Anschließend fand ich nach einigem Suchen doch noch einen Fahrradschlauch, sogar in Fußentfernung zum Hotel. Am frühen Abend meldete ich mich von einem der billigen Internetläden in der Altstadt bei meiner Mail-Gemeinde, um von den Ereignissen der letzten Tage und den Perspektiven, die ich durch den Klub gewonnen hatte, zu berichten. Der Rest des Abends verlief unspektakulär.

Weil ich mich immer noch nicht kräftig genug zum losfahren fühlte, hatte ich mir leichtes Besuchsprogramm verordnet. Der Konvent und die Kirche von San Agustín. Hier gab’s, außer dem an sich schon an sich sehenswerten Kloster mit Kirche aus dem sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert, auch klerikale Kunst. Die uralten Wandgemälde im wiederum sehr sehenswerten Innenhof, stellen verschiedene Stationen aus dem Leben des Heiligen Augustinus dar, vor und nach seiner Zeit als Klostergründer; leider waren einige der Bilder nur sehr schlecht erhalten. Aus dieser Zeit schien mir in Südamerika auch nichts anderes erhalten geblieben zu sein, als sakrale Geschichten. Völlig verwunderlich ist das auch nicht, wenn man sich vor Augen führt, daß die Spanier sonst nur Ausrottungs- und Versklavungsfeldzüge gegen die Indianer geführt haben. Aber im Falle von San Agustín – es ist wirklich das erste Augustinerkloster in Südamerika – sind sie sehr sehenswert; allein der Kapitelsaal ist den Eintritt wert. Abgesehen davon wurde hier – der Tisch steht ebenfalls noch – 1809 die erste Unabhängigkeitserklärung Ecuadors unterzeichnet.

Anschließend bin ich ins Museum für koloniale Kunst im Haus des Marqués von Villacis aus dem sechzehnten Jahrhundert, dessen Innenhof sehenswert ist. Ich sah wieder Religiöses und ein paar weltliche Bilder, die ich ganz ansehnlich fand. Dazu gab’s alte Möbel, Miniaturen und ein paar alte Stadtpläne zu sehen; den von 1903 – er ist wirklich für frühe Touristen gemacht – gab’s Werbung, zumeist für irgendwelche Läden hinter denen oft der Zusatz Alemans stand, um für Qualität zu bürgen. Leider war ein Teil des Museums wegen Restaurierungsarbeiten gesperrt.

Landsleute

Da ich bereits über vier Monate in Südamerika war und ich von deutschen Restaurants gelesen hatte, beschloß ich in einem Anflug von Heimweh, deutsch Essen zu gehen, im Hansa-Krug. Da nicht viel los war, hatte der Wirt, ein dicker Hamburger, Gelegenheit sich mit mir auf Deutsch zu unterhalten. Nebenbei hat er mir einen seiner Freunde vorgestellt. Die beiden waren Ende fünfzig. Nachdem ich eine sehr gute Leberknödelsuppe und einen klasse Kasslerbraten mit ausgezeichnetem Sauerkraut und Kartoffelbrei gegessen hatte und den bisher einzigen Fernet Branca in Südamerika getrunken hatte, haben wir uns noch niveauvoll bei deutschem Bier unterhalten.

Der Wirt hatte ein ziemlich umfangreiches Geschichtswissen und da ich die Geschichte als Fortsetzung der Geologie während der Kulturzeit betrachte und sie daher eine Art Steckenpferd für mich ist, konnten wir uns gegenseitig zu unserem Detailwissen beglückwünschen. Er erzählte mir vom Buch eines deutschen Ingenieurs aus den ersten Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts, der in die USA ausgewandert war und, ohne Kenntnis der beiden Weltkriege, vorhersagte, daß Deutschland zur führenden Macht in Europa würde, sich aber den USA geschlagen geben müsse. Einfach wegen der demografischen und naturräumlichen Gegebenheiten. Aber auch beim europäischen Absolutismus und den zugehörigen Herrschern konnten wir Erkenntnisse austauschen. Bis hin zu der Tatsache, daß der Zweite Weltkrieg in Dünkirchen verloren gegangen war, waren wir uns einig. Während er jedoch dafür die Berufssoldaten verantwortlich machte, beharrte ich darauf, daß die kommandierenden Offiziere zum Ende der Operation "Sichelschnitt" damit begannen, ihre Truppen zu schonen. Außerdem führte ich einen Führerbefehl ins Feld, der die Engländer entkommen lassen wollte, um ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, den Krieg nicht mehr weiter zu führen.

Sein Freund konnte bei diesen Erörterungen offenbar nicht mithalten, denn er versuchte immer wieder das Gespräch in allgemeinere Bahnen zu lenken. Als ich die Rechnung über fast fünfundzwanzig Dollar bekam, weil der Wirt gegen zehn Uhr seinen Laden dichtmachte, war ich allerdings bedient. Die Aufforderung des Wirtes, ihn doch noch mal zu besuchen, mußte ich beim gemeinsamen Verlassen des Restaurants mit dem Hinweis auf meine finanziellen Verhältnisse leider zurückweisen.

Sein Freund schien jedoch noch unternehmungslustig zu sein, so daß wir noch eine Weile durch die Stadt liefen, bis wir uns in einer Kneipe niederließen. Er erzählte mir von der wachsenden Kriminalität in Quito in den letzten Jahren, die vorher praktisch bei Null gelegen hatte. Ich hatte den Eindruck, daß er schon einige Jahrzehnte immer wieder nach Südamerika kam. Das betätigte er mir, als er mir erzählte, daß er in den Sechziger und Siebziger Jahren neun Jahre lang in La Paz gelebt hatte. Dabei, so erzählte er mir stolz, hätte er Hugo Banzer, der sich Ende der Sechziger Jahre an die Macht geputscht und dabei im Stil Pinochets regiert hatte, einen Volkswagen erklärt habe. Wer solche Bekannte hat, bei dem wundert es auch nicht, daß er den Nazi-Kriegsverbrecher Klaus Barbie seinen Freund nannte. Nach Bolivien hatten sich nach den Zweiten Weltkrieg viele Nazis geflüchtet. Er sagte zwar, daß er wegen dessen radikal-bekennender Einstellung nicht mit ihm über Hitler reden wollte, aber hat ihn offenbar häufig getroffen – jedenfalls bis zur Auslieferung Barbies an Frankreich.

Daß er mit einer Kolumbianerin verheiratet ist, wunderte mich allerdings weniger, da ich die Kolumbianer ebenfalls schätzen gelernt habe. Dadurch kamen wir auf die Verhältnisse dort zu sprechen. Er vertrat die gleichen Positionen, wie die Regierungspropaganda, was dadurch verständlich wurde, weil er sich wohl verplappert hatte, als von seinen Pelikan-Werken in Kolumbien und Südamerika gesprochen hatte. Füllfederhalter herzustellen ist an sich nichts Schlechtes, aber, wenn sein Filialleiter sich auf Kosten der Angestellten bereichert hatte, wie dies in Südamerika die traurige Regel ist, mußte er sich nicht wundern, wenn er unliebsame Bekanntschaft mit der Guerilla machte. Da es inzwischen ziemlich spät geworden war, verabredeten wir uns locker in seinem Hotel für den nächsten Tag.

Das Museum der Nationalbank

Da die vorhergehende Nacht recht lang gewesen war, schaffte ich es erst gegen Mittag ins Museum der Zentralbank, das sich im Kulturhaus befinden sollte. Der Eingang lag etwas versteckt und es gab keine Hinweisschilder. Die wären aber für das sicher beste Museum Ecuadors aber angebracht. Nicht, daß der riesige Betonbau zu übersehen gewesen wäre, in dem sich das Museum befand, aber da das eigentliche Kulturhaus daneben eigene Ausstellungen anbot und sich in dem Gebäude des Museums noch das Instrumentenmuseum befand, mußte ich eine Ehrenrunde um die Ausstellungsräume drehen, bis ich den Eingang fand.

Als ich endlich drin war, erschlug mich die Fülle an Erklärungstafeln, Modellen und Ausstellungsstücken fast. Von den ersten belegten Funden der Frühmenschen über die Unzahl an Indianerkulturen bis hin zur Hochkultur der Inkas schaffte ich es, bis das Museum am frühen Nachmittag schloß. Sonntags, wo man doch eigentlich mit den meisten einheimischen Besuchern rechnen müsste, schloß das Museum zwei Stunden früher. Immerhin fand ich zweisprachige Erklärungen zu den frühen Indianerkulturen, deren Anzahl die Kolumbiens übersteigt und große Dioramen, die für viele der vorgestellten Kulturen Modelle des täglichen Lebens zeigten.

Die Eigennamen der Kulturen sind sowieso nicht überliefert, so daß üblicherweise die Namen der Fundpunkte zur Benennung der Kultur herangezogen werden. Umfassend darüber zu berichten, würde ein ganzes Buch füllen. Die ersten Spuren von Menschen stammen aus einer Höhle in der Gegend von Quito vor über 10000 Jahren. Jäger und Sammler, die den Obsidian der umliegenden Vulkane zu Werkzeug verarbeiteten. Erste Dörfer der Region sind um 1500 v. Chr. nachgewiesen, die sich kurz vor der Zeitenwende zu Stadtstaaten entwickelten, die teilweise bei der Ankunft der Inkas um 1470 noch bestanden. Im Südteil der ecuadorianischen Anden begann die Stadtentwicklung bereits um 2000 v. Chr. Hier wurde auch erstmals Mais um diese Zeit angebaut und es wurden die ersten domestizierten Lamas in Ecuador entdeckt. In der südlichen Sierra entwickelte sich die Kultur der Cañari, die von den Inkas vereinnahmt wurde.

Die Entwicklung an der Küste setzte zwar erst 7500 v. Chr. östlich von Santa Elena in der Provinz Guayas ein, aber sie ist erheblich komplexer als im Hochland. Jene erste, die Las Vegas Kultur, errichtete erste Häuser und begann mit der Kultivierung von Mais um 5000 v. Chr. Auf dem sich bis in die Provinz Manabi erweiternden Gebiet dieser ersten Kultur der Küste folgten zwischen 3300 v. Chr. und dem Eintreffen der Spanier fünf Kulturen, die erste Keramiken herstellten, diese charakteristisch erweiterten und die in Nordperu lebenden Völker der Moche und Chimú zu deren Keramiken inspirierten. Die Kulturen der Valdivia, Machalilla, Chorrea/Engoroy, Guangula und Manteña/Huancavilca sammelten die Spondylus-Muschel, die entlang der gesamten Pazifikküste Süd- und Mittelamerikas von besonderem Wert war. Aus dem Vorangehenden ergibt sich, daß die fünf Kulturen weitreichende Handelbeziehungen hatten, wozu sie durch hochseetüchtige Boote in der Lage waren.

Ganz im Norden der Küstenregion lebte zwischen 600 v. Chr. und 400 die La Tolita-Kultur, die auf der anderen Seite der Grenze, in Kolumbien, Tumaco heißt. Neben der zur Steigerung der Landwirtschaftsproduktion nötigen Landschaftsformung, hinterließ die Zivilisation hochentwickelte Erzeugnisse der Goldschmiedkunst und sie war als einzige in der Lage, Gold-Platin-Legierungen herzustellen. In Europa wurde Platin erst 1735 als eigenständiges Metall begriffen. Sie beeinflussten ihre südlichen Nachbarn in Nord-Manabi, die Jama-Coaque-Kultur, die allerdings von 1600 v. Chr. bis zur Ankunft der Spanier überdauerte. An der Guayas-Küste waren kleine Herzogtümer, als Bahía-Kultur zusammengefaßt, seit 500 v. Chr. entstanden, deren Macht sich auf ein sehr weitgespanntes Handelsnetz gründete. Hier entstanden die differenziertesten Sozialstrukturen, die erst mit dem Eintreffen der Inkas verschwanden. Die ab 800 bis zu den Inkas reichende Kultur Milagro/Quevedo im Andenvorland nordöstlich von Guayaquil stellte das in fast ganz Südamerika verwendete "Axt-Geld" her, beilklingenförmige Kupferplättchen unterschiedlicher Größe, die als Währung dienten.

Eine separate Gold-Abteilung stellte die Erzeugnisse der verschieden Kulturen und Zeiten aus. Obwohl sie recht ansehnlich war, konnte sie den Vergleich mit dem Museo de Oro in Santafé de Bogotá nicht aushalten. Als Vorgriff auf den nächsten Punkt, die Inkas, wurden hier auch Proben deren Goldschmiedekunst ausgestellt. Die eigentliche Inkaabteilung war etwas dünn, wenn man sich den kulturellen Einschlag vorstellt, den sie hinterlassen haben. Gebrauchs- und Ritualkeramik, die typischen fünfzackigen steinernen Streitkolbenaufsätze und andere Waffen, sowie typische Textilien zeigten die Lebensgewohnheiten dieser Hochkultur, die zu Zeiten Inca Pachacutecs unter seinem Sohn und Nachfolger Túpac Yupanki bis 1471 große Teile Ecuadors erobert hatten. Die verbliebenen Reste, die Küste um Guayaquil und das Gebiet der zu diesem Zeitpunkt bereits ausgestorbenen La Tolita-Kultur im Norden wurden erst 1525 unter Huayna Capac dem Inkareich Tawantinsuyu eingegliedert. Als ich gerade den Übergang in die 1532 mit der Landung Pizarros beginnende Kolonialzeit vollziehen wollte, wurde ich mit dem Hinweis auf die Öffnungszeiten hinausexpediert.

Vorbereitung

Sonntags fand offensichtlich ein Kunstmarkt im Park El Ejido, an dem das Museum liegt, statt. Ich ergriff die Gelegenheit und bin durch die von Ständen mit Kunstwerken gesäumten Wege des Parks abgelaufen. Da sich aber meine Begeisterung aber in Grenzen hielt, bin ich bald nach Norden in die nahegelegene Touristenstadt marschiert. Weil das Hotel des Pelikan-Besitzers auf dem Weg lag, habe ich nachgefragt, aber er war offenbar nicht im Hotel. Ich brauchte eine Weile, bis ich eine Kneipe fand, wo ich mich vor dem Abendessen stärkte. Das Essen verlief genauso ereignislos, wie die Fahrt in der Straßenbahn, zurück in die Altstadt. Den Abend verbrachte ich, nachdem ich mich der tienda beim Hotel versorgt hatte, auf dem Zimmer, um die anstehende Weiterfahrt vorzubereiten.

Am Vormittag bin ich zum Instituto Geografico Militar mit dem Taxi gefahren, um mir detailliertere Karten für die folgenden Etappen zu beschaffen. Das Ausgabepersonal waren zwar Zivilisten, aber überall sah ich Soldaten in dem bewachten Gebäude, vor dessen Betreten ich, wie bei solchen Gelegenheiten üblich, meinen Personalausweis hinterlegt hatte. Man war zwar hilfreich, aber ich sah den Touristenkarten an, daß sie nicht übermäßig gut waren, wie schlecht, erfuhr ich aber erst auf der Fahrt. Außerdem konnte mir ein Blatt nur als Photokopie verkauft werden, da es ausgegangen war. Und die grenznahen Regionen zu Peru waren grundsätzlich nicht zu erhalten. Jedenfalls nicht aus dem Stand. Immerhin hat man von dem Hügel aus einen guten Blick auf den Ejido-Park und den Touristenstadtteil La Mariscal.

Diesen Ausblick genießend, lief ich zurück zum nahegelegenen South American Explorer Club. Hier verbrachte ich etwa eine Stunde mit abschließenden Recherchen und dem Kopieren einiger Reiseberichte für die anstehende Route. Nach einem abschließenden Informationsgespräch mit einem der Mitarbeiter verabschiedete ich mich unter den guten Wünschen für den weiteren Verlauf der Reise vom Personal des Clubs.

Mehr Kultur

Nachdem ich das Infomaterial ins Hotel zurückgebracht hatte, fuhr ich mit dem Taxi zum Kloster Guápolo, das auf der Ostseite eines Berges neben der Stadt liegt. Hier mußte ich zu meinem Unmut feststellen, daß das Kloster eine Universität enthielt, in die mich der Wächter vor dem Eingang nicht einlassen wollte und die Kirche fand ich durch ein Gittertor verschlossen, so daß ich nur einen beschränkten Blick in den Innenraum der sicher sehenswerten Kirche werfen konnte.

Humboldt hatte einen Tagesausflug von Quito aus hierher unternommen. „Die Kirche ist ein schönes Architekturdenkmal, von edler Einfachheit, mit einer Fassade mit dorischen Säulen und einer majestätischen Kuppel.“ Die Gebäude dienen zur Aufbewahrung der Jungfrau von Guápolo. Daher ist die Innenausstattung auch besonders reichhaltig. Ein weiterer Grund dafür ist, daß die Jungfrau den Rang eines Generalkapitäns innehat, während Jungfrauen sonst im Rang von Unteroffizieren stehen.

Immerhin konnte ich mir vor der Kirche, umgeben von vielen Studenten zwar, ein Standbild von Francisco de Orellana ansehen. Im Gefolge Francisco Pizarros hatte er bei der Eroberung Perus mitgewirkt und Guayaquil 1537 erneut gegründet, das die Gründung Benalcázars nicht überdauert hatte. Pizarros Bruder, Gonzalo, wollte auf der Ostseite der Anden Gold finden und brach 1539 zu einer Expedition auf, bei der Orellana die Nachhut führte.

Weil diese entrada unzureichend vorbreitet war, geriet sie bald in Schwierigkeiten bei der Nahrungsbeschaffung. Gonzalo Pizarro schickte Orellana an der Einmündung des Río Coca auf dem Río Napo auf einen kleinen Boot aus, um Nahrung zu suchen. Es ist nie geklärt worden, ob, Orellana wegen seiner Erfolglosigkeit bei der Nahrungsbeschaffung und der Strömung nicht umkehren konnte, oder ob er es nicht wollte. Jedenfalls erreichte er als erster Europäer nach beschwerlicher Fahrt, auf dem ihm der Nahrungsmangel ebenfalls fast zum Verhängnis geworden wäre, den Amazonas, den er unbescheiden nach sich selbst benannte. Er fand zwar viele Dörfer, aber nur die wenigsten waren ihm freundlich gesinnt. Bei einem der Stämme kämpften die Spanier gegen Frauen, denen sie für ihre Art zu kämpfen Bewunderung zollten. Diese Begegnung wurde später namensgebend für den Fluß. Nach Monaten erreichte das Schiff der Spanier die Mündung des Amazonas, von wo aus sie nach Norden segelten und über Venezuela zurück nach Spanien gelangten, wo Orellana bei Karl V. umgehend das Recht beantragte, die von ihm gefundenen Länder ausbeuten zu dürfen. Als er 1544 die Erlaubnis erhielt, kehrte er sofort zurück und fuhr von der Mündung erneut in den Amazonas ein, wo er 1545 oder 1547 einen Angriff von Indianern erlag. Seine Expedition kehrte 1547 zurück.

Abschied

Ich mußte über tausend Stufen den Berg ersteigen, der mich vom Zentrum Quitos trennte. Dabei konnte ich den Blick auf die grüne Landschaft und das auf einem Vorhügel gelegene Kloster genießen. Nach dem schwachen Mittagessen in einem Steakrestaurant auf der Avenida Colón kehrte ich zum Hotel zurück, von wo aus ich mich zuerst in meiner tienda, dann in einigen Läden, die mir der Besitzer empfohlen hatte, nach einem Karton umsah, um ein Paket mit dem seit Cartagena angefallenem Informationsmaterial zusammenzustellen. Auf der Post wurde das Paket, das mir gute zwei Kilo weniger Reisegepäck verschaffte, wieder geöffnet, um den Inhalt zu kontrollieren. Da der Nachmittag damit fast gelaufen war, und ich den Abend mit Routenplanung im Hotel verbringen wollte, nutzte ich die letzte Chance auf einen letzten Bericht aus Quito im Internet. Danach bin ich ein letztes Mal im Cueva del Oso essen gegangen, um für den nächsten Tag gekräftigt zu sein.

Nach dem Frühstück fuhr ich Richtung Südosten aus der Stadt. Allerdings verlor ich mindestens eine halbe Stunde bei einem Umweg von sechs Kilometern, der mich Kraft und Nerven kostete. Selbst auf den größeren Straßen vermisste ich Hinweisschilder für den Durchgangsverkehr. Schließlich war ich auf dem richtigen Weg nach San Rafael und Sangolqui. Die Ausfahrt zur Panamerikana direkt nach Süden wäre einfacher gewesen, aber ich hatte von dem Verkehr genug und wollte versuchen, auf den Nebenstraßen Richtung Süden gelangen.

Als ich in Sangolqui ein Stärkungsbier zu mir nahm und den neugierigen Ladenbesitzern erklärte, daß ich über Rumipamba zwischen den Vulkanen Rumiñahui und Sincholagua zum Vulkan Cotopaxi wollte, rieten sie mir davon dringend ab. Dafür bräuchte man eine Gruppe von Radfahrern und man dürfe vor allem nicht so viel Gepäck haben, weil der Weg ziemlich steil und dazu steinig sei. Einige Kunden, die in die tienda kamen, bliesen ins selbe Horn: unmöglich unter gegebenen Bedingungen.

Also kehrte ich widerwillig auf die Panamerikana bei Tambillo zurück. Obwohl der Weg durchgehend geteert war und sich die Anstiege in Grenzen hielten, spürte ich doch, daß die Entscheidung den einfacheren, aber wegen des Verkehrs gefährlicheren Weg zu nehmen, in Anbetracht meiner Konstitution doch die richtige war. Hinzu kamen die Mängel, die die Karte von den Militärgeographen aufwies. Diese waren so groß, daß ich nicht allein an Unfähigkeit glauben wollte. Es erschien mir eher so, als wären einige Teile mit Absicht falsch eingetragen, um die Peruaner, mit deren Einmarsch seit den Zeiten Bolívars zu rechnen war, getäuscht werden sollten. In der Tat lagen die letzten Grenzverletzungen der Peruaner nur wenige Jahre zurück.

Alexander von Humboldt, verließ Quito am 9. Juni 1802. Im Gegensatz zu mir hatte er die Gegend südlich von Quito, unter anderem bei seiner Cotopaxi-Besteigung am 28. April, bereits erkundet und fuhr nicht den unnötigen Umweg, den ich genommen hatte. Aber er beschwerte sich über die sehr schlechte Qualität seines Weges nach Tambillo. Ich vermute, daß er damals in Tambillo Viejo, dem alten Tambillo war, das wenige Kilometer südlich neben der Panamerikana liegt, während ich nur neue Häuser in Tambillo gesehen hatte.



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