Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Tagebuch

64. Andahuaylas

Am Río Pampas

Von Ocros aus, das auf etwa dreitausendzweihundertfünfzig Meter liegt, wand sich die schlechte Straße hinunter in das dahinterliegende Quertal des Río Pampas auf zweitausend Meter herunter. Obwohl die Straße bergab führte und es immer heißer wurde, fühlte ich mich zunehmend schlechter. Ich hatte mir im Eisregen eine leichte Erkältung geholt.

Nicht nur die Hitze nahm zu, es wurde auch trockener, wie mir die Vegetation anzeigte. Unten in Flußnähe allerdings war es wieder grün. Die Landschaft ist nur sehr spärlich besiedelt und ich sah nur wenige Menschen. An der Brücke über den Pampas hielt mich ein Polizist an und wollte meine Papiere sehen. Er schien eher unwillig darüber zu sein, daß er Arbeit hatte und entsprechend kurz war der Aufenthalt.

Ich stärkte mich in einer der tiendas, die sich um den Polizeiposten angesiedelt hatten und fuhr die wellige Straße am Fluß entlang. Ich fühlte mich zunehmend schlechter und folgerichtig, als der Anstieg aus dem Flußtal heftiger wurde, habe ich kurz hinter einem ätzenden Nest namens Ahuayro einen vorbeifahrenden LKW angehalten und bin etwa fünfunddreißig Kilometer, bis ins knapp dreitausend Meter hohe Uripa gefahren. Hinter dem Holzzaun um die Ladefläche fand ich einige Einheimische, die mich in ein Gespräch verwickelten und mir Kokablätter anbieten wollten. Lächelnd zog ich meine Tüte aus der Tasche und sagte, ich hätte selbst welche.

Trotz der angeregten Unterhaltung mit den anderen Mitfahrern und der Notwendigkeit, ständig das Fahrrad zu halten, genoß ich Aussichten dieser Landschaft. Vorbei an gefalteten Kalken und der sich mit der Höhe wieder verändernden Vegetation. Eigentlich hatte ich in Chincheros aussteigen wollen, aber meine Gesprächspartner überzeugten mich, daß die wenigen Kilometer mehr im LKW bessere Hotels versprächen.

Uripa

In der Ortsmitte verabschiedete ich mich von ihnen und machte mich auf die Suche. Obwohl der Ort recht klein war, fand ich tatsächlich viele Unterkunftsmöglichkeiten. Ich suchte eine Weile, bis ich mich schließlich für ein recht ansehnliches Haus entschied, forderte aber wieder die Reinigung des im Innehof liegenden Bads. Man versicherte mir, das Restaurant, das zu der Pension gehöre, stehe kurz vor der Eröffnung und für mich wolle man eine Ausnahme machen. Das Essen war gut und die Bierflaschen groß. Ich war zufrieden.

Nach der späten Siesta, machte ich mich an die Reparatur einer der Satteltaschen. Die dazu notwendige Schraube war gar nicht so leicht zu finden. Erst im dritten Laden fand ich eine, die sich als Ersatz verwenden ließ. Nach dem Abendessen, bei dem ich mich nicht schon wieder im noch nicht eröffneten Restaurant vordrängen wollte, kehrte ich in mein Zimmer zurück und bereitete die nächste Etappe vor.

Ich stand nicht gerade früh auf und fand nur ein mäßiges Frühstück. Da ich aber auf der saumäßig steilen Piste, die hier nicht ganz so schlecht war, auf den ersten zwölf Kilometern sechshundertfünfzig Höhenmeter bewältigen mußte, wäre das aber notwendig gewesen. Noch im Ort begann die Quälerei, die mich erst gut eineinhalb Stunden später zum ersten Zwischenpaß führte.

Auf dem Soraccocha-Paß

Hier gabelte sich die Straße. Ohne Hinweisschilder, war ich gezwungen, einen Blick auf die Karte zu werfen. Der relativ sanfte Anstieg hielt nicht lange an und ich fuhr Serpentine um Serpentine höher. Als ich auch diesen Berg überwunden hatte, mußte ich feststellen, daß ich immer noch nicht am Ziel war. Jede Schlucht umfahrend, stieg die Straße weiter an. Es war zwar nicht mehr so steil, wie am Anfang, aber dafür war ich auch längst nicht mehr frisch.

Als ich einen Reisebus sah, versuchte ich ihn anzuhalten, aber der Fahrer drückte mich fast von der Straße und ließ mich ziemlich verärgert in einer Staubwolke stehen. Nach einem weiteren Dutzend Kilometern befand ich mich auf der von kleinen Hügeln gekennzeichneten Hochebene, die aber nicht etwa umfahren wurden, sondern mich immer wieder zu kleineren Anstiegen zwangen. Die bekannte Graslandschaft des páramos erschien mir hier besonders eintönig, auch weil vom umliegenden Bergpanorama kaum was zu sehen war.

Auf dem letzten Abschnitt, der etwa acht Kilometer zum eigentlichen Soraccocha-Paß führte, stieg die Straße wieder heftig an. Inzwischen reichte meine Kraft auch nicht mehr zum Zorn auf die schlechte, schier endlose Straße. Seit dem Reisebus hatte ich kein Fahrzeug gesehen und als ich einen LKW hinter mir bemerkte, versuchte ich, ihn anzuhalten. Die beiden Fahrer in dem neuen, großen Volvo, der, wie wegen der Höhe üblich, ein Turbodiesel war, meinten, es wäre nicht notwendig, sich jetzt noch fahren zu lassen; es seinen nur noch ein paar hundert Meter bis zur beginnenden Abfahrt. Der LKW blieb hinter mir, während ich mich mit neuer Kraft die paar Minuten zur nächsten Biegung vorarbeitete.

Tatsächlich, als ich in der Kurve war, sah ich nicht nur ein überwältigendes Panorama, sondern auch die deutlich sichtbar abwärts führende Straße. Ich winkte den beiden Fahrern dankbar zu und der LKW überholte mich. Für die dreiunddreißig Kilometer und nominell elfhundert Höhenmeter hatte ich Viereinviertel Stunden reine Sattelzeit gebraucht. Da es zwischenzeitlich einige Abfahrten und darauffolgende Anstiege gegeben hatte, war die addierte Höhe aber größer. So zufrieden ich sonst damit war, allein unterwegs zu sein, auf solchen Etappen hätte ein Begleiter sich psychologisch positiv auf meine Leistungsfähigkeit ausgewirkt.

Die Abfahrt ging deswegen recht gut vonstatten, weil die Straße hier in vergleichsweise gutem Zustand war. Hinzu kam der grandiose Fernblick über das Andenpanorama, der mich die Mühen des Aufstiegs vergessen ließ. Den größten Teil des Tages war ich in der Sonne gefahren, so daß ich Kälte der Höhe erst spürte, als sich einige Wolken kurzzeitig vor die Sonne schoben. Bald erreichte ich die Waldzone und nach etwa einer Stunde konnte ich in Nueva Esperanza eine Pause einlegen.

Während ich vor einer tienda einige Kräcker aß, unterhielt ich mich mit einer Frau aus dem Ort, die etwa mein Alter hatte. Auch bei ihr stellte ich einmal wieder fest, daß den Menschen ihre schlechte Situation durchaus bewußt ist, genau wie die Gründe dafür. Die von der Frau immer wieder erfragten Vergleiche zu Deutschland mochte ich aber nicht allzu ausführlich beantworten, um die Kluft nicht noch weiter zu vertiefen. Schließlich mußte ich das Gespräch beenden, da vor mir noch einige Kilometer lagen und der Tag sich dem Ende zuneigte.

Endspurt nach Andahuaylas

Die nun schlechter werdende Piste führte mich durch einige kleine Käffer, in denen ich mich mit Hunden auseindersetzen mußte und mir einen Speichenbruch einhandelte, hinab auf zweitausendzweihundert Meter zum Río Chumbor. Ab hier begann ein erneuter Anstieg, der mir, ohne die zwischenzeitlichen Abfahrten und erneuten Anstiege einzurechnen dreihundert Höhenmeter bescherte. Wenige Kilometer vor Talavera platzte mir an einen spitzen, aus der der unzumutbaren Piste herausstehenden Stein der Hinterreifen.

Während ich ihn wechselte, gesellte sich ein etwa sechzehnjähriges Mädchen mit ihrem kleinen Bruder zu mir. Sie unterhielt mich bei der Arbeit, aber ich hatte den deutlichen Eindruck, daß sie von mir aus den bescheidenen Verhältnissen, in denen sie lebte, geführt werden wollte. Dafür war ich aber nie zu haben gewesen. Obwohl ich unverbindlich geblieben war, winkte sie mir, als ich sie kurz vor dem Ortseingang nochmal sah, freundlich zu. Sie war mit ihrem Bruder querfeldein gegangen.

Während ich in Talavera einfuhr, wurde es dunkel und die Straßenbeleuchtung war für die Qualität der Straße unangemessen dunkel. Ich wollte aber unbedingt ins fünf Kilometer entfernte Andahuaylas, weil dort die Übernachtungssituation besser war. Im Dunkeln auf den schlechten Straßen und dem hier durchaus beachtlichen Verkehr schien mir das allerdings mit dem Fahrrad wenig ratsam. Also bestieg ich am Waffenplatz einen Kleinbus, der mich in den größeren Ort brachte.

In Andahuaylas

Da ich mir bereits vorher Gedanken gemacht hatte, wo ich unterkommen wollte, bat ich den Schaffner, dem Fahrer zu sagen, wo er mich am besten herauslassen solle. Das klappte weniger gut und es dauerte eine Weile, bis ich eine Straße fand, die auf dem Stadtplan des Reiseführers verzeichnet war. Schließlich schaffte ich es, das Hotel zu finden, das ich mir ausgesucht hatte und bezog das Zimmer.

Zum Essen wollte ich mich mehr weit vom Hotel entfernen und nahm eine chifa um die Ecke. War recht brauchbar. Nach der Dusche, die sowohl sauber war, als auch ausreichend warmes Wasser hatte, konnte ich gerade noch meine Tagebucheintragungen vornehmen, bevor ich völlig erschöpft ins Bett fiel.

Da für diesen Tag, den Karfreitag, nichts Besonderes vorgesehen war, stellte ich den Wecker nicht. Nach dem Frühstück, an das ich mich in Südperu nie gewöhnen konnte, fragte ich den Rezeptionisten, wo ich meine Wäsche gewaschen bekäme und ob es einen Platz zur Fahrradreinigung gäbe. Er und sein Bruder haben meine Wäsche auf dem Flachdach des fünfstöckigen Hauses gewaschen und ich reinigte unweit von den beiden das Fahrrad und führte eine standardmäßige Wartung durch. Die beiden Jungs waren um die zwanzig und konnten gar nicht genug über meine Reise hören. So verging der Vormittag.

Ich dachte nicht daran, daß ein Feiertag war und ging in ein Restaurant, wo man mir sagte, es gäbe heute nur Fisch. Ich sah eine Tafel, auf der die Gerichte angeschrieben waren und drückte deutlich meinen Unglauben aus, daß es nur Fisch gäbe. Die Bedienung blieb dabei und ich ging. Erst auf der Straße fiel mir ein, daß die religiösen Südamerikaner am Karfreitag kein Fleisch servieren konnten. Ich suchte weiter und wurde in einer ziemlich billigen Kneipe doch fündig. Hier scherte man sich nicht um den Feiertag und das Standardessen war wie üblich. Das Restaurant war ziemlich klein und bald hatte ich andere Gäste am Tisch, was mich zu einem raschen Aufbruch veranlaßte.

Nach der Siesta, flickte ich erneut und diesmal effektiver an der Satteltasche. Danach sah ich mir den Ort etwas an und mußte feststellen, daß der Reiseführer ausnahmsweise übertrieben hatte. So toll fand ich’s hier nicht. Als ich in einer tienda ein Bier nahm, verwickelte mich die alte Frau, die den Laden mit ihrer Tochter betrieb, in ein kurzweiliges Gespräch über den Ort und seine Bewohner.

Die Goldmine

Nach einiger Zeit gesellte sich ein Mann hinzu, der von meiner geologischen Ausbildung begeistert war. Er wollte eine Goldmine in der Nähe gefunden haben, die er ausbeuten wollte. Dazu fehlte es ihm, so behauptete er, an Geld und Fachwissen. Ich sei genau der Richtige, um sein Partner bei der Ausbeutung der Goldmine zu werden. Zu allererst meldete ich Zweifel an, ob er denn wirklich Gold gefunden hätte und machte mir klar, daß es sich durchaus um einen Betrüger handeln könnte. Entsprechend vorsichtig blieb ich mit meinen Aussagen und stellte fest, daß bevor ich nicht Proben und die Fundstelle gesehen hätte, um mich selbst von ihrer Abbauwürdigkeit zu überzeugen, sei ich zu nichts bereit. Schon gar nicht zum Bezahlen.

Wir verblieben, daß er mich am folgenden Tag vor meiner Abfahrt aufsuchen sollte, um mir eine Probe zu zeigen. Wäre ich mit ihr zufrieden, würde ich einen Tag länger bleiben, um mir die Fundstelle anzusehen. Offenbar war meine Vorsicht gerechtfertigt, denn ich sah den Mann nicht wieder. Er hatte behauptet, etwas außerhalb der Stadt zu wohnen und wüßte nicht, ob er bereits am frühen Morgen einen Kleinbus fände. Der Landkreis Andahuaylas besitzt laut offizieller Statistik über hunderttausend Einwohner. Daher bin ich übereugt, daß es genügend Transportmöglichkeiten für Pendler am frühen Morgen gegeben hätte.

Trostloser Feiertag

Bis es dunkel wurde, lief ich durch den Ort, um einen der drei Internetplätze zu finden, die man mir beschrieben hatte. Ich fand nur zwei und die waren wegen des Feiertags geschlossen. Außerdem ging ich der Prozession aus dem Weg, bei der eine Heiligenfigur herungetragen wurde. Ein hier übliches Ritual zu Kirchenfesten. Als es dunkel geworden war, fand ich zufällig einen offenen Hamburgerkiosk, wo ich zu Abend aß, weil die meisten Restaurants am Abend geschlossen waren. Mit etwas Flüssignahrung kehrte ich ins Hotel zurück, wo ich mich an der Rezeption mit dem muchacho, der meine Wäsche erledigt hatte, unterhielt. Er konnte gar nicht genug von mir hören, aber auch ich wollte einiges zu den lokalen Sitten der Einheimischen wissen.

Als ich mich endlich losgerissen hatte, traf ich oben auf dem Gang einen Mann Mitte dreißig, der ein T-Shirt mit der Aufschrift eines Busunternehmens trug. Es war dieselbe Firma, die mich am Vortag nicht hatte mitnehmen wollen. Außerdem waren mir diese Busse immer als die rüdesten aufgefallen. Entsprechend mürrisch fiel meine Antwort aus, als mich der Mann auf den Aufdruck seines T-Shirts ansprach und stolz verkündete, er sei einer der Busfahrer. Ich ließ ihn ziemlich verdattert stehen und ging auf mein Zimmer, um mich mit der Routenplanung für die nächsten Tag zu befassen.



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