Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Tagebuch

71. Copacabana - La Paz

Die Sehenswürdigkeiten von Copacabana

In Bolivien war mein Ärger über das Frühstück derselbe, wie in Peru. Es war nicht mehr früh, als ich an der Kathedrale ankam. Die Kathedrale wurde zwar schon 1605 von den Augustinern für die gut zwanzig Jahre vorher gebaute Virgen Morena del Lago, die Braune Jungfrau des Sees, auch Virgen de la Candelaria, Jungfrau der Lichtmeß, genannt, in Auftrag gegeben, aber erst 1820 fertiggestellt. Diese Marienstatue, die ich im Inneren in einen besonderen Raum sah, ist bis heute der Grund für die Pilger hierherzukommen. Gut einen halben Meter hoch, aus dunkel bemalten Holz und mit einem weiten goldbestickten Gewand bekleidet, steht die Figur hinter Glas in einen Schrein über der Sakristei. Der Innenraum der Kathedrale ist im maurischen Stil gekachelt und der Altar, wie üblich vergoldet. In dem ausgedehnten, reich verzierten Gebäude, auf dem einige Kuppeln sitzen, gibt es Innenhöfe, die ich an diesem Tag aber nicht betreten durfte. Ein kurzer Blick durch die Tür war alles, was man mir gönnte. Auf dem eingezäunten Platz um die Kathedrale stehen in den Ecken vier kleine Kapellen, in die man ebenfalls nur durch Gitter einen Blick auf die Altäre werfen kann.

Mein nächster Programmpunkt war der Kleine Kalvarienberg. Der Große verdient den Namen Schädelstätte, wie man auf Deutsch sagt, eher, weil hier wirklich ein Kreuzandachtsweg mit den vierzehn Leidenstationen von Jesus auf dem Weg zum Kreuz ist. Bei meinem knapp halbstündigen Aufstieg sah ich erneut steilstehende Arenite, die in den Flächen der unterschiedlich harten Schichten herausgewittert waren und große Rippen bildeten. Die Schilder, die umgerechnet einen Eintritt von drei Mark verlangten, ignorierte ich und niemand forderte von mir Geld. Allein der Ausblick über den Ort, den See und die umgebende Hügellandschaft in der klaren Luft, waren den Weg wert.

Schließlich entdeckte ich das Ziel des Aufstiegs, die Horca del Inca. Der Inkagalgen hatte nie diese Funktion, die man ihm später angedichtet hatte. Die beiden Felsrippen über die ein steinerner Querbalken gelegt war, wiesen runde Löcher auf, die den inkaischen Gelehrten Beobachtungen über die Sonne und vor allem deren Stand zu bestimmten Zeiten ermöglichten. Ich hielt mich eine Weile an dem Sonnenobservatorium auf, bis ein Touristenpärchen kam. Dann machte ich mich an den Abstieg. Die beiden waren die einzigen, die mir auf dem gesamten Weg begegneten.

Wieder unten im Ort, machte ich mich auf die Suche nach dem Tribunal del Inca. Als ich schließlich den Versammlungsplatz fand, stellte ich verärgert fest, daß das Gelände eingezäunt war und vor allem niemand in der Nähe der Tür, der mich hätte hereinlassen können. So sah ich mir die sieben in Sesselform bearbeiteten Steine, die einen Halbkreis bilden, durch den Maschendraht von weitem an. Hinzu kamen weiter behauene Steinblöcke mit kleinen Nischen und Becken, die mir die Erklärung des Inkanamens Intikalla, Sonnensteine, wahrscheinlicher erscheinen ließen, als die Gerichtstheorie. Eine offizielle Erklärung zur Funktion des Ortes gibt’s nicht. Inzwischen war es Mittag geworden und ich ging Essen. Anschließend begab ich mich ins Hotel zur Siesta.

Später ging ich die schlechte Piste Richtung Yampupata, wo ich am Vortag durch die Seeenge gefahren war. An der Straße, sollte sich ein Wasserspeicher mit Inkabad, Cusillata, befinden, mit einem kleinen Museum. Ich lief Kilometer um Kilometer den Weg entlang, aber von Inkaruinen sah ich nichts. Irgendwann begann die Piste auf einen der Hügel zu führen und ich war überzeugt, daß ich zu weit gelaufen war. Immerhin konnte ich von dem Hügel aus die überragende Landschaft geniessen, an der ich mich nie habe sattsehen können.

Unter mir, am Steilufer des Sees bemerkte ich eine Forellenzuchtanlage, die ich hinter einigen aus dem Wasser ragenden Felsen vor Blicken Neugieriger und, wahrscheinlicher, vor Strömungen schützte. Ich drehte um, weil es einerseits spät wurde, andererseits weil ich die Ruinen nicht mehr zu sehen kriegen würde und weil mich der Durst plagte. Zurück im Ort ging ich daher in die erste tienda, die ich sah.

Im Hotel hielt mich das Personal auf und schleppte mich in den Hinterhof. Auf einem kleinen holprigen Grasacker wollte man mir das bolivianische Fußballkönnen vorführen. Ein Engländer stand in einem der Tore und mich wollte man ebenfalls verpflichten mitzuspielen. Ich blieb immerhin, wenn auch als Zuschauer, und beklatschte die Tore. Nach gut zwanzig Minuten zog ich mich wieder zurück, weil’s Zeit wurde zum Abendessen. Da die Portionsgröße sehr ärgerlich war, der Preis dazu noch so, daß mir die Lust auf eine zweite Portion vergällt wurde, kaufte ichnoch ein paar Kräcker. Im Hotel schrieb ich ins Tagebuch, beendete die Fahrradwartung und bereitete mich auf die folgende Etappe vor.

Am Titicacasee

Das Frühstück im Restaurant Wara dauerte nicht nur zu lange, es war schon wieder inakzeptabel. Mittlerweile war dreiviertel neun geworden, bis ich Copacabana hinter mir lassen konnte. Zuerst kam ein dreizehn Kilometer langer Anstieg auf ungeteerter Piste, dessen erste Hälfte die steilere war. Durch einige Schluchten und Täler führte die Straße, die nun wieder asphaltiert war, auf bis zu viertausendzweihundert Meter Höhe. Das sind zwar nominell nur vierhundert Meter mehr, als das Seeniveau, aber es ging immer wieder auf und ab. Wegen des Maifeiertags sah ich mitten in der Einöde eine Menschenansammlung, die auf Transport wartete. Die Gegend schien mir ziemlich siedlungsleer zu sein, aber die bestimmt fünfzig Menschen, von denen ich mir nicht erklären konnte, woher sie kamen, belehrten mich eines besseren. Ich vermutete, daß sie den Tag zu Kundgebungen in La Paz, genutzt haben, denn sie trugen ihre Sonntagskleidung.

Es waren vor allen die unvergleichlichen Ausblicke über die grasige Landschaft des Hochgebirges auf den See und, anfangs auf die Berge Perus, später hinüber zur Königskordillere, die mir die harte Etappe erleichterten. Die Wolken, die am Morgen den Himmel bedeckt hatten, waren längst verschwunden und in der sengenden Sonne sah ich die Königskordillere erstmals komplett. Endlich nachdem ich bereits über vierzig Kilometer unterwegs gewesen war, erreichte ich San Pablo de Tiquina.

Tiquina ist die engste Stelle des Sees, der hier nur etwa achthundert Meter breit ist. Daher suchte und fand ich die angekündigte Fähre, die mich für umgerechnet knapp eine Mark nach San Pedro de Tiquina übersetzte. Während ich auf die Fähre gewartet hatte und bei der kurzen Überfahrt hatte ich mich etwas erholt und konnte so die nächsten Anstiege über einige Hügel meistern. Etwa sieben Kilometer später verlief die Straße scheinbar gerade am Seeufer entlang. Scheinbar gerade deswegen, weil es immer wieder kleiner Höhenrücken gab, die die Straße fast römisch gerade überquerte. Die daraus resultierenden ziemlich steilen Anstiege, ließen mich die südamerikanische Straßenbauingenieure und deren Korruptheit einmal mehr verfluchen.

Huatajata

Es war schon dreiviertel drei, als ich nach fast fünf Stunden Sattelzeit mein Tagesziel Huatajata erreichte. Ich sah im Vorbeifahren den Yacht Club Boliviano. In diesem einzigen Segelklub Boliviens sitzen wohl immer noch einige Altnazis, die sich nach dem Krieg abgesetzt hatten. Bei den hier herrschenden Temperaturen, der wunderbaren Landschaft und dem mondänen Club-Gelände, kein Wunder, daß es ihnen hier gefällt. Und das keine hundert Kilometer von La Paz entfernt. Ich erinnere hier an die Geschichte des Pelikanbesitzers in Quito, der mir von seiner Bekanntschaft mit Klaus Barbie erzählt hatte.

Schließlich fand ich ein Hotel mit hervorragendem Seeblick. Das Zimmer war einfach und billig, daher ich mußte die einzige Dusche mit Warmwasser neben dem Restaurant im Parterre benutzen, anstatt, des zu je zwei Zimmern geörenden Bads neben dem Zimmer. In diesem Restaurant, das eher einen Treibhaus in einem botanischen Garten glich, und dabei einen guten Blick auf den See ermöglichte, servierte man mir ein Filet der trucha criolla, der Lachforelle, das zum besten gehörte, das ich je gegessen habe. Der Fisch muß über vierzig Zentimeter lang gewesen sein und das rosa Fleisch der gerechten Portion schmeckte überragend gut.

Nach der späten, kurzen Siesta lief ich in dem langestreckten Straßendorf spazieren. Höhepunkte gibt’s hier keine, außer eben der Landschaft und dem See. Ich nahm noch ein Bier an der Tankstelle, bevor es dunkel wurde und ich zurück ins Hotel bin. Nach dem Abendessen plante ich im Restaurant, wo ich der einzige Gast war, meine nächste Etappe, die mich ans Ziel meiner Reise bringen sollte, nach La Paz.

Weil man mir im Hotel kein Frühstück zubereiten wollte, fuhr ich ins nächste Restaurant, das ich an der Straße offen fand. So wurde es neun Uhr, bis ich endlich Huatajata hinter mir ließ.

Der Weg nach la Paz

Die ersten knapp dreißig Kilometer blieb es hügelig und ich wußte mich in Seenähe. Dann fuhr ich auf dem eigentlichen Altiplano. Jedenfalls da, wo die unfähigen Ingenieure die Straße hingelegt hatten, war er aber gar nicht plan. Die Begründung, daß man nicht nach besten Weg gesucht hatte, lag, wie üblich daran, daß man die alten Trassen der Kolonialspanier übernommen hatte. Der Unterschied zum heutigen Verkehr besteht aber darin, man nicht mehr mit Pferden, Eseln und Lamas unterwegs ist, die andere Ansprüche an die Straße stellen. Durch das Hochtal, in dem ich überall Bauernhöfe sah, stieg die Straße auf fünfzehn Kilometern auf viertausendzweihundert Meter an. Der Altiplano gehört zu den am dichtesten besiedelten Regionen der Welt; das liegt einerseits an dem fruchtbaren Boden und andererseits am Klima. Zur Linken sah ich die überwältigende Kulisse der Eisriesen der Königskordillere, im Westen ragt ebenfalls eine Gebirgskette auf, die aber nicht so hoch und daher schneefrei ist.

Der Weg schien mir endlos, obwohl ich am Ende des Tages einen Schnitt von knapp zwanzig Stundenkilometern geschafft hatte. Auf den etwa dreißig Kilometern nach El Alto stand ein Polizist an der Straße bei einer baustellenbedingten Fahrbahnverengung. Ich fuhr wegen des dichteren Verkehrs nicht ganz am Fahrbahnrand, um mir Respekt unter den Autos zu verschaffen. Der Bulle sah dies und rief mir zu, ich solle ganz rechts fahren. Er meinte den schottrigen Seitenstreifen, wo ich vorher schon Radfahrer, Fußgänger und Lasttiere gesehen hatte. Ich rief zurück, daß da, wo ich fahre, rechts sei. Ich sah, wie ihm das Gesicht herunterfiel, aber machen konnte er nichts, weil ich meine Geschwindigkeit nicht gedrosselt hatte und mich zunehmend entfernte. Um ihn jedoch nicht weiter zu reizen, fuhr ich etwas näher am Rand des Asphalts. Grundsätzlich gilt auf südamerikanischen Straßen das Recht des Stärkeren und keine Gleichberechtigung im Verkehr, die im Gespräch mit Einheimischen immer wieder eingefordert hatte. Als Ausländer deutlich erkennbar, genoß ich sicher einen gewissen Bonus, diesen aber überzustrapazieren kann jedoch lebensgefährlich sein.

Nach über siebzig Kilometern erreichte ich El Alto, das früher zu La Paz gehört hatte, inzwischen aber mit fast einer halben Million Einwohner und dem höchsten zivilen Flugplatz der Welt ein selbständiger Ort mit einem riesigen Markt ist. Hier suchte ich mir zuerst ein Restaurant und stärkte mich mit einem halben Brathuhn, denn die Fahrt in der dünnen Luft hatte viel Kraft gekostet. Obwohl das Restaurant auf den ersten Blick nicht sehr einladend ausgesehen hatte, war ich sowohl mit dem Essen, als auch mit der Freundlichkeit der eher armen Leute, die hier aßen zufrieden. Nach dem zweiten Bier hatte ich zwar wenig Lust weiterzufahren, aber man versicherte mir, daß die Autobahn, auf die ich am Ortsausgang treffen würde, bergab nach La Paz führen würde. Also raffte ich mich zum letzten Abschnitt der letzten Etappe auf.

Ankunft in La Paz

Über fünf Kilometer mußte ich noch durch den Ort strampeln, bis ich endlich den Talkessel von La Paz vor mir liegen sah. La Paz hat, wie Quito, gut eine Million Einwohner, aber der Talkessel in der Stadt liegt und die damit verbundenen Höhenunterschiede lassen sie aber beeindruckender aussehen. Die Autobahn führte mich fünfzehn Kilometer bergab, bis ich glaubte, an der richtigen Ausfahrt zu sein. Hier erwartete mich ein steiler Anstieg, der mich zum Bahnhof führte. Mit dem Innenstadtplan im Reiseführer gelang es mir schließlich, mich zu orientieren und bald darauf das Hotel zu finden. Inzwischen war es fast fünf Uhr geworden.

Ich checkte ein, duschte heiß und sah mir vor dem Abendessen die Umgebung des Hotels an. Dieser Stadtteil wirkt, verglichen mit den wärmeren Vierteln im Süden, eher ärmlich, weil hier meist Indianer leben. Bolivien hat sich den größten Anteil an der Urbevölkerung in Südamerika bewahrt, gut die Hälfte der Gesamtbevölkerung. Darin liegt wohl auch der Grund dafür, daß in Bolivien die Machteliten ungestörter Land und Leute ausbeuten können, als in den Ländern in denen die Mischlinge die Bevölkerungsmehrheit bilden. Der Nachteil für mich in diesem indigenen Stadtteil lag darin, daß die Auswahl an Restaurants unverhältnismäßig gering ist. Die Indianer essen, wenn nicht sowieso aus Geldmangel zuhause, an Imbißständen auf der Straße. Überhaupt übersteigt die Zahl der Verkaufsstände die Zahl der Geschäfte in Häusern um ein Vielfaches. Mit meinem Abendessen, nachdem ich eine Weile suchen mußte, war ich jedenfalls wenig zufrieden.

In einer tienda beim Hotel, die ich später noch genauer beschreiben muß, kaufte ich mir meinen abendlichen Biervorrat, nachdem ich im Netz, von denen ich, wohl wegen der Nähe einiger Touristenhotels, einige fand, meine neue Position und den dazugehörigen Bericht abgegeben hatte. Anschließend zog ich mich auf mein Einzelzimmer, das immerhin einen Schreibtisch besaß zurück, um mich auf die Sehenswürdigkeiten hier vorzubereiten.

Obwohl ich eigentlich noch die gefährlichste Landstraße der Welt nach Coroico in die Yungas, einen besonderen Bergwald, am Osthang der Anden, nehmen wollte und die Reise bis zum Salar Uyumi, einer Salzwüste südwestlich vom für einen Geologen eigentlich unverzichtbaren Potosí, führen sollte, beschloß ich hier die Fahrradtour enden zu lassen. Allein, fast ein dreiviertel Jahr im Kampf gegen mich und meine Bequemlichkeit, reichten mir einfach. Noch ein paar Sehenswürdigkeiten und anschließend etwas Erholung, da, wo’s mir am besten gefallen hatte, waren jetzt angesagt. Es sei denn, ich würde mittels meiner Qualifikation hier doch noch Arbeit finden, denn das Geld wurde auch langsam knapp, da ich einen Rückflug würde bezahlen müssen.



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